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"Touchdown. Alles über American Football"
Einblick in eine Welt der Extreme

American Football sei martialisch und hochintelligent zugleich, sagt Jürgen Schmieder. In "Touchdown. Alles über American Football" lotet der USA-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" die Faszination und unzähligen Facetten der Sportart aus. Selbst Experten können in dem Buch noch etwas lernen.

Von Moritz Küpper | 05.09.2020
Patrick Mahomes, Quarterback der Kansas City Chiefs, steht im Super Bowl 2020 für einen Spielzug bereit
Kurz vor dem Spielzug: Der Moment der Stille, der Football so faszinierend macht (imago/Icon SMI)
Das Geschrei der Fans auf den Rängen, die Kommandos auf dem Feld - und dann: Das Ineinanderkrachen der Spieler, der Spielzug, die Aktion, Reporter mit sich überschlagenden Stimmen: "Touchdown Cowboys."
"Touchdown. Alles über American Football", so lautet auch der Titel eines neuen Buchs über, eben American Football. Über die Geschichte einer Sportart, die längst Teil einer Popkultur zu sein scheint. Deren Akteure immer wieder politische und gesellschaftliche Debatten auslösen und hinter deren Lautstärke eine komplexe, hochprofessionelle und milliardenschwere Unterhaltungsmaschinerie läuft.
Der Moment der Stille, der Football so faszinierend macht
Auszug: "Es ist dieser Moment der Stille, der Football so faszinierend macht. Der Augenblick vor dem Snap, bei dem der Center den Ball durch seine Beine an den Quarterback übergibt und der Spielzug beginnt. Wenn sich die beiden Teams gegenüberstehen wie Soldaten vor einer Schlacht. Wenn die Generäle die Position des Gegners betrachten und letzte Veränderungen vornehmen, indem sie ihre Figuren in Position bringen. Wenn Rasenschach vorbei ist, das Gemetzel aber noch nicht begonnen hat. Wenn alle auf das entscheidende Kommando warten. Wenn Verteidiger mit den Hufen scharren und Laufspieler grimmig schnauben. Wenn es einen Moment lang still ist im Stadion."
Und ein Spieler den Football ins Spiel bringt. Neben dem klassischen Snapper, gibt es noch den sogenannten Long-Snapper. Einen Spieler, der den Football über einige Meter für einen Fieldgoal-Versuch oder einen Befreiungsschlag, durch seine Beine nach hinten wirft. Im Jahr 2019 gab es keinen Long-Snapper, der weniger als eine halbe Millionen Dollar im Jahr verdiente.
"Dass ein Experte auch noch was lernen kann"
"Mir war es dann wichtig, schon auch tief einzusteigen" - Der Autor Jürgen Schmieder lebt seit sieben Jahren als Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Los Angeles. Schmieder hat verschiedene Sachbücher geschrieben – und sich nun dem Phänomen American Football gewidmet.
"Und so ein paar Anekdoten zu erzählen über: Welche Spieler gibt es? Und wie funktionieren die Regeln tatsächlich im Detail? Also, das man sagt: Wie wechselt jemand? Was bedeutet ein Salary-Cap? Dass es so leicht und vielleicht ein bisschen seicht losgeht, mit ‚Was ist die Sportart?‘ und dann aber im Laufe des Buches immer tiefer wird, dass ein Experte auch noch was lernen kann."
