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Theater-Uraufführung in Cottbus
"Warten auf Sturm"

Wer den "Kleistförderpreis" erhält, kann sich über Geld und Uraufführung des ausgezeichneten Theaterstückes freuen. Der Preisträger 2019, Peter Thiers, erzählt in "Warten auf Sturm" von der zerbrechenden Ordnung eines Bergwerkmilieus. Der Inszenierung in Cottbus fehlt jedoch jegliche Welthaltigkeit.

Von Eberhard Spreng | 30.09.2019
Eine Szene aus Peter Thiers Theaterstück "Warten auf Sturm" am Staatstheater Cottbus
Nicht mehr unter Tage - die Malocher in Peter Thiers' "Warten auf Sturm" haben die Mine verlassen (Staatstheater Cottbus / Marlies Kross)
Eine Dystopie, wieder einmal. Auf einer von Umweltzerstörungen gezeichneten Erde sind Minenarbeiter tief unter dem Boden mit dem Abbau lukrativer Erze beschäftigt. Über der Erdoberfläche sorgt ein autokratischer Herrscher namens Winter für die Aufrechterhaltung der maroden Ordnung. Alles, was hier zählt, ist die Mine. Wohlstand bedeutet sie für die einen – Heimat für die anderen, die sogenannten Cleaner, eine ganz besondere Schicksalsgemeinschaft.
"Alles kommt vom Bergwerk her. Erze, Brocken, Teilchen. Das Hämmern der Geräte. Die Arbeit am steinernen Erz."
Natürlich steckt in Peter Thiers "Warten auf Sturm" eine Metapher für die Ausbeutung: Die Cleaner sind zu einer Klasse geworden, die sich eine andere Welt gar nicht mehr vorstellen kann. Das Tageslicht sehen sie nie. Das Wasser in der Grube ist knapp und meistens verseucht. Tod und Verletzung drohen jederzeit durch ständige Bergwerksunfälle.
Lernen unter Tage
Nur in die Figur der Lara, Tochter eines schwerbehinderten Schmelzers, legt der Autor Spuren einer Veränderungshoffnung. Sie ist eine sogenannte "Rostgeburt", eine Mutantin, ein Zwitter aus Erz und Mensch, und eine Wanderin zwischen den beiden Welten. Bergwerksherrscher Winter will seinen Sohn für künftige Führungsaufgaben heranbilden und organisiert eine Exkursion in die finstere Welt der Mine.
"Das ist das Werk, Junge. Sieh dich ruhig einmal um. Das ist der Dunst der Arbeit. Den wirst du noch kennenlernen! Mehr als genug. Richtig Freunde werdet ihr noch werden, du und der Dunst. So ein Husten ist nur ein erster Händedruck."
Regisseur Volker Metzler hat hemmungslos populäres Musikmaterial in die Inszenierung einfließen lassen. Ennio Morricones "Spiel mir das Lied vom Tod" und dessen Leitmotiv aus "Zwei glorreiche Halunken", Ravels "Bolero" und andere Evergreens.
Beliebige Bildsprache mit Revueästhetik
Einige mit Milchglasscheiben verblendeten Stahlrahmen bilden eine Bühnenlandschaft, die in ihrer doch etwas beliebigen Bildsprache der Rahmen ist für eine Revueästhetik, die der Uraufführungsregisseur dem metaphorischen Text vom Ende eines Wirtschaftssystems übergestülpt hat. In Peter Thiers' Stück ist das Bergwerk nicht ganz zufällig eine Koltan-Mine. Koltan wird von der Politik als sogenanntes Konfliktmineral bezeichnet, spielte eine Rolle im Kongokrieg und ist als Rohstoff für unsere digitale Zivilisation unverzichtbar.
Von all dem ist in Metzlers poppiger Inszenierung nichts zu spüren. Dessen buntes Theater saugt jegliche Welthaltigkeit aus dem Stück und nimmt es zum Anlass für eine Nummernrevue mit kuriosen Gags und lustigen Kostümen: Winter und dessen Sohn treten in hellen Umhängen auf, die an Flokatiteppiche erinnern. In einem knallgelben Kostümchen erscheint eine Akteurin für ein neckisches Tänzchen, wenn vom Kanarienvogel die Rede ist, mit dem Bergleute auf giftige Gasgemische aufmerksam werden. Besonders kurios wird die Regie am Ende des Stücks, wenn ein gewaltiges Gewitter naht und der so lange vermisste Regen alles zu zerstören droht.
"Ich sehe einen der gefährlichsten Stürme aufkommen, den dieser Schacht je gesehen hat. Und das, was wir einmal Heimat genannt haben, wird in wenigen Stunden nicht mehr vorhanden sein."
Förderpreisträger Peter Thiers verbindet am Ende seines Stückes drei Motive: Ein sintflutartiger Weltuntergang steht bevor; der Sohn Winters entmachtet seinen Vater auf blutige Weise; und die Klassenschranken zwischen den Malochern und den Profiteuren brechen ein - die von da unten kommen nach oben auf die Erde. Nun werden Fahnen geschwenkt, die Europafahne zum Beispiel, und die an die Erdoberfläche drängenden Cleaner umkreisen in einer kuriosen Prozession die Bühne. Sie tragen Regencapes, die man auf Bildern der Flüchtlingskrise immer wieder sah.
Diffuses Ende
Jede erstbeste Parallele zur Tagesaktualität ist nun willkommen und verstellt den Blick auf die eher subtile Symbolik des Textes, der sich bestenfalls metaphorische Andeutungen auf die Gegenwart erlaubt. Und den Appell der Erlöserfigur Lara, nicht mehr andere für unseren Wohlstand zu verheizen. Währenddessen wirft sie die Leiche des Altherrschers Winter in den Schmelzofen und sagt dann: "Ich bin Winter!" Aber was das für eine künftige Gesellschaft bedeutet, bleibt unklar. Ein diffuses Ende nach der messianischen Einzeltat vor dem Horizont der Umweltkatastrophe.