Sonntag, 28. April 2024

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Türkei an Europa binden

Thiel: Grausame und brutale Terroranschläge haben in diesen Tagen die Welt wieder erschüttert – Schock, Trauer, Entsetzen. Die politischen Erklärungen kommen sofort: Es kann kein Zurückweichen vor dem Terror geben. Und wieder gilt die höchste Alarmstufe. Krista Sager, worauf müssen wir uns eigentlich gefasst machen? Ist der Kampf gegen den Terror jetzt verloren?

23.11.2003
    Sager: Nein, der ist nicht verloren, aber er wird natürlich weitergehen müssen. Und wir müssen uns darauf einstellen, dass wir leider noch in Zukunft auch solche entsetzlichen Anschläge erleben werden. Umso wichtiger ist natürlich, dass die internationale Staatengemeinschaft sich wirklich sehr eng zusammenschließt im Kampf gegen den Terror und dass man dort auch wirklich die Priorität setzt. Ich denke, es zeigt sich leider, dass die deutsche Position – wir müssen uns konzentrieren auf den Kampf gegen den Terrorismus. Der Kampf gegen den Terrorismus ist in Afghanistan nicht beendet gewesen, als man sich von Seiten der USA entschieden hat, in den Irakkrieg einzutreten. Und die Warnungen, sich hier nicht zu verzetteln und nicht noch ein Szenario aufzumachen, wo der internationale Terrorismus Zulauf bekommt, diese Warnungen sind doch wohl bestätigt worden als richtig.

    Thiel: Was hat die internationale Politik falsch gemacht? War der Irakfeldzug – der Irakkrieg – wirklich ein Fehler?

    Sager: Also, man hätte in der Tat sich nicht verzetteln sollen. Tatsache ist ja, dass es zwar ein schlimmes diktatorisches Regime im Irak gab, aber dass es dort nicht eine Verbindung gab zwischen diesem Regime und Al Kaida. Und jetzt erleben wir aber, dass offensichtlich das internationale Terrornetz sich zunehmend darauf konzentriert, den gesamten Nahen Osten zu destabilisieren, und zwar nicht nur durch Terroristen, die im Irak tätig sind neben den alten Saddam-Truppen, sondern dass sie jetzt sogar auch versuchen, die Türkei zu destabilisieren. Und das ist natürlich etwas, wo die wenigsten von uns damit gerechnet hätten und was auch wirklich furchtbar und entsetzlich ist.

    Thiel: Was bedeuten die Anschläge in der Türkei für die Zukunft des Landes und für den EU-Beitritt?

    Sager: Das Wichtige ist, dass man die Türkei wirklich anbindet an den europäischen Prozess. Hier wird es sicher auch darum gehen, dass die Türkei auch weiter daran arbeitet, den Demokratisierungsprozess im eigenen Land weiter voranzutreiben, das heißt, dass hier auch in Fragen der Garantie der Menschenrechte und der Menschenrechtsstandards das erfüllt werden muss, was europäischer Standard ist. Aber das, was schon unter der Kohl-Regierung der Türkei eröffnet wurde als europäische Perspektive und was ja auch mit bestimmten Zusagen verbunden ist, das muss konsequent fortgeführt werden. Es geht ja nicht darum, dass das ein EU-Beitritt von heute auf morgen ist, sondern wir wissen auch aus Verhandlungen mit anderen Ländern – Griechenland, kurz nach der Diktatur in Griechenland -, da hat der Verhandlungsprozess auch sehr lange gedauert und die kamen auch sozusagen einen langen Weg her. Aber der Prozess muss weitergehen. Man darf nicht die Illusion haben, dass, wenn der abbricht und wenn man der Türkei die Perspektive aufkündigt, dass dann in der Türkei alles so bleibt, wie es jetzt ist. Und wir haben ein Interesse daran, die Türkei sozusagen auch an Europa heranzuführen.

    Thiel: Der Terror verunsichert die Wirtschaft, die Aktienmärkte brechen ein. Wie groß ist die Gefahr, dass die vielleicht gerade erwachte Hoffnung auf ein bisschen Aufschwung, auf Konjunkturerholung jetzt wieder gefährdet ist?

    Sager: Also ich glaube nicht, dass das nachhaltig sein wird. Es zeigt sich heute schon, dass die Aktienmärkte sich nach dem ersten Schreck doch dann wieder stabilisiert haben. Und ich glaube auch, dass wir das, was wir an Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung derzeit ausmachen können, doch halten können, wenn nicht noch etwas völlig Außergewöhnliches, Schlimmes passiert. Das kann man aber in den heutigen Zeiten leider in der Tat nicht hundertprozentig wissen.

