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Taiwan
Angst vor einer Invasion Chinas

Eine Flut chinesischer Touristen überschwemmt das kleine Land Taiwan. Die Einheimischen sehen den Boom mit gemischten Gefühlen. Das Geld können sie gebrauchen, doch sie vernehmen auch die Stimmen aus Peking, die die "abtrünnige Provinz", wie Taiwan dort genannt wird, wieder ins Mutterland eingliedern wollen.

Von Jürgen Hanefeld | 25.10.2014
    "Argwöhnisch blicken die Taiwanesen auf die Vorgänge in Hongkong. Schließlich beansprucht das mächtige China auch die Herrschaft über Taiwan, das frühere Formosa, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs unter der Bezeichnung 'Republik China' ein Eigenleben führt. Peking betrachtet die Insel als 'abtrünnige Provinz', die es früher oder später ins Mutterland integrieren wolle. Genau wie Hongkong. Zwar befürchten die Taiwanesen zur Zeit keinen Militärschlag, der sie unter die Herrschaft Chinas zwingen würde. Aber eine schleichende Übernahme hat bereits begonnen: Touristen und Firmen von Festland machen sich in Taiwan breit."
    Seit 2008 dürfen Touristen aus der Volksrepublik nach Taiwan reisen, erst in Gruppen, seit 2011 auch als Einzelreisende. Das hat der Insel einen nie dagewesenen Boom beschert. Chinesen wohin man blickt, im Palastmuseum, in den Shopping-Malls der Hauptstadt und hier, am idyllisch gelegenen "Sonne-Mond-See" hoch in den Bergen.
    "50 bis 60 der Prozent der Gäste auf unseren Ausflugsbooten kommen jetzt aus China, sagt die Frau am Ticketschalter. Der Rummel ist viel größer geworden, und sie wollen immer alles billiger haben. Möglichst viel für wenig Geld!"
    Die Taiwanesen empfangen die Brüder vom Festland mit zweischneidigen Gefühlen. Ethnisch gesehen sind sie ja selbst Chinesen. Aber das kapitalistische Taiwan hat sich ganz anders entwickelt als die Volksrepublik, Taiwan ist "Erste Welt", China trotz des rasanten Wachstums allenfalls ein Schwellenland. Das merke man auch am Benehmen der Touristen, erzählt der Bootsführer Kuang:
    "Am Anfang haben sie überall Kürbiskerne hingespuckt. Ich musste nach jeder Tour das Boot abspritzen. Das hat sich inzwischen gebessert."
    Vielleicht dank einer Broschüre, in der die Regierung in Peking Verhaltensregeln für Auslandsreisende zusammenfasst: Sie mögen nicht auf die Toiletten steigen, nicht auf die Straße spucken, nicht in der Nase bohren, nicht zu laut sprechen. Das alles sei "unzivilisiertes Verhalten". Doch der Hotelier Wang Shin Tai zweifelt am Erfolg der Umerziehung:
    "Chinesen nehmen einfach keine Rücksicht auf die anderen Gäste. Sie sind nicht kultiviert. Vor allem im Frühstücksraum merkt man das. Wir müssen sie immer wieder bitten, nicht so laut herumzuschreien und ihre Kinder nicht überall rumtoben zu lassen. Ich fürchte, wenn noch mehr Gäste vom Festland kommen, dann bleiben die anderen, Amerikaner, Japaner und unsere eigenen Landsleute irgendwann weg."
    Eine formelle Unabhängigkeitserklärung Taiwans würde China nicht akzeptieren
    Im Jahr 2013 besuchten bereits rund 3 Millionen Chinesen aus der Volksrepublik die kleine Pazifikinsel. Die Steigerungsraten gerade bei den Individualreisenden sind immens. Ihre Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt und wird am Ende dieses Jahres die Millionengrenze überschreiten.
    "Wir fühlen uns hier wie zuhause. Die Sprache ist dieselbe und die Leute sehen aus wie wir. Aber man merkt auch, dass es hier eine demokratische Regierung gibt, die viel für ihre Bürger tut!"
    "Wir kommen aus Shanghai. Wir haben Urlaub und hatten gehört, dass Taiwan sehr schön sein soll, die Landschaft, die Kultur, das Essen. Weil wir erst seit wenigen Jahren hierher fahren dürfen, wollten wir jetzt mal gucken, wie die andere Seite unseres Vaterlandes aussieht."
    Das mit dem Vaterland hört man nicht gern in Taiwan. China hat seinen Anspruch nie aufgegeben, die sogenannte "abtrünnige Provinz" ins Reich der Mitte einzugliedern - notfalls mit Gewalt. In jüngster Zeit, vor dem Hintergrund der Unruhen in Hongkong, benutzt das Regime in Peking auch wieder die Formel "Ein Land, zwei Systeme", die ursprünglich ohnehin auf Taiwan gemünzt war. Eine formelle Unabhängigkeitserklärung würde die Volksrepublik nicht hinnehmen. So bleibt das politische Verhältnis zwischen Peking und Taipei im gewohnten Schwebezustand. Doch der wirtschaftliche Einfluss der Volksrepublik auf Taiwan nimmt rapide zu. Im Tourismus ist das besonders sichtbar, doch andere Branchen betrifft es ebenso.
    Befürchtungen werden laut, statt einer militärischen Übernahme plane China den wirtschaftlichen Anschluss Taiwans. In der Debatte um das "Handels- und Dienstleistungsabkommen" mit Peking prallen die Positionen entsprechend hart aufeinander. Joseph Wu, der Generalsekretär der oppositionellen "Demokratischen Progressiven Partei", DPP, verlangt etliche Nachbesserungen:
    "Besonders stört uns die geplante Öffnung des Telekommunikationsmarktes. Weder die USA noch Australien oder Indien lassen chinesische Telekom-Firmen ins Land, und zwar aus Sicherheitsgründen. Taiwan muss in diesem Sektor besonders vorsichtig sein, weil wir wissen, dass China einen Hang dazu hat, sich uns einzuverleiben. Nach dem Abkommen soll unser Markt nun aber auch für chinesischen Telekom-Firmen offen sein. Wir sind strikt dagegen, dass auch nur ein einziges Unternehmen wie etwa Huawei auf dem taiwanesischen Markt zugelassen wird."