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Tagung in Berlin
Kulturelles Erbe der deutschen Kolonialherrschaft

Im Deutschen Historischen Museum fand eine internationale Tagung zum kulturellen Erbe der deutschen Kolonialherrschaft statt. Der Bau des Humboldt Forums in Berlin, die geplante Ausstellung für außereuropäische Kunst und der Ursprung mancher Exponate hatten im Vorfeld für heftige Kontroversen gesorgt.

Von Cornelius Wüllenkemper | 28.05.2016
    Die Kuppel des Rohbaus des Berliner Schlosses, das den Namen Humboldt-Forum trägt, in Berlin. Es ist Nacht, im Vordergrund ein Baukran.
    Die Kuppel des Rohbaus des Berliner Schlosses, das den Namen Humboldt-Forum trägt, in Berlin. (dpa / picture alliance / Alex Heinl)
    Bereits der Titel der Konferenz "Das kulturelle Erbe der deutschen Kolonialherrschaft" deutete eine Schieflage in der kontroversen Debatte an: Ging es doch vielmehr um die geschichtlichen Folgen und unterschiedlichen Betrachtungsweisen der kurzen deutschen Kolonialgeschichte. Memory Biwa, namibische Historikerin und Aktivistin der "No Humboldt 21"-Initiative(*), die das jetzige Konzept des Humboldt-Forums als eurozentristisch ablehnt und einen Baustopp fordert, nutzte die Konferenz im Deutsche Historischen Museum zu harscher Kritik an der mangelnden Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in Namibia.
    "Antikolonialer Widerstand wird in den Kolonialarchiven als Aufstand von Rebellen dargestellt, nie ist die Rede von einem Krieg, das wurde nicht zugelassen. Der Krieg wird in Perioden eingeteilt, auch das ist ein historiographisches Konstrukt, ein Verschweigen von Geschichte. Man spricht vom Krieg gegen die Herero und gegen die Nama. Frühere Massaker durch die Deutschen erscheinen so bedeutungslos und ohne Zusammenhang zu den späteren Gewalttaten."
    Werner Hillebrecht, der langjährige Direktor des namibischen Nationalarchivs, bestätigte am Rande der Tagung, dass bis heute unerforschte Aktenbestände brisantes Material über die deutsche Vernichtungspolitik enthalten, wie zum Beispiel Todeslisten eines Konzentrationslagers auf der sogenannten Haifischinsel, einer Halbinsel in der Lüderitzbucht im Süden des Landes. Vom brutalen Krieg in der deutschen Siedlungskolonie Namibia Rückschlüsse auf eine einheitliche strategische deutsche Kolonialpolitik zu ziehen, sei dabei falsch, betonte die Kölner Historikerin Ulrike Lindner. Der Verlauf der kolonialen Besetzungen sei im Wesentlichen von den Bedingungen vor Ort geprägt gewesen:
    "Einen ganz großen Unterschied macht generell die Tatsache, ob Siedler kommen, die dann so zu sagen eine dritte Kraft bilden zwischen der Verwaltung im Mutterland und der Kolonie, weil die ihre eigenen Interessen verfolgen und Privilegien beanspruchen und normalerweise auch diese rassistischen Abtrennungen fordern und verstärken, mehr als in reinen Beherrschungskolonien."
    Kulturelle Bestrebungen der deutschen Kolonialpolitik
    Wie erfolglos die kulturellen Bestrebungen der deutschen Kolonialpolitik sein konnten, zeigte Stefan Engelberg vom Institut für deutsche Sprache am Beispiel Papua-Neuguinea. Der Versuch, aus nationalen Prestigegründen und zur vermeintlichen Kultivierung der Eingeborenen die deutsche Sprache als Lingua Franca einzuführen, schlug fehl. Vielmehr schufen sich die von deutschen Plantagenbetreibern auf Samoa angesiedelten Arbeiter eine eigene Sprache - das auf Englisch basierende Tok Pisin, bis heute die Hauptverkehrssprache auf Papa-Neuguinea:
    "Wenn es ein sprachbezogenes kulturelles Erbe der deutschen Kolonialherrschaft in Papa-Neuguinea gegeben hat, dann ist das wahrscheinlich das Wichtigste. Wir würden, wenn wir heute über Kolonialismus nachdenken sicherlich nicht mehr die Perspektive einnehmen, wir Deutschen, wir sind dahingefahren und haben das und das gemacht, sondern die Einheimischen viel mehr auch als Handelnde in diesem kolonialen Prozess wahrnehmen. Das gilt sicherlich auf einer politischen Ebene, aber auch aus linguistischer Perspektive. Die Leute nur aus einer Opferperspektive zu sehen, würde uns da glaube ich viele Erkenntnisse verwehren."
    Vielversprechende Impulse
    Dass die Aufarbeitung des kolonialen Abenteuers auch in den ehemaligen Kolonien nur zögerlich beginnt, zeigte in Berlin der togoische Germanist Gilbert Dotsé Yigbe. Während in Togos Politik und Gesellschaft die deutsche Kolonialherrschaft bis heute ein äußerst hohes Ansehen genieße, deckten togische Historiker zusehends die unbekannten Wahrheiten über die vermeintlichen Befriedungskriege und die Sklavenbefreiung in der sogenannten Musterkolonie auf. Das abrupte Ende der deutschen Kolonialgeschichte im Ersten Weltkrieg habe eine Auseinandersetzung mit den historischen Geschehnissen beiderseits erschwert, meint Gilbert Dotsé Yigbe und liefert damit zugleich den Anstoß zu einem multilateral und differenziert geführten Geschichtsdiskurs. Die Tagung in Berlin gab dafür trotz erheblicher Unterschiede in der wissenschaftlichen Qualität der Beiträge, vielversprechende Impulse.

    (*) Korrekturhinweis: Anders als in der Sendefassung des Beitrags formuliert, ist Memory Biwa nicht Mitglied des Bündnisses "No Humboldt 21", erklärt sich aber solidarisch mit seiner Arbeit und Kritik am Humboldt-Forum und am Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Der im Beitrag verwendete O-Ton von Memory Biwa stammt aus einem Vortrag, den Memory Biwa an der Universität Hamburg am 11.5.2016 gehalten hat.