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Symphonien von Brahms
Die ersten Aufnahmen in der Elbphilharmonie

Vierzehn Jahre brauchte Johannes Brahms für die Vollendung seiner ersten Symphonie. So viel Zeit wollten sich das NDR-Elbphilharmonie-Orchester und sein Chefdirigent Thomas Hengelbrock nicht lassen mit ihrer ersten Aufnahme in der nun auch endlich vollendeten Elbphilharmonie.

Von Uwe Friedrich | 29.01.2017
    Der Dirigent Thomas Hengelbrock (M) und das NDR Elbphilharmonie Orchester verneigen sich beim Schlussapplaus nach dem Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie in Hamburg.
    Dirigent Thomas Hengelbrock (M) und das NDR Elbphilharmonie Orchester bei der langersehnten Eröffnung des Konzerthauses (picture-alliance / dpa / Christian Charisius)
    Schon vor der offiziellen Einweihung wurden im Großen Saal die Mikrofone aufgebaut, setzten sich die Orchestermusiker auf das noch jungfräuliche Podium, hob schließlich Thomas Hengelbrock an drei Novembertagen im vergangenen Jahr den Taktstock, wenn auch nicht zur ersten, so doch zur dritten und vierten Symphonie des gebürtigen Hamburgers Johannes Brahms.
    MUSIK: Vierte Symphonie, erster Satz, Anfang
    E-Moll, die Tonart der Melancholie, so beginnt die vierte und letzte Symphonie von Johannes Brahms. Wehmut ohne Sentimentalität, ein gelassen zurückblickender Beginn ohne falsche Tränen. Brahms-Kenner haben sich vielleicht gewundert, denn Thomas Hengelbrock lässt das NDR Elbphilharmonie Orchester jene Eingangstakte spielen, die Johannes Brahms noch vor Drucklegung gestrichen hatte. Sein Freund Joseph Joachim hat das immer bedauert und die Takte ebenfalls spielen lassen, doch Brahms blieb bei seiner Entscheidung. Eine Petitesse der Aufführungsgeschichte, aber wohl das einzige Alleinstellungsmerkmal dieser Aufnahme.
    Denn Thomas Hengelbrock lässt nicht erkennen, was er mit diesen beiden Symphonien sagen will. Die Töne werden unterschiedslos exekutiert wie sie in der Partitur stehen, eine Hierarchie der Instrumentengruppen ist nicht erkennbar. Da pulsiert nichts, ist kaum eine nennenswerte Phrasierung erkennbar. Dabei liegt gerade darin die Hauptarbeit eines Dirigenten: Entscheiden, was gerade Haupt- und was Nebenstimme ist, wo der Schwerpunkt einer Phrase liegt und wo eine harmonische Entwicklung hin will. Doch Hengelbrock lässt die musikalischen Linien ins Ungefähre laufen, die Holzbläser bleiben farblos, die Streicher pauschal vibratoarm, die ganze Interpretation blass.
    Aber die Plattenfirma Sony gibt dem potentiellen Käufer ohnehin zu verstehen, dass es auf das Werk nur bedingt ankommt. Auf dem Cover prangt groß das imposante Gebäude, in dem sich die Wolken spiegeln, fett steht dort "Elbphilharmonie Hamburg", etwas kleiner "The First Recording" sowie die Namen von Orchester und Dirigent. Komponist und Werktitel sind auf den ersten Blick hingegen kaum zu lesen. Diese CD birgt also das Versprechen, die viel diskutierte Akustik der Elbphilharmonie nach Hause tragen zu können. Hören wir nochmal genau hin. Der zweite Satz der vierten Symphonie.
    MUSIK: Vierte Symphonie, zweiter Satz
    Überraschend obertonarm, dumpf und hallig klingt, was der Tonmeister hier zusammengemischt hat. Das muss überhaupt nicht dem Klangeindruck im Saal entsprechen, denn mittels moderner Digitaltechnik kann am Mischpult fast jedes gewünschte Klangbild erzeugt werden. James Levines "Parsifal" aus der New Yorker Met klingt fast als wäre er in Bayreuth aufgenommen worden, die Aufnahmen des Bayerischen Rundfunks aus dem Bayreuther Festspielhaus klingen in den letzten Jahren hingegen so neutral als wären sie im Münchner Nationaltheater entstanden. Alles eine Frage der Mikrofonierung und Bearbeitung.
    Das Klangbild auf der CD dürfte also gewollt sein und nicht irgendwie unterlaufen. Man möchte allerdings hoffen, dass die Musik nicht auf allen Plätzen in der Elbphilharmonie so klingt. Von der kristallinen Klarheit, die in den ersten Kritiken je nach Klangideal gelobt oder bedauert wurde, ist jedenfalls nichts zu hören. Auch im Finale der vierten Symphonie bleibt die vorwärtsdrängende Energie gradlinig, fehlen rhythmische Flexibilität und Eleganz.
    MUSIK: Vierte Symphonie, Finale
    Seit 2011 ist Thomas Hengelbrock Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters, jüngst umbenannt in NDR-Elbphilharmonie-Orchester, nicht zu verwechseln mit dem Philharmonischen Staatsorchester, das auch in der Staatsoper spielt. In den vergangenen Jahren hat Hengelbrock das NDR-Elbphilharmonie-Orchester nach seinen Klangvorstellungen geformt, die von der Originalklangbewegung der historischen Aufführungspraxis geprägt sind. Schwelgerische Klangschönheit strebt er nicht an, emotionale Ausnahmezustände sind ihm auch bei Brahms unerwünscht. Die Notwendigkeit, von dunklen Geheimnissen zu erzählen, wie sie alle spätromantische Musik antreibt, spürt Hengelbrock wohl nicht. Darunter leidet auch seine Interpretation der dritten Brahms-Symphonie.
    MUSIK: Dritte Symphonie, erster Satz
    Nüchtern ist noch das freundlichste Adjektiv für Thomas Hengelbrocks Sicht auf die dritte und vierte Symphonie von Johannes Brahms. Rhythmisch immer straff und gerade, dadurch auf die Dauer ermüdend schnurren die insgesamt acht Sätze ab und mit fortschreitender Laufzeit verstärkt sich der Eindruck, dass auch in puncto Orchesterqualität noch Luft wäre. Wenig Glanz in den Streichern, wenig Strahl in den Bläsern. Das ungarische Kolorit gerade in der dritten Symphonie bleibt für alle Beteiligten eine Fremdsprache, die gerade mal durchbuchstabiert wird. Deutlich ist die Anstrengung zu spüren, bloß nichts falsch zu machen.
    Jedem Beteiligten dürfte klar gewesen sein, dass diese Aufnahme im Zuge des Eröffnungshypes besonders kritisch angehört wird. Und so gestattet Hengelbrock es sich und seinen Musikern nicht, einfach mal Freude zu haben an einer strömenden Melodie, an einem funkelnden musikalischen Einfall. Brav wird abgeliefert, was in den Noten steht, nicht mehr. Und das ist gerade mit Blick auf die beeindruckende Diskographie der Brahms-Symphonien deutlich zu wenig.
    MUSIK: Dritte Symphonie, Finale
    So belanglos endet die dritte Symphonie von Johannes Brahms in der Interpretation des Dirigenten Thomas Hengelbrock mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester. Ebenso wie die vierte ist sie dann halt irgendwie vorbei, ohne einen tieferen Eindruck zu hinterlassen. Die CD wird vom Label Sony unter dem Titel "Elbphilharmonie Hamburg – The First Recording" vermarktet. Ein Merchandising-Artikel, der seinen richtigen Platz im Souvenirladen finden wird, zwischen Kühlschrankmagneten und Hochglanzbildbänden.
    Elbphilharmonie Hamburg, The First Recording
    Johannes Brahms: Symphonien 3 & 4
    NDR Elbphilharmonie Orchester; Thomas Hengelbrock
    LC 06868: Sony, 8 8985405082