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Sport-Größen in der Warteschleife

Die Ruhmeshalle des deutschen Sports, neudeutsch "Hall of Fame” genannt, war stets umstritten. Im Frühjahr 2008 wurde sie eingeweiht. Es gab Kritik an den Nominierungen: Wie soll man umgehen mit politisch Belasteten aus der NS-Zeit und aus der Zeit des DDR-Regimes. Seit einem Jahr liegen 20 Mitgliedschaften auf Eis.

Von Jens Weinreich | 05.09.2010
    Die Neuaufnahmen in die "Hall of Fame” verzögern sich weiter. Was für Ende 2009 geplant war, soll nun bis Ende 2010 erfolgen, sagt Sporthilfe-Sprecher Hans-Joachim Elz. Eventuell wird es noch in diesem Jahr eine Feierstunde geben - natürlich mit dem Bundespräsidenten, darunter macht es die Sporthilfe nicht. Verhandlungen laufen:

    ""Wir haben im Herbst 2009 erkannt, dass wir nicht so schnell vorgehen können, wie wir es ursprünglich in unserem Zeitplan hatten. Wir müssen noch die zur Aufnahme vorgeschlagenen Kandidaten durch die Birthler-Behörde prüfen lassen, und das nimmt doch mehr Zeit in Anspruch als wir gedacht hatten. Es werden sowohl die aus dem Osten als auch die aus dem Westen geprüft. Wir machen da keinen Unterschied. Wir schätzen, dass wir circa 20 Personen werden aufnehmen können.”"

    Außer der Stasi-Überprüfung soll es auch einen inoffiziellen Doping-Check geben - wobei Unterlagen fast nur für den Osten vorliegen, kaum für den Westen. Und alles läuft in den üblichen Sporthilfe-Zirkeln, die beispielsweise vor zwei Jahren in der Frage der NSDAP-Zugehörigkeit von fünf "Hall-of-Fame”-Mitgliedern durchaus großzügig waren.

    Ein kleiner Rückblick ist nötig: Im Mai 2008 wurde die "Hall of Fame” eingeweiht. Erste 40 Mitglieder wurden die Gewinner der jährlich vergebenen "Goldenen Sportpyramide” - sowie Aktive und Funktionäre aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Medien wurden damals die NSDAP-Mitgliedschaften und darüber diskutiert, dass als einziger DDR-Sportler Roland Matthes in die "Hall of Fame” gelangte - als einer der Gewinner der Sportpyramide. Der ehemalige Sporthilfe-Chef Hans Wilhelm Gäb, Initiator der Ruhmeshalle, empörte sich:

    ""Wer der Sporthilfe hier nachgesagt hat oder der Jury nachgesagt hat, sie habe die DDR-Sportler ausgeklammert, und das kommentiert und weiter trägt, obwohl unsere Pressemitteilungen seit Wochen vorliegen, die den Modus dieser Wahl genau erklären und die auch deutlich gemacht haben, dass die DDR-Sportler hier überhaupt nicht in der Bewertung waren, genauso wenig wie eine Steffi Graf oder ein Armin Hary, dann macht mich das einfach traurig. Weil ich bin auch gelernter Sportjournalist, und ich finde: Da verkommt die Kritik.”"

    Bei einem Festakt im Deutschen Historischen Museum erhielt die "Hall of Fame” vom Bundespräsidenten und vom Bundesinnenminister höchste politische Weihen. Das war gewollt. Eine wirkliche öffentliche Diskussion aber nicht. Gäb damals:

    "”Sie können jetzt natürlich hier einzelne Namen hier rauspicken. Ich finde, das ganze Thema, sich mit Menschen zu beschäftigen, die in der Diktatur leben mussten, sich vielleicht falsch verhalten haben, vielleicht richtig, manche hatten den Mut, Widerstand zu leisten, das ist ja ohnehin so schwierig, da müssen wir nicht irgendetwas erfinden, um die eigene Meinung zu unterfüttern.”"

