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Sri Lanka -Tropeninsel mit Schattenseiten

Vier Jahre nach dem fast 30-jährigem Bürgerkrieg in Sri Lanka, der im Mai 2009 zu Ende ging, scheint die Welt auf der Tropeninsel wieder in Ordnung zu sein. Doch Beobachter der Vereinten Nationen melden, dass religiöse Minderheiten und Journalisten bedroht sind.

Von Nina Waldorf | 15.05.2013
    Musik, Gebet und viele Gespräche beim kirchlichen Jugendmeeting in Jaffna, der wichtigsten Provinzhauptstadt im tamilischen Norden Sri Lankas, das hilft über einen bedrückenden Alltag hinweg. Die Jugendlichen sind an diesem Samstag auf Einladung des nationalen Christenrates mit Bussen aus der ganzen Region gekommen, die Mädchen in ihren schönsten Saris, die Jungs in Jeans und Oberhemd. Endlich einmal raus aus der Armut der Dörfer, wo Häuserruinen, von Bomben zerfetzte Kokospalmen und Schilder mit Landminenwarnung ebenso an den Krieg erinnern, wie die Willkür der siegreichen singhalesischen Armee. In Jaffna selbst und entlang der Hauptstraße wird überall gebaut und renoviert. Aber der Alltag ist noch fern, meint eine Sozialarbeiterin, die anonym bleiben möchte:

    "Wir haben in Jaffna noch längst keinen Frieden. Die Menschen sprechen nicht über ihre vielen traumatischen Erfahrungen, wir hatten ja fast 30 Jahre Krieg, nicht nur das schlimme Bombardement in den letzten Monaten. Niemand traut dem anderen – wegen der politischen Situation heute. Es gibt zwar viel wirtschaftliche Entwicklung, aber es wird noch lange dauern, bis die Menschen auch inneren Frieden finden, dafür sind vier Jahre nicht genug."

    Die Traumata reichen weit in den Alltag hinein, oft unerkannt. Das hat Nyas Mohammed erlebt, ein junger Muslim aus Jaffna, der mit der methodistischen Kirche in der Hauptstadt Colombo Friedensarbeit macht, mehrwöchige Workshops, bei denen Jugendliche aus Nord und Süd sich begegnen. Denn die Kirchen, zu denen knapp acht Prozent der Bevölkerung gehören, verstehen sich als Brückenbauer, sie arbeiten interreligiös und haben Mitglieder unter Singhalesen und Tamilen gleichermaßen.

    "Wir hatten vor Kurzem ein tamilisches Mädchen namens Sarmi aus der Gegend von Kilinochi bei uns, die bis 2010 in einem Rehabilitationscamp der Armee war. Sie fiel immer wieder in Ohnmacht, ich habe sie zehn Mal ins Krankenhaus gebracht, ohne Ergebnis. Als wir uns etwas besser kannten, hat sie mir schließlich erzählt, dass sie von der LTTE, der Rebellenarmee, rekrutiert worden ist. Weil sie nicht schießen wollte, hat sie ihr Gewehr schon nach einem Tag weggeworfen und sich der Regierungsarmee gestellt. Dort haben vier Soldaten sie tagelang festgehalten und vergewaltigt, immer und immer wieder. Jedes Mal wenn sie daran dachte, wurde sie ohnmächtig."

    Die Waffen schweigen, aber die Menschen werden von der Vergangenheit eingeholt und leben – vor allem in Norden – in ständiger Angst vor der anhaltenden Willkür der Armee: vor Schikanen, Verhaftung oder sexuellen Übergriffen. Flüchtlinge können nicht zurück auf ihr Land, weil dort Militärcamps entstanden sind, Trauernde finden die Gräber ihrer Angehörigen mit Planierraupen niedergewalzt und Tausende Menschen wissen nicht, wo sie nach den Vermissten des Krieges suchen sollen, ohne selbst Repressalien ausgesetzt zu sein. Als im Januar auch noch die oberste Richterin des Landes abgesetzt und durch einen regierungsnahen Nachfolger ersetzt wurde, schrieb der anglikanische Bischof Canagasabey in einem mutigen Hirtenbrief:

    "In den letzten Tagen haben wir den Kollaps von Recht und Gesetz in unserem Land erlebt. Wir sind keine verfassungsmäßige Demokratie mehr. Zurzeit leben wir in einem Klima der Angst und der Hilflosigkeit, die Menschen schweigen lieber als sich gegen das rasant zunehmende Unrecht, gegen Einschüchterung, Gewalt und Unwahrheit zu wehren."

