Montag, 29. April 2024

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Sure 4 Vers 34
Mit dem Blick eines Künstlers

In den vergangenen zwei Wochen haben eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler den vielleicht heikelsten Koranvers über Frauen erläutert. Heute kommt ein Künstler zu Wort: Sandow Birk. Er lebt in Los Angeles und hat den "American Qur’an" gestaltet, eine großformatig illustrierte, englische Ausgabe des Texts.

Von Sandow Birk, Los Angeles, USA | 02.02.2018
    "Wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!"
    Man kann leicht Argumente dafür finden, dass der Koran in den vergangenen zirka 20 Jahren das wichtigste Buch der Welt ist. Aus Sicht eines Menschen, eines nicht-religiösen Amerikaners, eines vernünftigen Bürgers und zeitgenössischen Künstlers scheint es mir nötig und hilfreich, dass jeder zumindest ein bisschen darüber Bescheid weiß, was im Koran steht. Allzumal die meisten Amerikaner vor dem Islam und seinem heiligen Text Angst haben, besorgt und skeptisch sind, er könne eine Relevanz für ihr Leben in einem überwiegend christlichen Land entfalten.
    Die Sendereihe "Koran erklärt" als Multimediapräsentation
    Fragen zum Koran von Nichtmuslimen werden meistens voreingenommen und naiv gestellt. Sie gründen auf Annahmen, Hörensagen, Gerüchten und vielleicht auf einer schnellen Internet-Recherche. Wohnt der Religion des Islams die Gewalt inne? Steht der Islam westlichen Zivilisation grundsätzlich entgegen?; eine Frage die davon ausgeht, dass der Islam eine "Kultur" und keine viele verschiedene Kulturen umfassende Weltreligion ist.
    Zwangsläufig richtet sich die Aufmerksamkeit auf Verse, die dem Kontext entzogen sind und von denen angenommen wird, sie seien typisch für die gesamte Botschaft. Verse wie dieser hier:
    Sandow Birk mit Hut.
    Sandow Birk lebt und arbeitet in Kalifornien. (priv.)
    "Verfolgt sie, tötet sie, rottet sie aus! Tut alles genau so, wie ich es euch befohlen habe." Oder dieser: "Verflucht soll sein, wer nicht mit seinem Schwert zuschlägt, um Blut zu vergießen." Oder dieser: "Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter!"
    Das sind Beispiele für Verse, die in den Ohren moderner Menschen beunruhigend klingen. Die uns daran zweifeln lassen, dass solche Verse zu einer Religion mit einer Botschaft von Frieden, Liebe und Verbundenheit gehören. All dies sind Verse aus der Bibel.
    Zwei Seiten aus dem Buch.
    Der US-Künstler Sandow Birk hat den Text des Korans mit Bildern aus der amerikanischen Moderne illustriert. Der Titel des Buchs lautet "American Qur'an", erschienen ist es 2015 bei Liveright. (Deutschlandradio)
    Im Hinblick auf den Koran wird der eingangs zitierte Vers oft als Beleg dafür genommen, dass der Islam intolerant sei. Der Vers befasst sich mit dem Verhältnis von Mann und Frau und ihren Streitigkeiten. Er erteilt bestimmte Ratschläge, wie sie sich verhalten sollen. Dem Mann empfiehlt er, erst Warnungen auszusprechen, dann die Frau zu meiden und sie schließlich zu bändigen. Wissenschaftler haben über die angemessene Übersetzung des arabischen Wortes "daraba" gestritten und werden dies weiter tun. Das Wort wurde mit "schlagen" übertragen, mit "hauen", "bändigen" und anderen Begriffen.
    Ich selbst bin kein Wissenschaftler, ich kann auch kein Arabisch. Mein Argument wäre schlicht, die Leser daran zu erinnern, dass der Koran wie Bibel und Tora ein antikes Buch aus dem Vorderen Orient ist. Alle drei sind dem jeweiligen Glauben nach Botschaften Gottes an die Menschen. Sie wurden vor mehr als eintausend oder zweitausend Jahren empfangen. Ihre Aussagen finden weiterhin Nachhall bei einer großen Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten. Seit der ersten Offenbarung haben diese Aussagen die Welt geformt und tun es noch heute.
    Als ich auf den Koran stieß, wirkte er auf mich sogleich faszinierend, vertraut, komplex, bisweilen schön, immer interessant und künstlerisch anregend. Seine Botschaft ist vielfältig, manchmal stumpf und doch einfach: Es gibt einen Gott! Deine Zeit wird kommen! Verhalte dich gut auf Erden!
    Ich würde jeden, der über die Welt nachdenkt, dazu ermutigen, zumindest mehr zu lesen als ein paar zufällig wahrgenommene Verse. Ich würde sagen: Lernt etwas über die Aussagen des Korans - seine Geschichte - eure Nachbarn - unsere Welt.