    Thiel: In diesen Tagen der Krisen, national wie international, beschäftigen die Union schwere Auseinandersetzungen um die richtige Sozialpolitik. Wegen eines Vorschlagspapiers aus München wurde schon ein Krisengipfel Stoiber/Merkel vorgeschlagen. Schreckt Sie eigentlich das öffentliche Bild der größten Oppositionspartei, auf die Sie ja im Vermittlungsausschuss jetzt angewiesen sind?

    Sager: Nein, es schreckt mich nicht, und es kommt auch nicht unerwartet. Die CDU/CSU hat sich viel zu lange darauf konzentriert zu hoffen, dass Rot-Grün an ihren eigenen Vorhaben scheitert, und sie haben offensichtlich gehofft, dass Rot-Grün das, was sie sich mit der Agenda vorgenommen hatten, nicht zu Ende bringt. Jetzt haben wir unsere Projekte, die sicher auch unbequem sind zum Teil, den Menschen auch etwas abverlangen, diese Projekte auf den Weg gebracht. Und jetzt kommen sie hinterhergedackelt und es zeigt sich, dass sie sich im Grunde zu lange ausgeruht haben, dass sie keine fertigen Konzepte haben und sich deswegen über die Konzepte zerlegen, weil dort natürlich auch sehr vieles unausgegoren ist, was sie sich ja jetzt gegenseitig bestätigen.

    Thiel: Zu dem Anlass: Hat der CSU-Vorschlag, Kindererziehungszeiten bei der Rente stärker zu berücksichtigen, nicht auch seinen Reiz? Verstärkte Familienförderung bedeutet doch eigentlich jetzt Steuererhöhung wieder.

    Sager: Es ist aber sozial gerecht, die Förderung von Kindern und Familien über das Steuersystem vorzunehmen, wie Rot-Grün das ja auch macht, zum Beispiel mit der Vorziehung der letzten Stufe der Steuerreform, was noch mal ja auch zu einer Entlastung bei den Bürgerinnen und Bürgern führen wird. Durch das Steuersystem werden tatsächlich alle beteiligt, auch diejenigen, die nicht in die Rentenversicherung einbezahlen. Ich sage aber auch ganz deutlich: Worauf es doch vor allen Dingen ankommt mit Blick auf die Stellung von Familien, ist, dass man den Frauen endlich eine echte Wahlchance gibt, Familie und Beruf – wenn sie es denn wollen – miteinander zu verbinden. Und diese Wahlfreiheit haben die Frauen bisher in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem im Westen, nicht gehabt und sie haben sie auch jetzt nicht. Und es nützt doch nichts, dass man denjenigen, die keine Kinder haben, zwar mehr Steuern abnimmt, aber diese Steuergelder nicht in Ganztagsschulen und nicht in Kinderbetreuung steckt, sondern in den Straßenbau. Und das ist doch die verfehlte Politik gerade auch der CDU in der Vergangenheit gewesen. Und jetzt geht es nicht darum, dass man in erster Linie noch mehr Geld in die Rente steckt, sondern es geht vor allen Dingen darum, dass man mehr Geld in Ganztagsbetreuung steckt, in Kinderbetreuung steckt. Und es zeigt sich ja auch, dass wir das nicht nur brauchen, um den Frauen eine faire Chance zu geben, sondern alle Experten sagen ja, wir brauchen es auch für die Kinder. Wir brauchen qualitätsvolle Angebote bei der frühen Förderung von Kindern noch vor der Schule, gerade auch was die Sprachförderung angeht. Und wir brauchen auch qualitätsvolle Angebote, was die Ganztagsschulen angeht, weil wir hier auch in den internationalen Vergleichen schlechter dastehen als viele Länder, die Ganztagsschulen haben.

    Thiel: Noch ein kurzer Rückblick, Frau Sager. Der so groß angekündigte Aufbruch vom SPD-Parteitag war ja nicht zu verzeichnen. Wie fällt Ihre Bewertung von Bochum aus, gerade auch im Hinblick auf den Zustand der Koalition?

