Mittwoch, 15. Mai 2024

Nahostkonflikt
"Strike Germany": Was hinter dem Aufruf zum Boykott deutscher Kultureinrichtungen steckt

Wegen der deutschen Haltung im Nahost-Konflikt rufen Künstlerinnen und Künstler weltweit seit einigen Tagen zum Boykott deutscher Kultureinrichtungen auf. Unter ihnen ist auch die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux. Im Berliner Club Berghain gab es erste Absagen. Was steckt dahinter?

18.01.2024
    Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux i
    Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux ist bisher die prominenteste Unterstützerin des Boykott-Aufrufs gegen deutsche Kulturinstitutionen. (picture alliance / dpa / Roni Rekomaa )
    Die gut 1.000 Unterzeichner des Aufrufs "Strike Germany" werfen Deutschland eine zu große Nähe zu Israel vor. Sie fordern unter anderem, Veranstaltungen deutscher Kultureinrichtungen zu boykottieren, weil diese "Solidaritätsbekundungen mit Palästina unterdrücken" würden. Wer den Aufruf gestartet hat, ist bisher unbekannt.
    Im Berliner Techno-Club Berghain führte die Aktion jedenfalls bereits zu Absagen von DJs. Sie hatten ab dem 26. Januar beim CTM-Festival für experimentelle und elektronische Musik auflegen wollen. Den Angaben zufolge kamen die Absagen von DJs aus den Niederlanden, Großbritannien und Uganda.

    Schriftstellerin Lana Bastašić trennt sich von S.-Fischer Verlag

    Die bosnische Schriftstellerin Lana Bastašić, die den Aufruf unterzeichnet hat, trennte sich von ihrem deutschen Verlag, dem Frankfurter S.-Fischer Verlag. Dieser habe es nicht nur versäumt, zu dem "Genozid" Israels im Gazastreifen Stellung zu beziehen; er habe während der vergangenen zwei Monate auch zur "systemischen und systematischen Zensur" in Deutschland geschwiegen, so der Vorwurf von Lana Bastašić.

    Kein Kommentar von Staatsministerin Roth

    Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Roth, wollte sich zu den Vorgängen nicht äußern. Das Büro der Grünen-Politikerin schickte der "Rheinischen Post" eine Stellungnahme. Darin hieß es, die Kulturstaatsministerin habe mehrfach betont, dass sie von Boykottaufrunfen in der Kultur nichts halte. "Sie schätzt die Situation in der deutschen Kultur auch völlig anders ein."

    Kontroverse um Annie Ernaux

    Die bekannteste Unterzeichnerin des Aufrufs ist die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux. Der Suhrkamp Verlag erklärte, ihr Boykott betreffe nicht die Veröffentlichung und Inszenierungen ihrer Texte in Deutschland. Ernaux hatte bereits 2018 gemeinsam mit anderen Kultur- und Kunstschaffenden zur Nichtbeachtung der Kultursaison "Frankreich-Israel" aufgerufen, 2019 dann zum Boykott des Eurovision Song Contests in Tel Aviv.
    Ernaux war 2022 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, sprach daraufhin von einem Rückschlag für den weltweiten Kampf gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit. Ernaux betonte damals, sie differenziere zwischen der israelischen Regierung und Israel als Ganzem.
    Ernaux wird seit Längerem auch eine Nähe zur BDS-Bewegung nachgesagt. BDS steht für "Boykott, Desinvestition und Sanktionen". Die Bewegung ruft zum Boykott israelischer Produkte auf und ist gegen jede Zusammenarbeit mit Israel in den Bereichen Kultur und Wissenschaft.
    Diese Nachricht wurde am 18.01.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.