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Spanien: Hilfe zur Selbsthilfe - die Kooperative "Sinérgias"

In Spanien ist die Hälfte der unter 25-Jährigen ohne Arbeit. So verwundert es nicht, dass die Protestbewegung der sogenannten Empörten am Wochenende mit Kundgebungen ihr einjähriges Bestehen gefeiert hat. Aus ihr ist die Kooperative "Sinérgias", zu deutsch Synergien, hervorgegangen, die Aufträge an arbeitslose Profis vermitteln will.

Von Hans-Günther Kellner | 14.05.2012
    Es sind die ersten wirklich heißen Tage in Madrid, es sitzen mehr Menschen vor dem Büro der Nachbarschaftsinitiative des Stadtteils Madrid als drinnen. Israel Mateos und Luis Vallejos blicken hingegen auf den Computerbildschirm im Büro. Sie arbeiten an einer Datenbank für ihre Kooperative Sinérgias – zu deutsch Synergien, erklärt der 28-jährige Informatiker Israel, den ein langer grau melierter Bart ziert:

    "Sinérgias entstand aus der Arbeitsgruppe Wirtschaft der Protestbewegung der Empörten. Wir sind eine Kooperative, die hier im Stadtteil San Blas arbeitet. Mehr als ein Drittel der Menschen hier in Viertel ist arbeitslos. Arbeit gibt es allerdings immer noch. Die Waschmaschinen gehen ja weiter kaputt, die Leute wollen ihre Wände streichen. Elektriker, Maurer, Maler werden also weiter gebraucht."

    Und die Kooperative will solche Aufträge nun an die arbeitslosen Profis vermitteln. Abgerechnet wird über die Kooperative. Es sind nicht nur jugendliche Arbeitslose dabei, aber die jungen Protestierenden hatten die Idee dazu. Luis hatte sogar schon sein eigenes Unternehmen.

    "Klar, ich habe gearbeitet, in meiner Branche, als Schreiner. Mein Bruder und ich richteten Büros ein, wir hatten uns auf mobile Trennwände spezialisiert. Aber mit der Krise haben die Kunden ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt und wir blieben auf unseren Kosten sitzen. Auch das Innenministerium ist für unsere Pleite verantwortlich, denn wir haben auch Polizeiwachen eingerichtet. Aber dann zahlte nicht einmal mehr das Ministerium. Wir mussten schließen."

    Israel ist der Informatiker der Kooperative, er macht derzeit aber auch eine Fortbildung zum Netzwerk-Experten. So wie er, versuchen viele andere junge Spanier, mit Weiterbildungen und Aufbaustudiengängen die Zeit einigermaßen sinnvoll zu nutzen, bis der Arbeitsmarkt sich erholt hat. Doch Israel hat Zweifel, ob er damit wirklich bessere Chancen hat:

    "Da ist man dann so gut ausgebildet, dass die Unternehmen sich nicht mehr für einen interessieren. Mir wurde schon gesagt, dass ich ja besser qualifiziert bin als der Chef. Das gehe nicht. Solche Bewerbungsgespräche sind schon sehr deprimierend. Soll ich beim nächsten Mal etwa lügen und sagen, dass ich keinen Hochschulabschluss habe? Das kann doch nicht sein!"

    Israel und Luis haben beide schon Berufserfahrung – und damit haben sie anderen jungen Spaniern etwas voraus. Denn viele finden nur noch unbezahlte Praktika. Macu kommt ins Büro. Er hat sein Politik-Studium zügig abgeschlossen, hat zwei Auslandssemester in Portugal studiert, einen Master in politischer Kommunikation gemacht und ein freiwilliges europäisches Jahr in Mazedonien geleistet. Aber bezahlte Arbeit findet er nicht. Trotzdem will sich der schlaksige junge Spanier nicht entmutigen lassen:

    "Ich habe immer noch meine Träume. Ich will meine eigenen Projekte aufbauen. Ich möchte für eine regierungsunabhängige Organisation arbeiten - aber eigenverantwortlich mit meinen eigenen Projekten. Ich würde gerne in der politischen Kommunikation arbeiten, die unserer Gesellschaft so sehr fehlt. Damit meine ich nicht, über Leute entscheiden zu können, sondern, meine Arbeit selbst zu organisieren."

    Aber so richtig klar sind seine Vorstellungen nicht. An seinem Beispiel wird ein großes Problem des spanischen Arbeitsmarkts deutlich: Schulen, Hochschulen und vor allem Arbeitsämter sind schlicht überfordert. Sie können den jungen Arbeitssuchenden keine Orientierung geben. Daran habe auch eine jüngste umfangreiche Arbeitsmarktreform der spanischen Regierung nichts geändert, beklagen die Drei. Macu will gerne bei Sinérgias mitmachen. Gleichzeitig sieht er aber auch: Die Kooperative ist vor allem für jene eine Plattform, die ein Handwerk erlernt haben. Als Politologe hat er da schlechte Karten. Macu wirkt nicht frustriert, aber die Aussichten sind schlecht:

    "Wir aus dieser verlorenen Generation können nichts langfristig planen. Was bleibt uns? Viele Freunde bewerben sich um Stipendien und für Praktika. Und wenn eines vorbei ist, suchen sie sich das Nächste. Aber das kann man doch auch nur bis 30 machen. Und dann? Irgendwann muss man doch anfangen zu arbeiten. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als zu kämpfen."