Rainer Berthold Schossig: Der Schriftsteller und Komparatist Raoul Schrott war von dem antiken Sagenstoff derart fasziniert, dass er auf sich eine mehrjährige Spurensuche begeben hat, nach Troja und auch nach dem Sänger Homer. Die um Weihnachten vorveröffentlichten Thesen aus Schrotts im Frühjahr erst erscheinenden Buch haben inzwischen schon eine lebhafte Debatte ausgelöst, insbesondere über seine These, dass Troja vielleicht weit im Osten zu suchen sei, nämlich in Kilikien. Frage an Robert Rollinger, Althistoriker und Altorientalist in Innsbruck: Zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Kontakte zwischen dem antiken Griechenland und dem alten Orient? Wo waren denn die Schauplätze solcher wirtschaftlichen, kriegerischen, aber eben auch kulturellen Begegnungen?
Robert Rollinger: Also die Lokalitäten konkret zu fassen, ist natürlich sehr schwierig, weil wir vor allem indirekte Hinweise auf diese Kulturkontakte haben. Aber es ist ganz sicher so, dass eine Fülle von Indizien auf die große Bedeutung des Raumes Kilikiens, Nordsyriens und vor allem Zyperns für diese interkulturellen Kontakte hinweist.
Schossig: Kilikien ist eine antike Landschaft im Südosten Kleinasiens. Wo etwa liegt sie, vom modernen Touristen aus gesehen, also Antalya, etwa betrachtet?
Rollinger: Also östlich von Antalya, um das Gebiet der heutigen Stadt Adana, an jenem Knie, wo die Halbinsel Kleinasiens nach Süden abknickt und dann Richtung Syrien weiterläuft.
Schossig: Wie plausibel wäre denn Schrotts Verschiebung nach Osten im Lichte der modernen Altorientalistik?
Rollinger: Bei dem übergeordneten Standpunkt ist es so, dass ganz sicherlich die Bedeutung des Raumes Kilikiens, Nordsyriens, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann für diese Rolle, die dieser Raum im Rahmen der internationalen Kontakte spielt, als Synapse sozusagen zwischen Ost und West.
Schossig: Warum?
Rollinger: Ja, warum? Weil wir hier an den Randzonen des neuassyrischen Imperiums sind, weil wir in jene Räume kommen, wo altorientalische Kultur direkt und unmittelbar ausgestrahlt hat. Und wo diese Randzone jetzt natürlich nicht in einem Niemandsland endet, sondern wo sich von dieser Randzone aus vielfältige Kontakte nach Westen abgespielt haben. Und diese Kontakte nach Westen haben wir nicht nur in einer Fülle von archäologischen Zeugnissen, wir können sie nicht nur über die Wanderung literarischer Motive fassen, sondern wir können sie jetzt auch dadurch fassen, dass in den altorientalischen Quellen seit der Mitte des achten Jahrhunderts vor Christus Griechen auch plötzlich erwähnt werden als Personengruppen, die aus dem fernen Westen kommen. Es heißt, meist wird das mit der Metapher umschrieben, die aus der Mitte des Meeres kommen, also irgendwo weit aus dem Westen, die aber hier bis in diesen Grenzraum Kilikiens, Nordsyriens, Zypern kommen und die aus assyrischer Sicht als Piraten und Seeräuber auftreten, die natürlich, wir haben hier vor allem auf die Quellen der syrischen Könige zurückzugreifen, von diesen Königen immer in großartiger Manier und großartiger Art und Weise bekämpft und besiegt worden sind.
Schossig: Raoul Schrott lokalisiert also das antike Troja in Karatepe. Wie und wo muss man sich diesen Ort denn etwa plastisch vorstellen - landschaftlich?
