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Strategien gegen Bücherschwund

Obwohl die Bibliothek eigentlich ein Ort des Lesen und Lernens sein soll, wird sie an vielen Unis auch zum Ort des Suchens. Wie zum Beispiel in Bielefeld. Dort ist die Bibliothek der juristischen Fakultät zwar sehr gut ausgestattet. Besonders vor Klausuren und Hausarbeiten findet sich aber kaum noch ein Fachbuch in den Regalen. Und das obwohl die meisten Bücher nicht einmal ausleihbar sind.

Von Hilke Janssen |
    " Ich schreibe gerade auch eine Hausarbeit und wenn ich dann was suche, dann sucht man natürlich in dem Computer und dann steht da auch immer ‚Bücher sind da‘ oder so. Und für das eine Buch, das ich unbedingt wirklich brauchte, was ziemlich wichtig für die Hausarbeit war, dann stand da ‚Nicht ausgeliehen‘, müsste eigentlich im Regal sein. Und ich such mich da tot im Regal, ich hab noch mal praktisch in der Sektion vorher gesucht und noch mal nachher und das Buch war einfach nicht da. "

    Nur eins von rund 1000 Büchern, die inzwischen in der Bibliothek des Fachbereichs Jura vermisst werden. Und das, obwohl die meisten Bücher nicht einmal ausleihbar sind. Nur in den seltensten Fällen benutzt jemand gerade tatsächlich ein gesuchtes Buch. Meistens, meint Jura-Studentin Ramona Gierok, stöbert man vergeblich, denn Kommilitonen verstecken die Bücher mit Absicht.

    " Das kommt schon öfters vor, auch vor allem wenn man so’ne Hausarbeit schreibt, wo dann alle dasselbe Thema haben, denselben Sachverhalt. Dann rennen natürlich 150 Leute in die Bibliothek und 50 davon nehmen sich die Bücher und platzieren die irgendwo hin, wo die keiner findet, um die dann nachher für sich zu behalten. Und das find ich nicht in Ordnung."

    Nicht nur die Studenten sind sauer. Auch die Bibliotheksvertreter ärgern sich über die dreiste Taktik mancher Benutzer, die ihre Lektüre gezielt in abgelegenen Ecken horten. Das Bücher-Verstecken ist inzwischen so ausgeartet, dass die Jura-Bibliothek eine zusätzliche studentische Hilfskraft einstellen musste. Diese ist nun ausschließlich dafür zuständig, aufzuräumen und systematisch nach vermissten Büchern zu suchen. Die Fachschaft der Juristen würde der ewigen Suche gern ein Ende bereiten, sagt Jura-Student Pierre Jacek.

    "Ich glaube, die intelligenteste Idee ist so ein elektronisches Chipsystem einzuführen, das funktioniert so ähnlich wie das Alarmsystem im Supermarkt; wenn man Sachen mit raus nimmt, dass das dann piept. Beziehungsweise sind diese Chips mittlerweile so weit entwickelt, dass man sogar sagen kann, wo in der Bibliothek welches Buch gerade steht. "

    Die Bibliotheksleitung findet die Idee im Prinzip gut, allerdings gibt es einen Haken: In Bielefeld müssten insgesamt 2 Millionen vorhandene Bücher elektronisch gesichert werden. Dafür sind die so genannten RFID-Etiketten noch zu teuer. Schon vor anderthalb Jahren hat die Bibliotheksleitung Angebote eingeholt, erklärt der stellvertretende Bibliotheksdirektor Michael Höppner.

    " Als wir das gemacht haben, belief sich der Preis für ein RFID-Etikett noch auf etwa einen Euro und Sie können leicht hochrechnen, dass bei zwei Millionen Bänden allein zwei Millionen Euro für Etiketten gebraucht werden. Dieses ist derzeit nicht finanzierbar. "

    Obwohl ein solches Etikett inzwischen nur noch rund ein Drittel kostet, will die Bibliotheksleitung warten, bis sie noch günstiger werden. Erst dann, so ist es mit dem Kanzler der Uni abgesprochen, soll in Bielefeld eine Buch-Sicherungsanlage angeschafft werden. Bis dahin geht das Verstecken weiter und nimmt zum Teil drastische Ausmaße an, sagt Fachreferentin Ulrike Verch.

    " Als Beispiele, wie weit die kriminelle Energie dann teilweise geht, ist, dass wir Zeitschriftenbände finden, wo der ganze Buchblock mit dem Rasiermesser rausgeschnitten wurde. Oder lose Blattsammlungen, wo nur noch zehn Seiten übrig geblieben sind. Und sogar die Bücher, die wir ja schon angekettet haben vorne am Terminal, also unsere Standardkommentare sind an Ketten – selbst da wurden schon die Buchrücken aufgeschlitzt und die Bücher entwendet."

    Die Bücher an die Kette zu legen, hilft also auch nicht viel und ist ohnehin unpraktisch, weil sie dann nicht mehr kopiert werden können. Zwar gibt es inzwischen online-Datenbanken, in denen Aufsätze und zum Teil schon ganze Bücher gespeichert sind. Viele Juristen wollen aber lieber ein echtes Buch wälzen. Trotz allen Ärgers haben manche auch Verständnis für die Studenten. Unter dem hohen Druck wüssten sich viele einfach nicht anders zu helfen als Bücher zu verstecken, meint die Abteilungsleiterin der Jura-Bibliothek Barbara Schipper-Koch. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass es nicht alle Missetäter unbedingt böse meinen.

    " Es gibt auch ganz rührende Situationen, wo Bücher in Schließfächern halt eingeschlossen werden - unsere Schließfächer werden regelmäßig geräumt – und da ist dann eine Tafel Schokolade dabei und man möchte doch die Bücher wieder in die Bibliothek integrieren. "