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Spiel mit Virtualität

Dan Ettinger und Achim Freyer deuten "Siegfried" von Richard Wagner am Nationaltheater Mannheim. Zu sehen ist eine "ganz neue Siegfried-Deutung", sagt Jörn Florian Fuchs. Die wirklichen Figuren würden nie so auftauchen, wie man es eigentlich erwartet.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Christoph Schmitz | 03.12.2012
    Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843
    Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843 (picture alliance / dpa / Zentralbild)
    Christoph Schmitz: Die Ringe werden seit einigen Jahren mit blick aufs Wagner-Jubiläum 2013 überall in Deutschland, in Übersee, letzte Woche gar in Buenos Aires geschmiedet. Richard Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" ist ein Paradestück für die Bühnen, die aber dann alle Kräfte bündeln müssen, um es zu stemmen. Am südlichen Rhein haben sich gleich zwei Häuser dem Mythenkosmos verschrieben. Am Pfalzbau in Ludwigshafen in Kooperation mit Halle hat der Regisseur Hansgünther Heyme mit der "Götterdämmerung" eine völlig korrumpierte Welt untergehen lassen – mit musikalischem Erfolg. In Mannheim ist der Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Achim Freyer jetzt beim "Siegfried" angekommen, Dan Ettinger dirigiert. Achim Freyer, der "Visionär des deutschen Theaters", hatte vor wenigen Jahren noch einen spektakulären Ring in Los Angeles hingelegt.

    Jetzt Jörn Florian Fuchs zu Freyers Mannheimer "Siegfried" – da wird auch Puppentheater gespielt. Freyer war in seiner DDR-Zeit, bevor er stiften ging, einmal am Puppentheater Dresden aktiv. Welche Puppenstrippen zieht er jetzt beim "Siegfried", Jörn Florian Fuchs?

    Jörn Florian Fuchs: Das ist vor allen Dingen eine Verdoppelung der Handlung, oder auch eine Vorwegnahme. Man sieht also Siegfried, wie er Mime tötet in Form eines Puppenspiels, was in den vorherigen Ringteilen auch schon war. Zum Teil sind es Puppenspieler, die diese Figuren führen, zum anderen sind es einfach nur Figurinen oder Puppen, die auf der Bühne sind und bewegt werden, ohne dass da Menschen noch dahinter sind. Das sind so Elemente, die immer wieder hineinrauschen und die gleichsam die Handlung vorwegnehmen, oder manche Figuren schwingen geradezu herein in diesen Raum, in die aktuelle Handlung, wo man gerade ist, die dann gleichsam einen Assoziationsraum und Verweise eröffnen.

    Schmitz: Welche szenischen, visionären, suggestiven Bild- und Farbwelten, für die Freyer ja berühmt ist, entwickelt er?

    Fuchs: Es ist wirklich wieder ein Freyer-Raum. Er hat ja auch Bühne und Kostüme geschaffen, alles zusammen, auch das Licht verantwortet. Das bedeutet, es ist sehr farbig, es ist zum Teil sehr abstrakt, es ist alles extrem stilisiert. Die wirklichen Figuren tauchen nie so auf, wie man es eigentlich erwartet. Es wirkt manchmal wie Figuren aus einem Horrorfilm regelrecht. Und es ist hier jetzt eine ganz neue Siegfried-Deutung, finde ich eigentlich. Ich habe zumindest das noch nie so gesehen. Siegfried ist gefesselt an ein Krankenbett und wird am Anfang von Wotan, der auftaucht als stille Figur, und von Mime gequält, beziehungsweise es gibt einen Machtkampf zwischen diesen beiden in Bezug auf den Einfluss, die sie auf Siegfried nehmen. Er ist auf diesem Krankenbett, neben ihm ein Stofftier, auch das gefesselt, und er ist angeschlossen an ein ganz groteskes Gerät mit lauter Schläuchen und offenbar wird er am Anfang sediert. Das heißt, auch die Szene, wo er einen Bären nach Hause bringt, wo er eigentlich sich im Raum bewegt, das findet nur im Krankenbett statt und es gibt über Monitore einzelne Bilder aus der Natur. Das ist also ein Spiel auch mit Virtualität, das Freyer da betreibt, wobei eine seltsame Figur immer wieder auftaucht, nämlich ein Eisbär, der eigentlich völlig sinnfrei durch die Szenerie huscht, und auf einmal macht dieses sinnfreie dann doch für einen Augenblick Sinn, und da, denke ich, ist der Bezug da, den Freyer im Programmheft herstellt, nämlich zu Cage. Auch der Zufall, auch die Prinzipien von Cage, auch Fluxus, all das läuft in diesem Siegfried zusammen auf eine ganz phänomenale Weise, wenn man davon absieht, dass das eine ganz starke kreative zwar, aber eine Überforderung für das ganze Ensemble ist. Man merkt, es ist handgemacht. Es kommt auch noch eine Brecht-Gardine vor, vor und hinter der gespielt wird, und manchmal sieht man eben, dass sie sich nicht von Geisterhand bewegt, sondern dass da doch Theaterarbeiter sind aus dem Freyer-Ensemble. Also nicht jedes kleine technische Detail funktioniert dann hundertprozentig.

    Schmitz: Und wie lässt es sich singen bei dieser großen szenischen Inanspruchnahme? Der Titelheld, wie hat er gesungen?

    Fuchs: Jürgen Müller hat seine Sache ordentlich gemacht. Er singt die Partie sehr häufig im Moment. Das merkt man einfach, dass er streckenweise doch konditionsmäßig an die Grenzen einfach kommt. Auch Judith Nemeth, eine Brünhilde, die das im Moment rauf und runter singt an allen möglichen Häusern, hat teilweise Energieprobleme. Bei ihr kommt dazu, dass sie im dritten Akt in einem riesigen Brautkleid im Bühnenhimmel hängt buchstäblich, und Siegfried muss dann irgendwie gucken, dass er zu ihr kommt. Das ist ganz interessant gemacht, aber das ist natürlich eine Herausforderung. Man muss sozusagen auch schwindelfrei sein. Die besten Sängerbesetzungen waren, fand ich, Thomas Jesatko als Wanderer und dann vor allen Dingen der Alberich von Jürgen Linn an diesem Abend.

    Schmitz: Sie haben ein kleines Musikbeispiel mitgebracht?

    Fuchs: Ja. Dan Ettinger, der im "Rheingold" etwas glücklos war, die "Walküre" schon etwas besser dirigiert hat, hat jetzt einen ziemlich formvollendeten satten Wagner-Klang, der doch etwas beschwingt oder beswingt ist auch, geboten. Wir hören mal rein: das Vorspiel zum dritten Akt.


    Fuchs: Wenn man das alles zusammenfassen will, könnte man sagen, es ist einerseits ein sehr abstrakter, fast maschinenhafter Raum, der aber doch mit einer ganz eigenwilligen Metaphysik zusammenläuft, und ist schlussendlich, denke ich, eine der spannendsten Ring- oder zumindest Siegfried-Deutungen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe.

    Schmitz: Jörn Florian Fuchs, vielen Dank für diesen Bericht über die Premiere des "Siegfried" von Richard Wagner am Nationaltheater in Mannheim.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.