    Diejenigen, die das trotzdem tun, leben gefährlich in einem Land, das von der Familienclique der Rajapaksas zunehmend diktatorisch regiert wird. Der katholische Priester Father Preveen in Jaffna etwa, ein stattlicher Mann, der schon von Weitem an seiner weißen Soutane mit dem breiten schwarzen Gürtel zu erkennen ist. Seit Jahren dokumentiert er Menschenrechtsverletzungen und leitet sie weiter an seinen Bischof oder die Vereinten Nationen in Genf etwa. Im Januar ist Father Preveen deshalb in den berüchtigten vierten Stock beim Geheimdienst in Colombo zitiert worden. Dort musste er eine Erklärung unterschreiben, die jederzeit zu seiner Verhaftung führen kann, wie er sagt. Um ihn zu schützen, hat seine Kirche ihm jetzt andere Aufgaben übertragen, auch wenn es ihm sichtlich schwerfällt.

    "Zum Beispiel dieser Fall vor zwei, drei Tagen, früher wäre ich sofort dorthin gefahren: Da ist ein tamilischer Zeitungsträger früh morgens mit Eisenstangen verprügelt und schwer verletzt worden, von sechs Männern. Dann haben sie sein Motorrad und alle Zeitungen verbrannt. Warum das alles? Sie haben Angst, dass die Wahrheit verbreitet wird. Alle sollen still sein. Sogar Friedensarbeit ist schwierig, weil sie sagen: Der Krieg ist vorbei, wir haben doch Frieden. Wühlt die alten Erinnerungen nicht auf. Aber wir sagen: Man kann nicht Land, Bauaufträge und Geschäfte, vieles im Norden wird jetzt von Singhalesen aus dem Süden übernommen, unter dem Schutz des Militärs, berichtet Preveen, und spricht von einer "Kolonisierung". Neben beschädigten Hindutempeln werden stolze buddhistische Tempel gebaut."

    Gleichzeitig ist die Vergangenheit tabu. Obwohl allein in den letzten Kriegsmonaten nach UN-Schätzungen 40.000 Menschen getötet wurden, in einer angeblichen Schutzzone zwischen den Fronten. Kirchliche Quellen sprechen von 146.000 Toten und Vermissten. Und so hat der UN-Menschenrechtsrat Sri Lanka im März erneut aufgefordert, endlich eine unabhängige Untersuchung der Kriegsverbrechen beider Seiten einleiten – ein zentrales Anliegen auch der Kirchen.

    "Ich kann vergeben, sogar diesen Menschen. Aber es gibt noch immer keine Gerechtigkeit. Diejenigen, die all diese Verbrechen begangen haben müssen vor Gericht gestellt werden, aber heutzutage wird das Gesetz immer schwächer und Gerechtigkeit gilt nicht für die Ausgegrenzten",

    sagt Raghu Balachandran, ein junger Nachwuchspolitiker aus der Tamilenpartei TNA. Der 28-Jährige arbeitet in Colombo für die Evangelische Allianz und macht Jugendarbeit in der methodistischen Kirche. Schon als Kind hat er seinen Vater verloren, der von Soldaten erschossen und zerstückelt wurde. Später wurde sein Bruder in einem Militärcamp gelyncht und lebendig verbrannt, er konnte nie identifiziert und beerdigt werden. Viele Menschen in Sri Lanka haben tragische Geschichten wie die von Raghu Balachandran, aber nur wenige setzen sich wie er für Frieden und Versöhnung ein, bei kirchlichen Jugendmeetings wie dem in Jaffna etwa.

    "Meine Generation, also junge Leute zwischen 15 und 30, hat die schlimmsten Zeiten unseres Landes erlebt. Wir haben unvorstellbar schreckliche Dinge gesehen, die unseren Liebsten, der Familie und Freunden zugestoßen sind. Die Bitterkeit und der Hass in dieser Generation sind viel größer als in der Generation unserer Eltern. Darum ist es so wichtig, sie zu überwinden und zu heilen. Wenn das nicht gelingt, kann unser Land in einen Krieg geraten, der noch viel schlimmer ist als der Letzte."