    Sager: Na, ich finde, dass die ganze Diskussion über den SPD-Parteitag zu sehr dominiert wird von der Personaldiskussion und von der Diskussion über Wahlergebnisse. Tatsache ist doch, dass sich gezeigt hat, dass die SPD den für sie sehr schweren Weg nun gegangen ist, zu akzeptieren, dass wir in Deutschland in den sozialen Sicherungssystemen und auf dem Arbeitsmarkt Reformen brauchen, um einerseits mehr Teilhabegerechtigkeit für diejenigen zu schaffen, die arbeitslos sind, nämlich ihnen wieder eine Chance zu geben, in Arbeit zu kommen durch mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, aber auch durch eine Stabilisierung und Senkung der Lohnnebenkosten, und dass wir auch Reformen brauchen in unseren sozialen Sicherungssystemen, wenn wir an die demographische Herausforderung denken. Da kann man nicht weiter den Kopf in den Sand stecken. Und das ist inzwischen von der Basis der SPD anerkannt, und dieser Weg wird jetzt mitgegangen. Und es wird auch darüber hinaus jetzt in Richtung Bürgerversicherung weitergedacht. Und das ist ja etwas, was in dem grünen Wahlprogramm schon seit Jahren drinsteht, was wir jetzt auch konkretisieren. Und da kommt die SPD ja im Grunde dann auch in unsere Richtung ein Stück weiter.

    Thiel: Trotzdem da noch einmal nachgefragt: Der Kanzler wollte sie eigentlich nicht, diese Bürgerversicherung. Die Fachleute streiten sich ja auch da drum. Die Union kommt mit der Kopfpauschale. Ist das Thema nicht eigentlich schon tot, bevor es richtig durchdiskutiert ist?

    Sager: Nein, es ist überhaupt nicht tot, denn wir brauchen neben mehr Effizienzreform in unserem Gesundheitswesens – was wir auch brauchen, denn es nützt nichts, nur Geld in ein System zu stecken, wo auch das Geld nicht unbedingt immer so ausgegeben wird, dass es den Patientinnen und Patienten am meisten nutzt – daneben brauchen wir aber auch eine neue Aufstellung, was die Finanzierungsebene angeht. Natürlich sind die Kosten im Gesundheitssystem gestiegen so wie sie überall in den letzten zehn, zwanzig Jahren gestiegen sind. Aber sie sind, was den Anteil am Bruttosozialprodukt angeht, relativ konstant geblieben. Was nicht konstant geblieben ist, was die Anteilsbetrachtung angeht, das sind die Einnahmen. Wir haben wirklich ein Wegbrechen der beitragsfinanzierten Einnahmen, und deswegen müssen wir hier die Finanzierung auf eine neue Grundlage stellen, auch was die Gerechtigkeitsfrage angeht. Es ist nicht gerecht, dass derjenige, der mehr verdient als der Durchschnitt der Bevölkerung sich sozusagen freiwillig aus dem solidarischen System verabschieden kann.

    Thiel: Hat aber nicht die Kopfpauschale einen Vorteil, weil ja bei der Bürgerversicherung wieder nur die Arbeitnehmer im Grunde genommen zahlen – vor allen Dingen für die Nichtarbeitenden auch?

    Sager: Nein, bei der Bürgerversicherung sollen ja alle Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden, auch die Beamten, auch die Politiker, auch die Selbständigen. Die Kopfpauschale ist aus meiner Sicht nicht gerecht. Sie läuft darauf hinaus, dass der Geschäftsführer den gleichen Beitrag zur Krankenversicherung in Zukunft bezahlen soll wie die Verkäuferin. Und diejenigen, die ein ganz geringes Einkommen haben, sollen zwar einen Ausgleich über den Staat bekommen. Das würde aber Steuererhöhungen bedeuten wirklich in Milliardenbeträgen, wo bisher niemand sagen kann, wo das Geld eigentlich herkommen soll. Und diejenigen, die ein mittleres Einkommen haben, das sind wirklich die Gekniffenen, und die werden ja heute schon am stärksten belastet. Denn die werden eine höhere Kopfprämie bezahlen müssen, als ihr Beitrag derzeit ausmacht, und sie werden keinen Ausgleich bekommen durch den Staat. Also die Kopfprämie ist aus meiner Sicht nicht sozial gerecht. Und in der Schweiz zeigt sich auch, dass alle Erwartung, die man daran geknüpft hat in Bezug auf Beschäftigung oder Wirtschaftswachstum, nicht erfüllt wurden.

    Thiel: Ein Reizthema in der Koalition ist die Kohlesubvention. Bundeskanzler Gerhard Schröder will sie festschreiben bis 2012 auf fast 16 Milliarden Euro. Ihre Fraktion ist darüber stinksauer. Warum?

    Sager: Na, wir sind natürlich nicht davon erbaut, dass die Kohlesubvention doch jetzt auf relativ hohem Niveau fortgeschrieben werden soll. Denn wir wissen natürlich alle, die Zukunft der Energiepolitik in Deutschland liegt nicht in der Kohle, sondern sie liegt vor allen Dingen auch bei neuen Technologien – neuen Technologien in Richtung Energieeinsparung oder auch erneuerbare Energien. Und auf der anderen Seite müssen wir ja auch überall Subventionen abbauen, um Geld zu bekommen für Zukunftsinvestitionen, in Bildung, in Forschung . . .