Rollinger: Ja, wenn ich zunächst etwas zu der konkreten Lokalisierung sagen darf. Mit Homers "Ilias" haben wir natürlich ein dichterisches Werk vor uns. Und jede Bemühung, dieses dichterische Werk jetzt ganz konkret genau zu verorten, einen genauen Hintergrund der trojanischen Sage und des trojanischen Krieges fassen zu können, ist natürlich immer mit großen Problemen und Schwierigkeiten verbunden, weil der Dichter natürlich auch mit Imagination arbeitet und kein Chronograf, kein Historiograf ist. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt, den man im Hinterkopf haben muss, und wo man sicherlich auch jetzt Raoul Schrotts konkrete Verortung sehr kritisch betrachten muss.
Schossig: Kilikien heute eher am Rande des Mittelmeerraumes und damals Mittelpunkt der Welt. Könnte es zunehmende Verifizierungsmöglichkeiten für Raoul Schrotts These über die geografische Lage Trojas weiter im Osten geben?
Rollinger: Das Problem ist Folgendes, dass dieses große Faszinosum, dieses Problem der Ilias, inzwischen nur interdisziplinär gelöst werden kann. Da müssen die verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit der Disziplinen müssen die Disziplinen selber aber erst lernen. Das passiert nur ganz, ganz sukzessive. Und die Disziplinen sind immer noch sehr stark eine Art Festungen, die jeden Eindringling von außen abwehren.
Die große Stärke von Raoul Schrott liegt meines Erachtens darin, dass er als Komparatist relativ unbefangen, aber mit einer großen Lesekraft sich eine ungeheure Breite von Materialien angelesen hat und deshalb relativ ungefangen jetzt den Blick über die Zäune sozusagen wagt. Das Problem bei ihm liegt daran, dass natürlich in vielen Einzeldisziplinen, dass ihm die fundierte Ausbildung fehlt. Er ist kein Altertumswissenschaftler. Er ist kein Gräzist. Und dass deshalb hier auch natürlich die Kritik ansetzt. Nur die Kritik auf diesen Punkten aufzuhängen und sagen, da kann man alles verwerfen, das halte ich für zu vorschnell, sondern man muss auch die Gnade haben, einen Blick über die Schwächen hinaus auf das Ganze zu werfen. Und damit muss man sich kritisch auseinandersetzen.
Schossig: Wo lag Troja? Der Innsbrucker Althistoriker und Orientalist Robert Rollinger über den antiken Landstrich Kilikien in Kleinasien und die Ilias.
Robert Rollinger: Also die Lokalitäten konkret zu fassen, ist natürlich sehr schwierig, weil wir vor allem indirekte Hinweise auf diese Kulturkontakte haben. Aber es ist ganz sicher so, dass eine Fülle von Indizien auf die große Bedeutung des Raumes Kilikiens, Nordsyriens und vor allem Zyperns für diese interkulturellen Kontakte hinweist.
Schossig: Kilikien ist eine antike Landschaft im Südosten Kleinasiens. Wo etwa liegt sie, vom modernen Touristen aus gesehen, also Antalya, etwa betrachtet?
Rollinger: Also östlich von Antalya, um das Gebiet der heutigen Stadt Adana, an jenem Knie, wo die Halbinsel Kleinasiens nach Süden abknickt und dann Richtung Syrien weiterläuft.
Schossig: Wie plausibel wäre denn Schrotts Verschiebung nach Osten im Lichte der modernen Altorientalistik?
Rollinger: Bei dem übergeordneten Standpunkt ist es so, dass ganz sicherlich die Bedeutung des Raumes Kilikiens, Nordsyriens, nicht hoch genug eingeschätzt werden kann für diese Rolle, die dieser Raum im Rahmen der internationalen Kontakte spielt, als Synapse sozusagen zwischen Ost und West.
Schossig: Warum?
