Donnerstag, 25. April 2024

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Sommerloch bei ARD und ZDF
Die Leere sinnlos füllen

"Tatort" in der Wiederholungsschleife - der Anblick des öffentlich-rechtlichen Fernsehsommers löst bei unserem Kolumnisten einen Gähnreflex aus. Ihn ärgert, wie wenig die Sender dem Publikum anscheinend zutrauen. Die Zuschauerinnen hätten zwar mitbestimmen, aber nicht wirklich etwas ändern können.

Von Matthias Dell | 15.07.2020
Man liegt mit geschlossenen Augen vor einem eingeschalteten Fernseher
Einschlafen vor dem Fernseher - das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender, macht das diesen Sommer besonders einfach, meint Matthias Dell (imago images / Shotshop)
Im Sommer sendet das Fernsehen traditionell Wiederholungen. Auch wenn keine Pandemie herrscht und die großen Sportereignisse ausfallen, mit denen sonst stundenlang Programm gemacht worden wäre.
Beim "Tatort" ist das schon seit Jahren so, wobei die ARD-Pressestelle großen Wert darauf legt, dass es eben keine "Tatort"-Sommerpause gibt, sondern lediglich keine neuen Filme. Genau genommen muss man also von der "Tatort"-Erstausstrahlungspause sprechen.
Für die "Tatort"-Erstausstrahlungspause 2020 hat sich die ARD etwas Besonderes überlegt, ebenfalls unabhängig von der Pandemie. Weil die beliebte Sendereihe, das Immer-noch-Prunkstück des Ersten, im Herbst 50 Jahre alt wird, darf das Publikum jede Woche seinen liebsten "Tatort" küren.
Das Logo der ARD-Reihe "Tatort"
"Tatort" statt Sport
Da in diesem Jahr Sportgroßereignisse ausfallen, sind bei ARD und ZDF im Sommer noch mehr Programmstunden zu füllen als sonst. Zu befürchten ist ein Festival der Wiederholungen.

Ältere Filme traut man dem Publikum anscheinend nicht zu
50 Filme hat die ARD vorauswählen lassen, und zwar nach Quotenstärke, schön gerecht verteilt auf alle Sender des Verbundes. Und dann sollen die Leute abstimmen und die Folge mit den meisten Stimmen wird gesendet.
Der Schmu bei der ganzen Sache ist: Der älteste Film im Angebot stammt von 1999. Das heißt, die ARD feiert eigentlich 21 Jahre "Tatort".
Die Erklärung dafür lautet: Sehgewohnheiten. Dass, so die Annahme, Leute vor dem Fernseher Allergie, Herzinfarkt oder Übelkeit kriegen, wenn sie im Fernsehen einen Film entdecken, der nicht aussieht wie das immer gleiche Bewegtbild sonst. Es ist traurig, dass Menschen, die so denken, öffentlich-rechtliches Fernsehen verantworten dürfen.
Nicht die einzige "Tatort"-Wiederholungsstrecke
Wie langweilig das Ergebnis ist, lässt sich an den bisher gesendeten Wunsch-"Tatort"-Folgen ablesen. Bis auf die erste, eine misogyne Münchner Folge von 2003, handelte es sich um Darlings aus der letzten Zeit – um zwei Folgen mit Thiel und Boerne von 2015 und 2017 und eine aus Dortmund aus dem selben Jahr. Mit anderen Worten: um Filme, für die die ARD überhaupt keine Abstimmung gebraucht hätte, weil sie eh laufend wiederholt werden.
Eine Filmklappe
Programmlücken bei ARD und ZDF - "Chance, kreativ zu sein"
Die Coronakrise berge für ARD und ZDF die Chance, kreativ zu sein, sagte DWDL-Chefredakteur Thomas Lückerath im Dlf: "Hoffen wir, dass es nicht nur Krimiwiederholungen werden."
Damit nicht genug der Rosstäuscherei! Am Freitagabend sendet die ARD aktuell eine weitere Strecke mit "Tatort"-Wiederholungen, die scheinbar ebenfalls dem Jubiläum gewidmet sind.
Die ARD spricht nämlich von "Tatort-Klassikern" - Highlights wie "Blechschaden" von 1971, "Rot, rot, tot" mit Curd Jürgens oder den Berliner Experimental-Streich "Ein Hauch von Hollywood" vom Ende der neunziger Jahre sucht man dort aber vergebens. Genauso wie Geschichte: Die älteste bislang programmierte Folge datiert von 1996. Ganz am Ende der Reihe soll der erste Schimanski-"Tatort" gezeigt werden, der ist von 1981.
Hamburg in der DDR
Immerhin: Wohin diese Geschichtslosigkeit fährt, kann man aktuell auf der Website des öffentlich-rechtlichen Spartenkanals Phoenix sehen, wo für Donnerstag, den 16. Juli, die Ausstrahlung von Andreas Goldsteins schönem und unbedingt sehenswertem Dokumentarfilm "Der Funktionär" angekündigt ist – eine essayistische Auseinandersetzung des Sohnes mit dem Vater, Klaus Gysi, der Minister und Botschafter war in der DDR und ein Symbol dafür, wie das Land von seinen großen Idealen in graue Bürokratie hineingescheitert ist.
Die Ankündigung zum Film auf der Homepage zeigt nun ein Schwarzweiß-Foto, unter dem steht: "Straßenszene in der DDR". Auf dem Bild sind Trabis und Wartburgs zu sehen, also Autos aus der DDR, aber hinter diesen Autos ist das Cafe Keese zu entdecken, eine Las Vegas-Spielhalle, das Hotel Hanseat, ein Sex-Kino. Bei der Straße handelt es sich um die Hamburger Reeperbahn.
Bildungsauftrag, warum hast du uns verlassen? Hamburg liegt in der DDR. Und der "Tatort" wird dieses Jahr 21 Jahre alt.
Matthias Dell
Matthias Dell, Jahrgang 1976, studierte Komparatistik und Theaterwissenschaft in Berlin und Paris. Er schrieb von 2004 bis 2014 für das Medien-Watchblog "Altpapier" und veröffentlicht jeden Sonntag nach der Ausstrahlung eine Kritik zum aktuellen "Tatort" beziehungsweise "Polizeiruf" auf Zeit Online. 2012 erschien sein Buch "'Herrlich inkorrekt'. Die Thiel-Boerne-Tatorte" bei Bertz+Fischer.