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Störfall
Rheinland-Pfalz fordert Abschaltung des AKW Fessenheim

Ein Störfall im Atomkraftwerk Fessenheim im Elsaß war offenbar gravierender als bislang bekannt. Medienberichten zufolge sollen die verantwortlichen Behörden eine Überschwemmung vor knapp zwei Jahren heruntergespielt haben. Die rheinland-pfälzische Energieministerin Eveline Lemke forderte die Abschaltung.

04.03.2016
    Das Atomkraftwerk in Fessenheim in Frankreich
    Das Atomkraftwerk in Fessenheim in Frankreich (dpa / picture-alliance / Patrick Seeger )
    Nach den Berichten über einen Störfall im umstrittenen elsässischen Atomkraftwerk Fessenheim im April 2014 hat Rheinland-Pfalz die umgehende Abschaltung gefordert. Energieministerin Eveline Lemke (Grüne) zeigte sich am Freitag "entsetzt, dass es erneut eine gravierende Panne in einem französischen AKW gab und die französische Atomaufsicht offenkundig nicht funktionierte". Sie forderte die "sofortige Abschaltung von Fessenheim und Cattenom".
    Wassereinbruch mit Folgen
    Anfang April 2014 hatte es in dem Atomkraftwerk nahe der Grenze zu Baden-Württemberg einen Wassereinbruch gegeben - mit gravierenden Folgen. Nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung hatten rund 3000 Liter Wasser die Elektrik beschädigt und einen Teil der Leit- und Sicherheitstechnik außer Kraft gesetzt. Schaltschränke wurden überflutet, eines der beiden Systeme, mit denen sich der Reaktor schnell abschalten lässt, fiel aus. Außerdem versagten offenbar auch die Steuerstäbe, mit denen sich die Leistung des Reaktor regeln lässt.
    Ein Krisenstab entschied, den Reaktor notfallmäßig durch Einleitung von Bor ins Kühlwasser herunter zu fahren. Die Medien zitieren den Reaktorexperten Manfred Mertins. Nach seinen Worten hat es eine vergleichbare Situation in Westeuropa bislang noch nicht gegeben habe. Er spricht von einem "sehr ernsten Ereignis". Durch den Ausfall der Steuerstäbe sei für mehrere Minuten "die Temperatur im Reaktorkern aus dem Ruder gelaufen". Mertins war Sachverständiger bei der Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit (GRS), die im Auftrag der Bundesregierung die Sicherheit von Atomkraftwerken beurteilt.
    Informationen zurückgehalten
    Die französische Atomaufsichtsbehörde (ASN) hat den Vorfall damals offenbar heruntergespielt und wesentliche Details unterschlagen. In einer Pressemitteilung hatte sie erklärt, dass der Wassereinbruch in Schaltkästen im nicht-nuklearen Teil der Anlage eines der zwei separaten Elektroniksysteme für die Notabschaltung beschädigt habe. Sie betonte jedoch, dass das zweite weiterhin funktionierte und damit das Funktionieren stets sichergestellt gewesen sei. Der Ausfall der Steuerstäbe und die so genannte "Notborierung" wurden nicht einmal der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien mitgeteilt.
    "Brisanter Vorfall"
    An den Recherchen war auch der Journalist Jürgen Döschner beteiligt. Er spricht von einem Vorfall, den es in dieser Brisanz bisher in Westeuropa nicht gegeben habe: "Wenn man alles zusammen nimmt, zum einen die Tatsache, dass Wasser durch Kabelummantelungen in andere Räume und auch in Schaltschränke fließen kann, und die Tatsache, dass dann diese Schaltschränke außer Kraft gesetzt werden, das heißt die Steuerung in Gefahr war, und auch die Abschaltmöglichkeiten für den Reaktor, dann ist das wirklich brisant gewesen".
    Wie weit die Anlage von einem schweren Strahlenunfall entfernt war, lasse sich nicht sagen. Die Recherchen beziehen sich auf einen Brief der Atomaufsicht an den Betreiber wenige Wochen nach dem Vorfall. Was die Betreiber auf die Fragen der Behörden antworteten, ist nicht bekannt. Auf Anfrage der Journalisten gab es bisher keine Reaktionen.
    Umstrittenes Kraftwerk
    Fessenheim im Elsass ist das älteste Atomkraftwerk Frankreichs. Atomkraftgegner fordern schon lange, es so schnell wie möglich zu schließen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Dieses Jahr sollen 70 Millionen Euro für die Reparatur des Reaktors ausgegeben werden.
    Frankreich hatte erst vor kurzem erklärt, die maximale Laufzeit seiner 58 Atomkraftwerke um zehn auf 50 Jahre erhöhen. Das Land gewinnt seinen Strom zu 75 Prozent aus Atomtechnik, will den Anteil aber eigentlich auf 50 Prozent durch den Ausbau von Ökostrom reduzieren. Rund die Hälfte der Kraftwerke erreicht im nächsten Jahrzehnt die 40-Jahres-Grenze.
    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl kritisierte das vor allem mit Blick auf den grenznahen Reaktoren scharf: "Der geplante Überalterungsbetrieb für die französischen Atomkraftwerke ist eine miserable, gefährliche Idee." Die Schrottmeiler Cattenom und Fessenheim an der Grenze zu Deutschland erfüllten nicht einmal die europäischen Mindestanforderungen. Sie müssten sofort stillgelegt werden, sagte sie vergangene Woche.