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Smartphone-Anwendung "Bureaucrazy"
Syrer entwickeln App zur Hilfe im Bürokratiedschungel

Deutsche scheitern regelmäßig an der hiesigen Bürokratie, Neuankömmlinge kommen noch schlechter zurecht. Eine Gruppe syrischer Flüchtlinge will Abhilfe schaffen und hat eine Handy-App mit dem Namen "Bureaucrazy" entwickelt. Sie soll Migranten als Wegweiser durch den deutschen Behördendschungel dienen.

Von Verena Kemna | 17.08.2016
    Zwei Flüchtlinge in einer Notunterkunft in Stuttgart mit ihren Smartphones
    Die Handy-App liefert Hilfe für Flüchtlinge auf ihrem Weg durch den Behördendschungel. (dpa / picture alliance / Marijan Murat)
    Omar Alshafai lebt seit über einem Jahr in Berlin. Eine tolle Stadt sagt der schlanke Mann aus Damaskus. Er trägt ein dunkles Hemd und Jackett. Der 31-Jährige freut sich. Gerade erst hat er den monatelangen Integrationskurs beendet und die Sprachprüfung mit Bestnote bestanden. Einziger Wermutstropfen: Das Vorstellungsgespräch für einen Ausbildungsplatz bei Siemens war nicht erfolgreich. Omar Alshafai wurde auf das nächste Jahr vertröstet. Nun hat er viel Zeit, um weiter an einer App zu arbeiten, die bereits für Aufsehen sorgt, lange bevor das Projekt beendet ist. Auf seinem Smartphone testet er den Prototypen:
    "Also hier kann man ein Formular ausfüllen. Hier kann man die Sprache wählen, englisch, deutsch, arabisch. Wir machen andere Sprachen später, italienisch, französisch vielleicht. Was braucht er, Bankaccount oder beim Jobcenter anmelden und hier suchen wir einen Doktor, zum Beispiel mit meiner Muttersprache, arabisch für mich zum Beispiel, wie kann ich Deutsch lernen?"
    Fast alle sind Quereinsteiger in der Informatik
    Er weiß, wie kompliziert es ist, sich im deutschen Behördendschungel zurechtzufinden. So läuft die App unter dem Namen "Bureaucrazy", was so viel bedeutet wie "verrückte Bürokratie". Omar Alshafai klickt eine Seite weiter, ein Berliner Stadtplan erscheint. Rote Punkte verweisen auf Behörden, die für alle, die sich in der Hauptstadt neu orientieren müssen, wichtig sind.
    "Hier gibt es auch eine Karte von Berlin und mit dieser Karte gibt es viele wichtige Adressen. Mit einem Klick kann man die Adresse finden. Zum Beispiel Bundesamt, Lageso, Bürgeramt, Ausländerbehörde. Ja, ich glaube, das war's."
    Das gemeinnützig aufgestellte Start-up "ReDi-School", ein nicht Profit orientiertes Unternehmen, bietet Flüchtlingen regelmäßig Informatikkurse an. In einem dieser Kurse haben sich Omar Alshafai, Ahmad Alarashi und sechs andere Syrer in der Projektgruppe "Bureaucrazy" zusammen getan. Fast alle sind Quereinsteiger in der Informatik, so auch Ahmad Alarashi aus Damaskus. Der Syrer hat einen Bachelor in Economy and Finance.
    "Ich bin mit meiner Familie, ich bin 30 Jahre, ich bin in der Schule, ich lerne Deutsch im Deutschkurs, Berlin ist sehr schön, ich kenne viele Leute hier, ich habe viele Freunde und Kollegen."
    Über Erfahrungen mit der Bürokratie lässt sich besser auf Englisch sprechen
    Viele hat er in den Programmierkursen kennengelernt. Sich vernetzen und Projekte entwickeln, die das Leben erleichtern, es gehört zum Konzept der ReDi-School. Außerdem machen eigene Projekte das Lernen leichter, so die Erfahrung der vielen Mentoren und ehrenamtlichen Lehrer die hinter dem Start-up stehen. Omar Alshafai und Ahmed Alarashi lernen also nicht nur Programmiersprachen, sie können ihre neuen Fähigkeiten gleich bei der Entwicklung der eigenen App testen. Dass der Markt diese App dringend braucht, davon ist auch der gelernte Buchhalter aus Damaskus überzeugt. Über seine Erfahrungen mit der deutschen Bürokratie möchte er lieber auf Englisch sprechen. Sein Deutsch sei einfach noch nicht gut genug. Ahmed Alarashi:
    "Als ich das erste Mal bei der Ausländerbehörde war, habe ich sechs Stunden Schlange gestanden. Drinnen hat mir die Frau am Schalter dann gesagt, dass ich im falschen Gebäude sei. Sie hat mich dann in ein anderes Gebäude geschickt, doch dort gab es an diesem Tag keinen Termin mehr. Ich sollte am nächsten Tag wiederkommen."
    Es gibt Nachfragen aus aller Welt
    Auch im Bürgeramt war er komplett verloren, niemand dort sprach ein Wort Englisch. Nur im Jobcenter hätten die Mitarbeiter ihm weiterhelfen können. Mit der neuen App "Bureaucrazy" sollte so etwas nicht mehr passieren, hofft er. Für Ahmed Alarashi haben sich die Dinge gut entwickelt. Er hat einen Praktikumsplatz bei einer Bank. Im November kann er anfangen.
    "Ich hoffe, dass ich für mich und meine Familie in Deutschland etwas erreichen kann."
    Sein Freund Omar Alshafai hat inzwischen auf Deutsch notiert, dass die App auch dabei helfen solle, zu wissen, bei welcher Behörde, welche Papiere notwendig sind. Und er möchte noch etwas loswerden.
    "Es gibt viele schlechte Nachrichten über die Geflüchteten, aber es gibt auch gute Nachrichten. Es gibt viele Menschen die sehr, sehr gute Sachen gemacht haben und die Medien haben nicht bemerkt? Wir als Bureaucrazy Gruppe wir möchten ein bisschen an Berlin zurückgeben."
    Es gibt Nachfragen aus aller Welt, spätestens im Januar soll die kostenlose App den Markt erobern.