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Studentenjobs
Weihnachtsfrauen erobern Berlin

Bereits seit 1949 schlüpfen Studenten in Berlin im Auftrag des Studierendenwerkes in die Rolle des Weihnachtsmannes. Um Familien in der Hauptstadt zu bescheren - aber auch und sich etwas dazu zu verdienen. Auch Weihnachtsfrauen sind dabei als Geschenkeüberbringer im Dienst.

Von Manfred Götzke | 23.12.2017
    Das Bild zeigt Studentinnen, die als Weihnachtsfrauen verkleidet sind.
    2017 bescheren erstmals Weihnachtsfrauen Berliner Kinder (dpa/Britta Pedersen)
    "Der Weihnachtsmann hat ja den Vorteil, dass er mit der Glocke und dem Hohoho reinkommt." - "Wie kann ich mich vorstellen? " - "Ja, wichtig ist, dass du mit großer Geste eröffnest und ins Zimmer kommst."
    Natalia Vishnyakova zupft kokett an den Seiten ihres samtroten Kleides, dreht sich lächelnd um die eigene Achse und wedelt mit der Hand – sie klingelt mit dem imaginären Weihnachtsglöckchen.
    "Und der Sack ist hier?" - "Nee, lass den Sack draußen." - "Dann komme ich mit dem Glöckchen rein, so?" - "Ja, so very nice!"
    Bis zu ihrem ersten großen Auftritt am Heiligabend sind es noch ein paar Tage hin, deshalb lässt sich die künftige Weihnachtsfrau noch mal von Schauspieldozentin Julia Mahlke coachen. Sie schult alle Weihnachtsmänner, Weihnachtsengel - und in dieser Saison erstmals auch Weihnachtsfrauen –, die im Auftrag des Studierendenwerks in den Wohnzimmern Berlins Kinder bescheren.
    "Es geht darum, dass man einen kleinen Kult um die Figur bastelt. Wichtig ist, dass sie einen ganz genauen Zeitplan ausarbeiten, weil sie ja viele Kinder besuchen müssen, bis zu 13 Bescherungen. Da hat man keine Zeit zu verlieren. Und dann gibt es noch einen Ehrenkodex. Nichts essen, und nichts trinken bei den Familien.
    Es passiert oft, dass die Familien einen Schnaps oder Sekt anbieten. Das bitte nicht! Denn nach dem 13. Mal ist es schwierig, dann noch die 14. Familie zu besuchen."
    Bis zu 14 Auftritte am Tag
    Hier in dem Glaskasten im Mensagebäude der TU Berlin hat das Studierendenwerk sein "Weihnachtsbüro". Sechs Studenten hängen an den Telefonen und nehmen letzte Aufträge von Familien entgegen, die für die Bescherung für knapp 50 Euro einen Studenten als Weihnachtsmann buchen wollen oder eine Studentin als Weihnachtsfrau.
    Natalia trägt zum samtroten Weihnachtskleid statt weißem Rauschebart eine engelsblonde Perücke und ein rotes Weihnachts-Häubchen.
    "Es kann ja jetzt auch ein Kind fragen, da du jetzt neu bist als Weihnachtsfrau: Wo ist eigentlich der Weihnachtsmann? Was würdest du da antworten, spontan?" - "Ja, ich bin die Frau des Weihnachtsmanns, und der hat viele, viele Kinder zu besuchen, deswegen helfe ich ihm."
    In eine andere Rolle schlüpfen
    Die 30-Jährige stammt aus Weißrussland, seit einem Jahr macht sie ihren Master hier in Berlin. Da sie an Weihnachten ohnehin in Deutschland bleibt, kam ihr dieser eher ungewöhnliche Job ganz gelegen.
    "Ich hab einen acht Jahre jüngeren Bruder, für ihn hab ich immer die Rolle der Enkelin des Weihnachtsmanns früher gespielt. Deswegen mach ich das. Und es ist eine andere Rolle. Jeden Tag spielen wir dieselben Rollen an der Uni oder in der Familie – und da ist was anderes."
    In zehn Familien wird sie an Heiligabend die Kinder bescheren. Das läuft dann meist so ab: Mutter oder Vater öffnen den Weihnachts-Frauen und -Männern die Tür, die dann an einem verabredeten Ort im Haus heimlich die Geschenke aufnehmen und in ihre Säcke stopfen.

    "Ich erwarte gute Laune von den Familien und ein bisschen Wunder – ich bin ein Kind im Herzen auch – und es gehört zu diesem Fest auf jeden Fall."
    Nach einer halben Stunde Schauspieltraining fühlt sich Natalia Vishnyakova gewappnet für ihren ersten Einsatz im Weihnachtsgeschäft. Sie nimmt Haube und Perücke ab – läuft durchs Mensafoyer, um eine Freundin zu treffen.
    "Hallo, wie geht’s." - "Bisschen müde heute."

    Hier am Infostand des Studierendenwerks hat sie bis zum Wintersemester gearbeitet. Ein Job, der zu ihrem Studium passt.
    "Jetzt muss ich mein Praktikum machen, deswegen kann ich hier nicht mehr arbeiten. Ich studiere Sprache und Kommunikation an der TU, deswegen ist es gut, das zu üben.
    Einerseits haben wir Linguistik, Phonetik, aber wir studieren auch technische Aspekte, Mensch-Maschine-Kommunikation und Programmieren."
    Verwirklichung eines Kindheitstraums
    Ihren Bachelor der Linguistik hat sie noch in Minsk gemacht, danach hat sie ein paar Jahre als Touristen-Guide in St. Petersburg und Prag gearbeitet. Bis sie genug Geld für ihren Traum zusammenhatte. Ein Studium und Leben in Deutschland.
    "Es ist gar nicht so einfach, hier herzukommen für ausländische Studierende, weil wir ein Sperrkonto eröffnen müssen mit 9.000 Euro drauf. Und darüber habe ich überhaupt vergessen, dass ich einen Traum hatte als Kind, in Deutschland zu leben. Und dann hat mir eine Freundin gesagt: Masterstudium in Deutschland – das geht!"
    Für Natalia Vishnyakova ist ihr Masterstudium in Berlin eine Art Heimkommen. Sie stammt aus einer weißrussischen Region, die von der Tschernobyl-Katastrophe kontaminiert wurden. Wie viele andere weißrussische Kinder hat sie über Jahre hinweg mehrere Monate in einer deutschen Gastfamilie gelebt. Urlaub vom vergifteten Zuhause.
    "Beim ersten Mal war ich acht Jahre alt – bis ich 15 war habe ich jedes Jahr meine deutsche Familie besucht."
    Nach ihrer Master-Arbeit will sie hier in Deutschland leben und arbeiten. Dann allerdings nicht mehr als Weihnachtsfrau.
    "Wenn ich eine gute Arbeit finde, bleibe ich auf jeden Fall hier!" - "Was sind ihre Wünsche für 2018?" - "Ich wünsche mir, meine Master-Arbeit anzufangen und dann würde ich hier gern berufliche Erfahrungen sammeln in Form eines Praktikums. Und dann wünsche ich mir: gute Laune!"