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Soziale Architektur
Wohnboxen für Obdachlose

Es begann in New York – dort hat der Innenarchitekt Gregory Kloehn ein Zeichen gesetzt, gegen Ignoranz und Armut. Aus Materialien, die er auf dem Sperrmüll findet, baut er kleine Miniatur-Häuser für Menschen, die sonst auf Pappe oder eingehüllt in Schlafsäcken schlafen. Der Hobby-Schreiner Sven Lüdecke war so begeistert, dass er die Idee nach Köln geholt hat.

Von Julia Batist | 22.11.2016
    Zum Schluss werden die Boxen mit Graffiti besprüht.
    Zum Schluss werden die Boxen mit Graffiti besprüht. (Sven Lüdecke)
    Sven Lüdecke sägt einen Dachbalken zurecht. Das grobe Gerüst für sein neuestes Mini-Haus steht schon.
    "Das ist der Boden, drei miteinander zusammen genagelte Europaletten. Genau, oben drauf kommen noch Platten, da kommen zwölf Rollen drunter. Die Wände werden verkleidet, die werden gegen Brandschutz gestrichen und bekommen Blauschimmelschutz. Und dann bekommt es eine Außenfarbe und fertig."
    Wohnboxen nennt Lüdecke seine kleinen, mobilen Hütten. Sie sind etwa zweieinhalb Meter lang, so breit wie ein kleines Doppelbett und gerade einmal ein Meter und Sechzig hoch. In jeder fertigen Box gibt es eine Matratze, einen kleinen Tisch und eine Ablage.
    "Der Vorteil von den Hütten ist: Es ist geschützt vor Wind und Wetter. Die Einflüsse von draußen kühlen mich als Mensch nicht so schnell aus. Dann hab ich eine Matratze, da lieg ich eh weicher. Von unten kann die Kälte nicht so schnell nach oben ziehen, da ist ja Schaumstoff dazwischen."
    Ein Häuschen kostet rund 500 Euro. Die zahlt Lüdecke selbst. Gebrauchte Matratzen sponsort eine Hotelkette. Das ehrenamtliche Projekt ist durch die sozialen und klassischen Medien bekannt geworden. Mittlerweile melden sich freiwillige Helfer aus ganz Deutschland. Lüdeckes Vorbild ist der Innenarchitekt Gregory Kloehn. Der kalifornische Künstler baut kleine Häuser aus Sperrmüll und verschenkt sie. Zuerst als Kunstprojekt gedacht, wurde daraus soziale Architektur: bezahlbares Wohnen im urbanen Raum einer vielschichtigen Gesellschaft.
    In London gibt es bereits eine ähnliche Initiative, in Deutschland nun Sven Lüdecke, dem ist der architektur-theoretische Ansatz allerdings egal:
    "Das Bauen mache ich gerne, weil ich so einen Ausgleich habe zu meinem Job als Fotograf. So habe ich was Nachhaltiges und mache jemanden mit glücklich, der weniger hat als ich."
    Etwa 500 Euro kostet der Bau einer Wohnbox. Sven Lüdecke verschenkt sie.
    Etwa 500 Euro kostet der Bau einer Wohnbox. Sven Lüdecke verschenkt sie. (Sven Lüdecke)
    Drei fertige Boxen stehen schon auf Privatgelände. Abschleppfirmen transportieren sie zum Wunschplatz der Bewohner - auf Sven Lüdeckes Kosten. Er geht auf der Straße auf Obdachlose zu und erzählt von seiner Idee. Wer eine Wohnbox bei ihm bestellt, darf mit planen. Gerade sucht Lüdecke seinen zukünftigen Abnehmer am Bahnhof um über die Ausstattung zu sprechen. Da klingelt das Telefon.
    "Ja, das war jetzt der Leiter vom Bauamt. Mit dem habe ich gerade gesprochen und der hat mich nochmal darauf hingewiesen: Brandschutz, Isolierung. Dass ich doch eine Baugenehmigung dafür brauchen werde, wenn der länger als drei Monate irgendwo steht."
    Bedenken, die Häuser könnten dem Stadtbild schaden und Fragen zur Sicherheit nimmt Sven Lüdecke ernst. Er bleibt mit der Stadt im Gespräch. In einem Park trifft er den Tschechen Peter. Der 33-Jährige lebt seit 17 Jahren auf der Straße. Das Häuschen soll ihm und seinem 13 Jahre alten Hund in diesem Winter Schutz bieten.
    "Komm am Samstag. Dann bauen wir zusammen. - Samstag, super. Machen wir. Das ist bombastisch. Ich bin starke, junge Mann. Ich kann richtig anpacken. Ich kenne Leute und Menschen und diese Mensch hat richtig gute Herz."
    Seinem ebenfalls obdachlosen Freund Patrick, Ende zwanzig, macht Sven Lüdecke spontan ein Angebot. Er zeigt ihm Fotos auf seinem Handy.
    "Das ist jetzt deins. Wir können am Samstag Graffiti-Dosen besorgen und dann könnt ihr den besprühen." - "Danke." - "Ich bin ein bisschen überwältigt. Das ist super, dass er sich so heftig dafür engagiert."
    Die Stadt argumentiert zwar, niemand müsse in Köln auf der Straße schlafen, doch die Realität sieht oft anders aus:
    "Die Notschlafsstellen in Köln, die sind sehr asozial. Die Leute haben neben mir komische Drogen geraucht, einer hat mit seinem Messer rumgespielt."
    Gebrauchte Matratzen sponsort eine Hotelkette.
    Gebrauchte Matratzen sponsort eine Hotelkette. (Sven Lüdecke)
    Längst gibt es eine Warteliste für die Wohnboxen. Vorwürfe, er wolle mit seinem Projekt Geld verdienen, quittiert Sven Lüdecke mit einem Lächeln. Er ist kein Architekt und kein Stadtplaner, verfolgt keine eigenen Interessen:
    "Ich verschenke diese Häuser, ich nehme gar nichts dafür. Es wird weiter so gehen. Die bekommen ein Schloss, die bekommen einen Schlüssel und dann bin ich weg. Und dann habe ich damit nichts mehr zu tun."
    Architektur mit sozialem Anspruch scheint auf dem Vormarsch zu sein. Das Vorbild aus Amerika findet gerade immer mehr Nachahmer. In Köln wird eine Schulklasse im Unterricht eine Wohnbox bauen.