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Streit um Istanbuls orthodoxe Priesterschule

Die türkische Regierung Erdogan ist mit ihrem Reformprogramm auf dem Weg nach Europa zwar schon weit gekommen – sieht sich aber dennoch immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, religiöse Freiheiten immer noch einzuschränken. Ein Beispiel: Die griechisch-orthodoxe Priesterschule in Istanbul, die vor 35 Jahren zwangsweise geschlossen wurde. Gunnar Köhne berichtet.

13.07.2005
    In dem dunklen Flur riecht es nach Bohnerwachs. Ein Priester in schwarzem Talar geht schweigend vorbei. Stelio Karayani, ein junger Grieche, der in dem Priesterseminar für die Betreuung der Besucher zuständig ist, schließt eine schwere Holztür auf. Dahinter: Ein Klassenzimmer mit exakt aufgereihten hölzernen Pulten:

    "Dies ist ein Zimmer der theologischen Abschlussklassen. Seit 1971 hat hier kein Student mehr gesessen. Aber alles ist so geblieben, wie am letzten Schultag. Schon morgen könnte der Unterricht wieder beginnen."

    Doch danach sieht es nicht aus. Seit 35 Jahren ist das orthodoxe Priesterseminar auf der Marmarameerinsel Heybeli, griechisch: Halki, zwangsweise geschlossen. Drei Priester wohnen noch in dem 150 Jahre alten Schulgebäude, das auf dem höchsten Berg der Insel liegt. Mit Hilfe von ein paar Angestellten halten sie die Klassenräume, die Bibliothek und den weitläufigen Garten in Ordnung. Seit der Annäherung der Türkei an die EU gab es immer wieder Anzeichen, dass die türkische Regierung die Wiedereröffnung des Priesterseminars erlauben würde. Doch Pater Dositheos Anagnostopoulos vom orthodoxen Patriarchat sagt, es gebe bislang nur Gerüchte. Das einzige Schriftliche sei ein Brief des Patriarchen Bartholomäus an die Regierung:

    "Darin schlug er vor, eine gemischte Kommission zu bilden aus Theologen des Patriarchats und Vertretern des zuständigen Ministeriums um darüber zu sprechen: Was ist das Programm der dortigen theologischen Erziehung, wer können die Lehrer sein, was für Schüler können die Schule besuchen. Dieser schriftliche Vorschlag wurde bis jetzt nicht beantwortet. Mein Eindruck
    ist: Sie suchen nach einem juristischen Modus wie sie die Schule mit den geltenden Gesetzen wieder eröffnen können."

    Und der ist offenbar schwer zu finden. Vor allem die türkischen Kemalisten fürchten einen Präzedenzfall. Was den orthodoxen Christen erlaubt wird - nämlich eine private theologische Lehranstalt zu betreiben-, das könne islamischen Geistlichen oder Stiftungen dann nicht mehr verwehrt werden. Eine Re-Islamisierungswelle könnte das Land ergreifen, heißt es, Radikale
    würden in den Schulen Nachwuchs rekrutieren. Der merkwürdige Vorschlag, die Priesterschule der islamischen Fakultät der Istanbuler Universität anzugliedern, ist für das geistige Oberhaupt der Orthodoxie unannehmbar.

    Der ökumenische Patriarch sieht sich als Opfer der Auseinandersetzungen zwischen Säkularisten und Islamisten in der Türkei. Pater Dositheos Anagnostopoulos vom Patriarchat beklagt die nach wie vor diskriminierende Gesetzeslage:

    "1844 bis 1964 hat diese Schule Schüler gehabt, die aus verschiedenen Ländern kamen. Es gab Engländer, es gab Amerikaner, es gab Äthiopier, Ägypter usw. 1964 hat man das mit einem Erlass verboten. Man hat dann nur diejenigen zugelassen,. die türkische Staatsbürger sind. Das soll nicht
    mehr gelten, bitte, denn das Patriarchat braucht diese Schule nicht nur für die paar Griechen, die hier noch geblieben sind, sondern auch für die Diözesen, die außerhalb der Türkei liegen."

    Der Patriarch behilft sich in seiner Not damit, dass er Theologen mit einem dreimonatigen Touristenvisum nach Istanbul holt. Zwar räumen auch die Griechen ein, dass sich die Situation der christlichen Minderheiten unter der Regierung Erdogan verbessert habe. Doch es schmerzt sie, dass die Türkei den Patriarchen offiziell nur als Oberhaupt der winzigen
    griechisch-orthodoxen Gemeinde von Istanbul anerkennt. Seine weltweite Bedeutung ignoriert Ankara weiterhin. Viel Zeit für eine Kehrtwendung bleibt nicht mehr. In Istanbul ist die griechisch-orthodoxe Minderheit auf rund 2000 Menschen geschrumpft, berichtet Pater Anagnostopoulos:

    "In Istanbul gibt es um die 45 orthodoxe Kirchen. Und etwa 25-30 Priester. Das Durchschnittsalter der Priester ist über 60. Eine Pension ist nicht in Sicht - wie auch, dann müssten wir die Kirchen ja schließen. Die Jungen stellen höchstens ein Zehntel der Gesamtzahl. Die Zukunft ist düster."

    Hoch oben auf der Insel Halki wollen die letzten Priester dennoch weiter geduldig weiter auf den Tag der Wiedereröffnung ihrer Klosterschule warten. Sie werden weiter die 60.000 Bände umfassende Bibliothek auf dem allerneuesten Stand halten und auch neue Fenster sind bestellt. Das öffentliche Interesse an der Schule ist in den letzten Wochen gewachsen. Ein gutes Zeichen, glaubt Stelio Karayani:

    "Wir sind ja richtig in Mode gekommen in letzter Zeit. Ausländische und türkische Fernsehteams und Journalisten kommen fast jeden Tag hierher, wir kommen kaum zur Ruhe. Warten wir ab, was in diesem Jahr noch passiert. Vielleicht finden sie ja doch noch einen Kompromiss."