    Thiel: . . . ja gut, aber hatten Sie nicht eine Verabredung mit der SPD?

    Sager: Wir haben eine Verabredung mit der SPD, zu der stehen wir auch. Es gibt eine Verabredung, die getroffen worden ist im Zusammenhang mit den Koalitionsverständigungen in Nordrhein-Westfalen. Was dort vereinbart worden ist, das gilt für uns auch, da gibt es auch kein Vertun. Aber jetzt wird natürlich trotzdem darüber geredet werden müssen, wie die konkrete Umsetzung dann erfolgt. Und da sind doch noch einige Fragen offen, über die wir mit dem Koalitionspartner reden müssen.

    Thiel: Also, das letzte Wort über die 16 Milliarden bis 2012 ist noch nicht gesprochen?

    Sager: Also, es geht zumindest dann noch über Details, was die Umsetzung angeht und die Berücksichtigung verschiedener Fragestellungen – Tempo, soziale Abfederung, Schließung von Zechen. Also, da haben wir doch noch einiges miteinander zu besprechen.

    Thiel: Der innenpolitische Blick richtet sich jetzt wieder auf den Vermittlungsausschuss, Frau Sager. In diesem Gremium sind Sie ja Mitglied und Sie sind direkt an den Verhandlungen beteiligt. Die Arbeitsgruppen haben ihre ersten Gespräche jetzt begonnen. Ihr Eindruck über die Atmosphäre: Wie groß ist die Kompromissbereitschaft der Union?

    Sager: Also ich denke, dass vor dem CDU-Parteitag es keine Verständigung geben wird. Die CDU hat ja auch keine einheitliche Linie, worauf sie sich jetzt im Ernst verständigen will. Und diese einheitliche Linie werden sie vor dem CDU-Parteitag wahrscheinlich auch unter sich nicht klären können. Ich gehe aber davon aus, dass wir zu einer Verständigung vor Weihnachten kommen werden, denn der Druck ist natürlich groß, und es ist nicht nur ein Druck, dass die Regierung ihre Projekte durchhaben möchte, sondern auch die CDU kann es sich nicht leisten, die Rolle desjenigen zu übernehmen, der dieses Land aufhält in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Zeit. Dass durch Verhinderung für das Land nichts gewonnen ist, das weiß inzwischen jeder. Und sie stehen auch unter Druck, weil die Länder auch eine Entlastung brauchen in ihren Haushalten. Das heißt, sie wollen auch Subventionsabbau. Und die Kommunen wollen auch mehr Handlungsfreiheit haben. Die Kommunen haben sehr deutlich signalisiert, dass sie den Entwurf für eine Gemeindefinanzreform, wie die rote und die grüne Fraktion das vorgelegt haben, für einen guten Vorschlag halten. Das gilt auch für die schwarz regierten Kommunen. Und sie haben auch ein Interesse daran, dass es zu dieser Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe kommt, weil auch das die Kommunen entlasten wird.

    Thiel: Am Mittwoch tagt wieder der Vermittlungsausschuss. Wird es da erste Zwischenergebnisse geben?

    Sager: Also, es wird sicher Zwischenberichte geben. Ich habe große Zweifel daran, dass wir am Mittwoch schon zu Ergebnissen kommen werden. Ich glaube, dass wir die tatsächlichen Ergebnisse erst nach dem CDU-Parteitag werden erzielen können, weil erst dann die CDU wirklich satisfaktionsfähig sein wird.

    Thiel: Sie wollen aber mit der Opposition auch über Gesetze reden, die gar nicht zustimmungspflichtig sind im Bundesrat. Wird jetzt damit die Agenda 2010 völlig aufgeschnürt?

    Sager: Nein, sie wird nicht aufgeschnürt, und die CDU weiß ja auch, dass wir die sogenannten Einspruchsgesetze im Notfall auch alleine durchziehen können. Das ist einfach ein good-will-Signal, dass man sagt: Okay, wir sind redebereit – lasst uns reden. Aber im Notfall machen wir eben das, was wir alleine machen können, auch alleine. Und wir haben aber natürlich ein großes Interesse daran, uns doch auch zu verständigen beim Subventionsabbau. Das brauchen alle für ihre Haushalte – Bund, Länder und Gemeinden. Und wir denken auch, dass die Bürgerinnen und Bürger jetzt ein Recht darauf haben, dass die CDU von der Bremse geht bei der Vorziehung der letzten Stufe der Steuerreform, denn diese Entlastungen geben auch einen Impuls im nächsten Jahr zusätzlich für die Wirtschaft.