Rollinger: Ja, warum? Weil wir hier an den Randzonen des neuassyrischen Imperiums sind, weil wir in jene Räume kommen, wo altorientalische Kultur direkt und unmittelbar ausgestrahlt hat. Und wo diese Randzone jetzt natürlich nicht in einem Niemandsland endet, sondern wo sich von dieser Randzone aus vielfältige Kontakte nach Westen abgespielt haben. Und diese Kontakte nach Westen haben wir nicht nur in einer Fülle von archäologischen Zeugnissen, wir können sie nicht nur über die Wanderung literarischer Motive fassen, sondern wir können sie jetzt auch dadurch fassen, dass in den altorientalischen Quellen seit der Mitte des achten Jahrhunderts vor Christus Griechen auch plötzlich erwähnt werden als Personengruppen, die aus dem fernen Westen kommen. Es heißt, meist wird das mit der Metapher umschrieben, die aus der Mitte des Meeres kommen, also irgendwo weit aus dem Westen, die aber hier bis in diesen Grenzraum Kilikiens, Nordsyriens, Zypern kommen und die aus assyrischer Sicht als Piraten und Seeräuber auftreten, die natürlich, wir haben hier vor allem auf die Quellen der syrischen Könige zurückzugreifen, von diesen Königen immer in großartiger Manier und großartiger Art und Weise bekämpft und besiegt worden sind.
Schossig: Raoul Schrott lokalisiert also das antike Troja in Karatepe. Wie und wo muss man sich diesen Ort denn etwa plastisch vorstellen - landschaftlich?
Rollinger: Ja, wenn ich zunächst etwas zu der konkreten Lokalisierung sagen darf. Mit Homers "Ilias" haben wir natürlich ein dichterisches Werk vor uns. Und jede Bemühung, dieses dichterische Werk jetzt ganz konkret genau zu verorten, einen genauen Hintergrund der trojanischen Sage und des trojanischen Krieges fassen zu können, ist natürlich immer mit großen Problemen und Schwierigkeiten verbunden, weil der Dichter natürlich auch mit Imagination arbeitet und kein Chronograf, kein Historiograf ist. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger und entscheidender Punkt, den man im Hinterkopf haben muss, und wo man sicherlich auch jetzt Raoul Schrotts konkrete Verortung sehr kritisch betrachten muss.
Schossig: Kilikien heute eher am Rande des Mittelmeerraumes und damals Mittelpunkt der Welt. Könnte es zunehmende Verifizierungsmöglichkeiten für Raoul Schrotts These über die geografische Lage Trojas weiter im Osten geben?
Rollinger: Das Problem ist Folgendes, dass dieses große Faszinosum, dieses Problem der Ilias, inzwischen nur interdisziplinär gelöst werden kann. Da müssen die verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit der Disziplinen müssen die Disziplinen selber aber erst lernen. Das passiert nur ganz, ganz sukzessive. Und die Disziplinen sind immer noch sehr stark eine Art Festungen, die jeden Eindringling von außen abwehren.
Die große Stärke von Raoul Schrott liegt meines Erachtens darin, dass er als Komparatist relativ unbefangen, aber mit einer großen Lesekraft sich eine ungeheure Breite von Materialien angelesen hat und deshalb relativ ungefangen jetzt den Blick über die Zäune sozusagen wagt. Das Problem bei ihm liegt daran, dass natürlich in vielen Einzeldisziplinen, dass ihm die fundierte Ausbildung fehlt. Er ist kein Altertumswissenschaftler. Er ist kein Gräzist. Und dass deshalb hier auch natürlich die Kritik ansetzt. Nur die Kritik auf diesen Punkten aufzuhängen und sagen, da kann man alles verwerfen, das halte ich für zu vorschnell, sondern man muss auch die Gnade haben, einen Blick über die Schwächen hinaus auf das Ganze zu werfen. Und damit muss man sich kritisch auseinandersetzen.
Schossig: Wo lag Troja? Der Innsbrucker Althistoriker und Orientalist Robert Rollinger über den antiken Landstrich Kilikien in Kleinasien und die Ilias.