Details und Anekdoten
24 Kapitel hat das insgesamt 229 Seiten starke Buch, inklusive Glossar der wichtigsten Begriffe. Schmieder ist dabei ein Buch mit klarer, lesefreundlicher Struktur gelungen: Faszination, Positionen, Entstehung, Entwicklung. Mit Details und Anekdoten, wie eben jene zum Snapper oder der Geschichte von Todd Marinovich, jenem Spieler, dem bereits als ein Monat alter Säugling die Muskeln gedehnt wurden, der es in die NFL schaffte und nach ein paar Saisons wegen Drogenabhängigkeit aufgeben musste, sorgen dafür, dass "Touchdown" nicht nur für Einsteiger lesenswert ist:
"Ich habe es jetzt meinen amerikanischen Freunden gezeigt und die fragten so: Okay, Football, wissen wir eh schon alles darüber. Und dann fragte ich die so: Naja, weißt Du eigentlich woher der Name deines Lieblingsklubs Baltimore Ravens kommt? Woher kommt der denn? Und der so: Ich habe keine Ahnung. Und dann konnte ich denen sagen: Ja, schaut mal, es kommt von Edgar Allen Poe, der hat ein Gedicht ‚The Raven‘ geschrieben und so kamen die Ravens zu ihrem Namen."
Seltene persönliche Zugangsmöglichkeiten
Es ist auch ein Nachschlagewerk für Small-Talk, das sich mit Rivalitäten an den Colleges beschäftigt, das die Kosten für die Allgemeinheit herausarbeitet, obwohl die NFL Milliardenumsätze macht und sich auch mit Verletzungen beschäftigt. Entstanden ist Schmieders Buch auch und gerade in seiner Nachbarschaft im kleinen Ort Hermosa Beach in Kalifornien:
"Wir leben in einem Dorf, das voller Sportler ist. Also, 22 Los Angeles Kings-Spieler wohnen bei uns im Dorf. Der Quarterback-Coach der Los Angeles Rams wohnt drei Häuser weiter, der Architekt des neuen Stadions der Rams und Chargers wohnt in unserer Straße. Kevin Burkhard, der NFL-Partien kommentiert, wohnt auf der anderen Straßenseite."
Szene aus dem Superbowl-Finale 2019 zwischen den New England Patriots und den  Los Angeles Rams in Atlanta, Georgia.
"Football ist wie Planspiel Börse. Und das macht diese Sportart so faszinierend. Weil es einerseits so martialisch, so brachial daherkommt, andererseits hochintelligent." (AFP / Angela Weiss)
Hinzu kommen weitere, seltene persönliche Zugangsmöglichkeiten:
"Der Psychologe an der University of Michigan, der einst Tom Brady kuriert hat, hat damals auch einen ziemlich untalentierten Fußballer aus Deutschland kuriert. Das war ich. Und so gibt es wieder eine private Verbindung zu Tom Brady. Und das erleichtert natürlich die Recherche, weil du dann rankommst an Desmon Howard. Dann kannst Du mal reden mit einem Quarterback-Coach und sagen: Wie funktioniert denn die Position tatsächlich. Und das hilft dann. Und so wird, glaub ich, ein Buch das schon auch tief geht und auch viel über Football erzählt."
Martialisch und hochintelligent zugleich
Football, so Schmieders Fazit, ist mehr als Wettbewerb, Rasenschach, Gladiatorenspiel und Gelddruckmaschine. Football ist Amerika.
"Wer zum ersten Mal Football sieht, der sagt: Oh, es ist ein ganz schön brutaler Sport und es geht letztlich darum, sich irgendwie durch einen Gegner durchzupflügen oder den Gegner zu Boden zu reißen. Wenn man sich dann aber mal damit beschäftigt, sieht: Wow, ein Spielzug ist wie Schach auf Rasen und wenn es dann noch weitergeht. Wie plant man so einen Kader? Das ist wie ein Planspiel Börse. Also, jeder Statistiker, jeder, der sich mit Wirtschaft beschäftigt, könnte seine Freude haben. Und das macht diese Sportart so faszinierend. Weil es einerseits so martialisch, so brachial daherkommt, andererseits hochintelligent."
Eine Welt der Extreme, deren unzählige Facetten Jürgen Schmieder nun aufgeschrieben hat.
Jürgen Schmieder: "Touchdown. Alles über American Football"
Piper Taschenbuch, München. 240 Seiten, 12 Euro.