    Kurz darauf wurden Berthold Beitz und die Brandenburgerin Birgit Fischer aufgenommen, Deutschlands erfolgreichste olympische Sommersportlerin aller Zeiten. Es war gewissermaßen ein Kniefall vor dem Osten. Seither kamen drei Gewinner der "Sportpyramide” hinzu: Steffi Graf und Uli Hoeneß (West - das muss man bei diesem Thema erwähnen), und zuletzt im Mai 2010 Katarina Witt (Ost).

    Für die nächsten Kollektiv-Aufnahmen gab es drei Bedingungen: Die Sportler sollen noch leben, in der Nachkriegszeit bis 1972 erfolgreich gewesen sein, und "durch ihren Einsatz für die Ideen des Sports Geschichte geschrieben haben”.

    So genannte Experten trafen eine Vorauswahl von 36 Personen.

    Einige Namen aus dem Westen: Armin Hary, Bert Trautmann, das Eislaufpaar Kilius/Bäumler, Willi Holdorf, Georg Thoma, Liesel Westermann, Heide Ecker-Rosendahl.

    Einige Namen aus dem Osten: Karin Balzer, Wolfgang Behrendt, der erste DDR-Olympiasieger, Helmut Recknagel, Gustav-Adolf Schur, Renate Stecher.

    Dopingaufklärer wie etwa Brigitte Berendonk (West), Johanna Sperling oder Henner Misersky (Ost) kamen nicht auf die Liste, die im Juni 2009 mehreren tausend Mitgliedern des Verbandes Deutscher Sportjournalisten zuging. Außerdem durften die im DOSB vereinten Sport-Fachverbände Vorschläge unterbreiten.

    Fast alle Verbände haben reagiert - und etwa 500 Journalisten. Schon in den Auswahlzirkeln arbeiteten Journalisten mit - oftmals Ruheständler, aber auch aktive. Die Strategie scheint klar: Die Sporthilfe will Kritik vorbeugen, indem Journalisten in das Verfahren eingebunden werden. Hans-Joachim Elz argumentiert anders, natürlich:

    "”Nein, die Hall of Fame lebt von Öffentlichkeit. Und die Öffentlichkeit wird durch die Medien hergestellt. Von daher ist die Beteiligung der Medien nur legitim.”"

    In den vergangenen beiden Jahren hat sich eigentlich nur ein Verband zur "Hall of Fame” geäußert: die Leichtathleten beantragten die Aufnahme der Hochspringerin Gretel Bergmann, die als Jüdin nicht zu den Nazi-Olympics 1936 in Berlin zugelassen wurde. Ob die in New York lebende Gretel Bergmann aufgenommen wird, will Elz nicht verraten:

    "”Ich sage nichts über die Personen, die auf der Liste sind. Wir werden nur die Namen der Personen veröffentlichen, die letztendlich aufgenommen werden.”"

    Anders formuliert: Aus welchen Gründen von der Liste gestrichen wird, soll die Öffentlichkeit nicht erfahren.

    Theoretisch könnte so eine Ruhmeshalle ein virtueller Ort sein, in dem die Deutschen aus Ost und West ihre Vergangenheit diskutieren. Doch in der Praxis sieht es anders aus. Die Sporthilfe handelt zögerlich, überlässt die Nominierung den üblichen Verdächtigen und ist an keiner wirklich öffentlichen Debatte interessiert. Nicht über Nazis, nicht über möglicherweise schwer wiegende Stasi-Fälle, nicht über Doping in Ost und West.

    Die Diskussion aber kommt und wird sich, zum Beispiel, an der Person Gustav-Adolf Schur und dessen kruden politischen Ansichten entzünden. Gehört Täve Schur, beliebtester Sportler in 40 Jahren real existierender DDR, in eine deutsche "Hall of Fame”? Man darf aber auch fragen: Was wäre so eine Ruhmeshalle ohne Schur wert?