    Thiel: Bloß wie soll die finanziert werden? Bleiben wir beim Subventionsabbau: Dadurch könnte sie finanziert werden. Bleibt die Eigenheimzulage doch erhalten, weil Sie vielleicht in anderen Subventionsbereichen kürzen? Wie ist da Ihre Linie?

    Sager: Also, die Regierung hat mit dem sogenannten Haushaltsbegleitgesetz Vorschläge für den Subventionsabbau gemacht. Das geht weit über das sogenannte Koch-Steinbrück-Papier hinaus. Und wir müssen da auch weiter gehen, weil es sonst zu der notwendigen Entlastung in den Haushalten von Ländern und Bund nicht kommen wird. Und auch die Länder und Kommunen sind in einer Pflicht, was die Maastricht-Kriterien in der Zukunft angeht. Und ich bin in der Tat der Meinung, dass, wenn wir uns auf den Subventionsabbau verständigen, dass das auch die bessere Form der Gegenfinanzierung der Steuerreform mittelfristig ist. Denn im nächsten Jahr brauchen wir tatsächlich den Wirtschaftsimpuls, und deswegen ist es auch in Ordnung, wenn im nächsten Jahr tatsächlich erst einmal mehr Geld ausgegeben wird.

    Thiel: Pendlerpauschale und Eigenheimzulage – da legt die Union ganz großen Wert drauf, dass die erhalten bleiben oder dass sie zumindest nicht so ganz in vollem Umfange abgeschmolzen werden, wie Sie es vorhaben. Wie ist da Ihre Position, wo ist da die Verhandlungslinie von Rot-Grün?

    Sager: Also, unser Vorschlag liegt ja auf dem Tisch, und darüber muss jetzt geredet werden. Die CDU hat ja bisher jeden Einschnitt bei der Eigenheimzulage verhindert, und damit wird sie aber in Zukunft nicht mehr durchkommen. Also, man wird auch an die großen Brocken herangehen müssen. Sie passen auch nicht in die Zeit. Es ist doch nicht gerecht, dass jemand, der in einer Mietwohnung sitzt, durch seine Steuerzahlung es subventioniert, dass die Landschaft zersiedelt wird, dass jemand, der vielleicht mehr Geld hat als er, sich einen Neubau leisten kann, wo wir gleichzeitig in vielen Städten schon wieder Leerstand haben und den Verfall von Wohnungssubstanz. Und wir wissen doch auch, dass das für die Gemeinden enorme Folgekosten hat, was die ganze Infrastruktur angeht, wenn die Zersiedelung der Landschaft so weitergeht wie bisher. Das passt aus ganz vielen unterschiedlichen Gründen ökologisch und ökonomisch nicht mehr in die Zeit.

    Thiel: Also, so ein bisschen was rauslassen wollen Sie im Moment noch nicht darüber, wie es denn nun nachher ausgehen könnte. Ich versuche es an einer anderen Stelle noch mal – bei den Schulden. Die Opposition sagt, mehr als 25 Prozent Neuverschuldung ist nicht drin. Was sagen Sie?

    Sager: Ja, da gibt es auf Seiten der CDU/CSU ja auch schon Aufweichtendenzen. Und da wird man sehen, wo da nachher das letzte Wort ist. Wenn die CDU einerseits sagt, nicht so viel durch Neuverschuldung – das ist ja okay. Aber gleichzeitig sagt sie, nicht linke Tasche – rechte Tasche, also nicht das, was man den Bürgern als Entlastung gibt, ihnen dann sofort zeitgleich wieder wegnimmt. Dann spricht aber wirklich sehr viel dafür, dass man sagt: Wir müssen dann eben die Vorschläge des Bundes ernst nehmen, wo wir Steuervergünstigung, also Subventionen durch Steuervergünstigung, zurückfahren können. Das würde dann im nächsten Jahr erst ganz langsam anfahren und dann stärker. Und dann hätten wir eben den wirtschaftlichen Konjunkturimpuls stärker im nächsten Jahr und die Gegenfinanzierung dann in den Folgejahren.

    Thiel: Die Arbeitsmarktgruppe im Vermittlungsausschuss hat ebenso ganz große Probleme zu bewältigen wie die Steuergruppe und die Finanzgruppe. Da geht es um das Handwerksrecht, um Kündigungsschutz, den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit. Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten?

    Sager: Na, die größten Schwierigkeiten werden sicher da entstehen, wo die CDU versucht, bestimmte Themen ideologisch aufzuladen. