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Tagebau Hambach
Kohle statt Kirche

Das Dorf Manheim bei Kerpen muss dem Braunkohle-Tagebau weichen. Nun wurde die katholische Kirche entweiht, um im neuen Ort wieder aufgebaut zu werden. Während des Abschiedsgottesdienstes flossen innen die Tränen, während draußen protestiert wurde. Die Demonstranten kritisieren den Rückzug der Kirche.

Von Vivien Leue |
Menschen versammeln sich zur letzten Messe in der Kirche in Manheim - Demonstranten protestieren gegen den baldigen Abriss
Menschen versammeln sich zur letzten Messe in der Kirche in Manheim - Demonstranten protestieren gegen den baldigen Abriss (Deutschlandradio / Vivien Leue)
"Bin 'ne alte Manheimerin, ich bin hier getauft und die Kinder und alle … das ist schlimm." "Ich weiß noch, wo ich gesessen habe, als ich zur Kommunion gegangen bin. Das war total aufregend."
Es ist das letzte Mal, dass dieser Mann den Ort seiner Kommunion sieht, dass diese Frau unter dem strahlend weißen, 120 Jahre alten Kreuzgewölbe steht, in dem jetzt gerade - auch ein letztes Mal - das Halleluja des Kirchenchores erklingt.
"Es war mir sehr schwer, Abschied zu nehmen"
Denn mit diesem Gottesdienst wird die Kirche St. Albanus und Leonhardus in Manheim bei Kerpen entwidmet, der Welt zurückgegeben und dem Energiekonzern RWE überlassen. Der braucht das Gebiet für seinen Braunkohle-Tagebau Hambach. Ein Großteil des einstigen 1.600-Seelen-Dorfes Manheim ist deshalb schon umgesiedelt worden - in den eigens dafür errichteten Ort Manheim-neu, 10 Autominuten entfernt. Die Kirche, sie war der letzte Anlaufpunkt für die Alt-Manheimer, das letzte Verbindungsstück zur einstigen Heimat.
"Ich darf Sie einladen, sich daran zu erinnern, was Sie mit diesem Ort hier verbinden, welche Geschichte Sie haben."
Pfarrer Ludger Möers tauscht deshalb heute seine Predigt gegen Erzählungen der Gemeindemitglieder.
"Leider endet nach dieser Messe eine lange und tiefe Verbundenheit zu dieser Kirche." "Wir haben alle Feste hier gefeiert." "Es war mir sehr schwer, Abschied zu nehmen. Aber überall ist Gott, überall ist die Kirche."
Auf den Kirchenbänken fließen Tränen, Menschen klopfen sich auf die Schulter, umarmen sich, geben sich Halt.
Kritiker sind enttäuscht vom Rückzug der Kirche
Vor der Kirche ein anderes Bild: Hier ist die Trauer in Wut umgeschlagen. Mehr als 150 Demonstranten stehen vor dem backsteinernen Kirchengebäude, beten, singen und halten Transparente hoch, auf denen steht: "Ich schäme mich für meine Kirche" und "Für 30 Silberlinge verkauft ihr Eure Seele."
"Die Kirche, die beschließen im April die 10 Thesen, dann sollten die eigentlich Position beziehen."
Die 10 Thesen zum Klimaschutz, die die deutschen Bischöfe vor wenigen Wochen aufgestellt haben, sind hier vor der Manheimer Kirche auf große schwarze Banner geschrieben: Aus den fossilen Energieträgern aussteigen - Glaubhaft und konsequent die Klimaziele umsetzen - Vorbildfunktion der Kirche ernst nehmen, um nur drei zu nennen.
"Ich würde mir wünschen, dass die 10 Thesen auch ernst genommen werden und nicht nur reden, sondern auch Taten folgen lassen." "Am Beispiel der Kirche würde das bedeuten, dass sie eben nicht an RWE verkauft wird und weil die Dörfer hier sowieso bleiben."
Ein Schaufelradbagger von RWE hinter dem Hambacher Forst vor dem Tagebau Etzweiler. Im Hintergrund das RWE Kraftwerk Niederaußem.
Ob der Hambacher Tagebau Manheim erreichen wird, ist noch unklar (imago)
Ob die Dörfer wirklich bleiben und nicht mehr - wie geplant - für den Braunkohle-Abbau abgerissen werden, ist unklar. Aber diese Hoffnung steht im Raum, seit die von der Bundesregierung eingesetzte Kohle-Kommission Anfang des Jahres den Wunsch geäußert hat, dass der Hambacher Wald stehen bleibt. Und der liegt sogar noch etwas näher am Tagebau als das Dorf Manheim.
"Ich bin sehr traurig, dass diese Kirche hier entweiht wird, weil RWE scheinbar hier vorhat, weiter alles abzureißen."
Dass sich die katholische Kirche dem nicht stärker entgegen stellt, Position bezieht und das Kirchengebäude als quasi letzte Bastion behält – das verstehen die Demonstranten hier nicht.
"Kirche und Dorf - das ist eine Einheit"
Mittlerweile ist der Gottesdienst beendet. Die Entwidmung der Kirche ist vollzogen, der Altar ist geräumt. Wichtige Reliquien, wie das ewige Licht, werden mit einer Prozession aus der Kirche getragen. Sie sollen, zusammen mit den Kirchenfenstern und Teilen des Mobiliars, in einer neu zu bauenden Kirche im neuen Ort wieder aufgestellt werden. Im Kirchenhof bleiben die Gemeindemitglieder noch kurz stehen, einige blicken wehmütig auf das einstige Gotteshaus.
"Jetzt ist endgültig Schluss. Das absolute Ende." "Ich bin da ein bisschen altertümlich. Kirche, Dorf und dörfliches Leben - das ist eine Einheit. Und wenn die Kirche entweiht wird und das Dorf stirbt schon langsam, dann ist das wie der Stich ins Herz."
Innenraum der Kirche St. Albanus und Leonhardus in Manheim
Für viele Manheimer war die Kirche das Herz des Dorfes (Deutschlandradio / Vivien Leue)
So empfinden es viele hier. Auch wenn die Menschen zum Teil schon seit Jahren im neuen Ort leben, ihr Herz hängt offenbar noch an der alten Heimat, am alten Dorf.
"Ich bin eine Manheimerin, ich habe hier, von Kindheit getauft und alles erlebt. Ist einfach 'ne endgültige Sache jetzt, ne?" "Ich war viele Jahre Messdiener hier und muss schon sagen, war sehr bewegend, das zu sehen, wie der Altar weggeräumt wird und … ist nicht einfach."
10 Thesen der deutschen Bischöfe kommen zu spät
Kritik an der Kirche, wie sie die Demonstranten formulieren, gibt es von Seiten der Gemeindemitglieder aber kaum – im Gegenteil.
"Ich finde, es war eine gelungene Messe, die leider von den Aktivisten versucht wurde, zu stören." "So ein Gotteshaus stehen lassen… immer das, was nicht genutzt wird und was nicht in Gebrauch ist, das zerfällt und geht kaputt. Also daher ist das nicht sinnvoll, so eine Forderung dieser Leute, dass diese Kirche hier bestehen bleibt."
Es scheint, als kämen der Kohlekompromiss, die Proteste und vielleicht auch die 10 Thesen der deutschen Bischöfe für Manheim einfach zu spät.
"Das war jetzt wieder ein Schritt, der zwar traurig war, aber wir müssen weiter gehen. Die Kirche muss am neuen Ort, da wo wir wohnen, was schaffen. Aber hier ist Schluss, es ist vorbei hier."