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Spanien kämpft gegen die Überalterung

Spaniens Ministerpräsident Zapatero droht Protest gegen seine Rentenpläne. Die Spanier sollen künftig bis 67 arbeiten und mindestens 25 Jahre lang in die Rentenkasse einbezahlen - sonst kippt das System.

Von Hans-Günter Kellner | 23.02.2010
    Noch ist alles in Ordnung. Die spanische Rentenkasse benötigt keine Zuschüsse aus dem Staatshaushalt, im Gegenteil: Sie nimmt mehr ein als nötig. Der Überschuss wird auf dem Finanzmarkt angelegt. Trotzdem leben Spaniens Ruheständler meist bescheiden. Bei rund 620 Euro liegt die spanische Durchschnittsrente. Margarita Rodrigo de Frutos und Josefa Serrano bekommen mit je 800 Euro sogar etwas mehr – müssen aber trotzdem auf jeden Cent achten:

    "Es ist kompliziert. Wir sind eben mit wenig zufrieden. Statt eines Rinderfilets für 16 Euro das Kilo kaufe ich mir eben das Fleisch für vier Euro. Ein richtiges Kleid kaufe ich mir seit Jahren schon nicht mehr. Wenn ich etwas brauche, hole ich es mir auf dem Flohmarkt. Hemden für einen Euro oder Schuhe für sechs Euro. Die kann ich aber doch nicht anziehen, die sind aus Plastik und machen mir die Füße kaputt."

    Spaniens Bevölkerungspyramide kippt um. Heute kommen auf einen Rentner vier Werktätige, hat eine Studie der Versicherungsträger ausgerechnet. 2050 müssten dann nur noch zwei Arbeiter die Rente eines Ruheständlers finanzieren. Schon 2022 werde das gegenwärtige staatliche Rentensystem nicht mehr tragfähig sein, so die Autoren der Studie. Der Reformvorschlag der Regierung, mindestens 25 statt bisher 15 Jahre in die Rentenkasse einzahlen zu müssen und das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre heraufzusetzen, stößt dennoch auf wenig Sympathie:

    "Es stimmt, wenn es jetzt immer mehr Rentner und weniger Arbeiter gibt, dann muss etwas unternommen werden. Aber vielleicht müsste auch mehr dafür getan werden, dass alle Arbeit haben und somit auch Beitragszahler werden. Vor allem die Jungen, von denen jetzt so viele arbeitslos sind. Man müsste auch etwas gegen die Frühpensionierungen in den Unternehmen tun. Dort werden die Leute mit 52, 55 oder 58 nach Hause geschickt."

    Vor allem die großen spanischen Unternehmen legen seit Jahren immer wieder Restrukturierungspläne vor, mit denen sie ihre Belegschaft verkleinern. Alvaro Barreiro war 33 Jahre lang beim spanischen Telefoniekonzern Telefónica angestellt. Vor vier Jahren – da war er 52 - sollte er gehen. Mehr als 26.000 Beschäftigte hat das Unternehmen auf diese Weise seit dem Jahr 2000 in den Vorruhestand geschickt, zuletzt traf es sogar die 48-Jährigen. Doch Alvaro Barreiro weigerte sich:

    "Als ich 51 war, begann das Mobbing. Mir wurde gesagt, entweder Du gehst, oder wir haben keine Arbeit für Dich. Dann haben sie mich in ein Call-Center geschickt. Ich war bereit, diese Arbeit zu machen, warnte aber vor den Konsequenzen. Denn gleiche Arbeit muss auch gleich entlohnt werden. Sie hätten also das Gehalt für alle Kolleginnen dort meinem Gehalt anpassen müssen. So habe ich dort jetzt seit vier Jahren gar nichts mehr zu tun."

    Diesen Druck halten nicht viele aus und gehen dann doch, obwohl sie lieber weiter arbeiten – und somit auch Beiträge zahlen würden. Viele Unternehmen mit hohen Gewinnen reduzieren folglich auf Kosten des Sozialsystems ihre Belegschaft, während der Rest nun länger Beiträge und erst mit 67 in Rente gehen soll. Gleichzeitig liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien bei 40 Prozent. Und viele befristete Arbeitsverhältnisse sind von der Sozialversicherung befreit. Wie sie da einmal auf 25 Beitragsjahre kommen soll, weiß auch die 21-jährige Yolanda Hidalgo nicht:

    "Bei dieser Arbeitslosigkeit ist es den Leuten zweitrangig, ob sie Beiträge abführen oder nicht. Entweder, du hast irgendeine Arbeit oder du stehst eben auf der Straße. Da nimmt man manchmal auch Schwarzarbeit in Kauf. Aber Schuld daran haben doch die Leute, die so viel Schwarzgeld haben und keine Sozialbeiträge abführen wollen. Damit gehen der Rentenkasse wieder Beiträge verloren."

    Doch selbst wenn die Massenarbeitslosigkeit wieder sinken und die Frühpensionierungen eingeschränkt würden: Der Wandel in der Bevölkerungsstruktur wird gerade für die Jungen zum Problem, weiß auch die 21-Jährige. Ihre Generation wird die Kosten dieses Wandels ja finanzieren. Trotzdem will auch sie an der Demonstration gegen die Reformpläne der Regierung teilnehmen. Ihr Lösungsvorschlag:

    "Ich finde schon, dass ich mit meinen Beiträgen die Renten von heute zahlen sollte. Wir müssen solidarisch untereinander sein, sonst gehen wir alle unter. Natürlich habe ich auch Angst, dass das System eines Tages nicht mehr funktioniert. Aber ich bin da eher für eine Finanzierung aus Steuern, Steuererhöhungen und eine stärkere Kontrolle der Steueroasen."