Dienstag, 23. April 2024

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Queersein im Fußball
"Wir müssen alle dazu beitragen, die Kultur zu ändern"

Mit Jake Daniels hat sich ein junger Fußballer offen zu seiner Homosexualität geäußert. Pia Mann vom Verein "Discover Football" sieht ihn als Vorbild für seine Generation, aber auch für ältere Spieler:innen. Gerade im Amateurbereich gebe es in Deutschland viele Fortschritte und eine offenere Kultur.

Pia Mann im Gespräch mit Marina Schweizer | 22.05.2022
Der deutsche Fußballnationaltorwart Manuel Neuer trägt eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben beim Spiel gegen Ungarn während der Fußball-Europameisterschaft 2021.
Der deutsche Fußballnationaltorwart Manuel Neuer trägt eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben beim Spiel gegen Ungarn während der Fußball-Europameisterschaft 2021. (Getty Images / Laurens Lindhout)
Der erst 17-jährige Jake Daniels vom englischen Zweitligisten FC Blackpool hat in dieser Woche seine Homosexualität öffentlich gemacht. „Ich habe immer mehr darüber nachgedacht, wie ich es machen will und wann ich es machen will“, sagte Daniels. Für ihn sei jetzt der richtige Zeitpunkt: „Ich will, dass die Leute mein wahres Ich kennen.“
Pia Mann sieht Daniels als „Vorbild für Spieler im Männer-Fußball, die sich diesen Schritt noch nicht getraut haben“. Die Sozialarbeiterin setzt sich im Verein „Discover Football“ gegen Diskriminierung ein und wird vom DFB als eine der engagiertesten Ehrenamtlichen Deutschlands bezeichnet. Mann sieht Daniels Coming-Out als hilfreich für den Profi- aber auch den Amateurbereich: Jungen, queeren Spieler:innen werde so Diversität vorgelebt. Auch Ältere könnten sich an Daniels orientieren.
Pia Mann vom Verein "Discover Football"
Diversität habe auch die Initiative #kickout zeigen wollen, bei der sich Mann und andere mehr als 100 Profis und Amateure aus mehreren Ländern öffentlich als queer gezeigt haben: „Uns gibt es schon und es ist für alle Menschen, die sich im Fußball bewegen, in Ordnung, so zu sein, wie sie sind – und genau den Druck nicht auf sich zu nehmen und sich dauerhaft zu verstecken.“
In der Generation des 17-jährigen Daniels sieht die Amateurfußballerin vom DFC Kreuzberg eine „viel größere Selbstverständlichkeit“ für Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans- und intergeschlechtliche Menschen. Sie erlebe das in Berlin in ihrem Alltag. So habe sie kürzlich beim Joggen ein Trikot getragen, auf dem die Regenbogenfahne zu sehen war – ein Symbol der queeren Szene. Jugendliche hätten ihr zugerufen: „Queer lives matter!“

Mann: Alle Akteure müssen Kultur im Fußball verändern

Dennoch erlebt Mann die Fußballwelt als immer noch nicht frei von Diskriminierung wie Homo- und Transfeindlichkeit: „Es fallen immer noch so Sprüche auf deutschen Fußballplätzen wie ‚Was für ein schwuler Pass‘.“ Sie würde ein Verbot von ‚schwul‘ als Schimpfwort befürworten, findet aber auch, dass es eine größere Sensibilität bei Schiedsrichter:innen und Trainer:innen geben muss. Da brauche es in Schulungen und Gremiensitzungen eine entsprechende Kultur.
Aber auch alle anderen Akteure wie beispielsweise Mitspieler*innen müssten sich engagieren: „Wir müssen alle dazu beitragen, diese Kultur zu ändern.“

"Wir befinden uns auf einer Schwelle"

Auch Symbole seien hilfreich, sagt Mann. Sie erinnert an DFB-Torwart Manuel Neuer, der bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr eine Regenbogen-Kapitänsbinde getragen hat. Außerdem gab es eine Debatte darüber, ob die Münchner Arena während des EM-Spiels gegen Ungarn in Regenbogen-Farben ausgeleuchtet werden darf – was letztendlich von der UEFA untersagt wurde. Das sei ein Beispiel für politische Kämpfe: „Die werden auf der symbolischen Ebene ausgetragen, haben aber auch Effekte.“ Mann zieht das Fazit: „Wir befinden uns gerade auf einer Schwelle.“ Es gebe zwar Rückschritte, aber sie habe die Hoffnung, dass im Fußball „Queersein viel mehr zur Normalität wird“.
Pia Mann räumt aber mit Blick auf die Strafbarkeit von Homosexualität in Katar ein, dass sie sich anstelle eines Spielers, der über ein Coming-Out nachdenkt, vor der WM Ende des Jahres in dem Staat „eher bedeckt halten“ würde.