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Startschuss für ein aussterbendes Modell

Die Sekundarschule ist in NRW beschlossene Sache. Die rot-grüne Landesregierung und die CDU einigten sich im Schulstreit auf einen Kompromiss. Obwohl es damit die Gemeinschaftschule dauerhaft nicht mehr geben wird, wurde in Bochum die erste eröffnet.

Von Kai Rüsberg | 21.07.2011
    Lautstark bejubelten die neunzig Schüler den Start ihrer neuen Gemeinschaftsschule in Bochum. Mit einer Feierstunde in der Pausenhalle begann der Schulversuch der rot-grünen Landesregierung noch vor der Sommerpause. Und der zuständige Schuldezernent der Bezirksregierung bedankte sich bei den Eltern für ihren Pioniergeist.

    "Ich beglückwünsche Sie, weil sie Mut hatten, ihre Kinder an einer Schule anzumelden, von der man am Anfang nicht wusste, was ist das für eine Schule."

    Durch den Schulkompromiss in NRW wird es aber keine weiteren Gemeinschaftsschulen mehr geben. Künftig soll die neue Schulform Sekundarschule heißen, sagt Schuldezernent Burkhard Koller, aber sich nur wenig von der in Bochum gestarteten Modellschule unterscheiden.

    "Wenn Sie das Papier der Parteien vergleichen, werden Sie feststellen, da gibt es einige Unterschiede, wie keine gymnasiale Oberstufe, aber diese Modellschule hat viele Vorteile."

    Ganz am Rand des Schulhofs stehen die Lehrer und Sozialarbeiter der Hauptschule, die nun auch den ersten Jahrgang der Gemeinschaftsschule aufgenommen hat. Sie sind skeptisch, ob das Konzept mit flexibleren Lehrangeboten und einer zusätzlichen Fremdsprache besser ist, als das bisherige System von Haupt- und Realschule.

    "Es gibt immer neue Ideen, aber keine bleibt bestehen, jetzt wieder neuer Name, verwirrend."

    "Um eine Zweit- oder Drittsprache zu lernen, sollten die Kinder erst einmal ihre eigene Sprache lernen: Deutsch.""

    Die Leiterin der neuen Gemeinschaftsschule Birgit Linden glaubt, dass sich die Eltern ganz bewusst für das gemeinsame Lernen in der 5 und 6 Klasse und die Vorbereitung auf einen späteren Übergang ans Gymnasium in der Bochumer Gemeinschaftsschule entschieden haben.

    "Die Eltern, die wir erlebt haben, haben sich gut informiert und bewusst den Weg zu uns gefunden."

    Die Schulleiterin hofft darauf, dass die Kinder gerade in der Einführungsphase sich auch untereinander helfen, und setzt dabei auf den gemeinsamen Unterricht in der 5. und 6. Klasse.

    "Es geht um selbstständiges soziales Lernen. Nicht nur Wissen vermittelt bekommen ist Ziel, sondern auch alle Kompetenzen, die heute in der Gesellschaft gefragt werden."

    Beim Mittagessen treten große schulpädagogische Konzepte eher in den Hintergrund. Zum Schulstart haben die Küchenmitarbeiter ein Probeessen für die Eltern vorbereitet:

    "Hühnchen Tikka und Zwetschgenknödel gibt es heute."

    Für Petra Heckel von der Caritas ist auch das Mittagessen zentraler Bestandteil des Schulkonzepts.

    " … wie man isst mit Messer und Gabel."

    Sarah Schichal hat ihre Tochter angemeldet. Sie wohnt auf der anderen Seite der Stadt und erkundigt sich nach einer Busfahrkarte.

    "Wir bräuchten ein Ticket, das sind mehr als 3,5 Kilometer, bitte hier ausfüllen."

    Der alleinerziehenden Rechtsanwaltsgehilfin war es besonders wichtig, dass ihr Kind die richtige Schule besuchen kann.

    "Erstmal kann ich mit dem Kind im Bus auf halber Strecke fahren. Mir gefällt, dass es eine Ganztagsbetreuung ist. Mein Kind hat Schwächen in Deutsch und Mathe und ich hoffe hier auf den Ausgleich."

    Die Eltern stört es wenig, dass sie Teil eines Schulversuchs auf Abruf sind. Viele haben es noch nicht einmal mitbekommen, dass die Gemeinschaftsschule als Folge des Schulfriedens nach sechs Jahren Erprobungszeit schon wieder Geschichte sein wird. Doch im Bochumer Schulamt kommen auch viele Fragen an, wie es künftig weiter geht, sagt Amtsleiter Ulrich Wicking.

    "Die Nachfragen kommen bei uns an. Auch von Leuten aus der Schulszene, die eine weitere Gemeinschaftsschule gründen wollten. Wir sagen weiter machen. Das Kind hat jetzt einen anderen Namen. Da muss man sehen, wie sich das entwickelt."

    Am ersten Tag haben sie zumindest gemeinsam gefeiert und bei einer Vorführung von Schülern der Hauptschule auch schon viel Spaß zusammen gehabt.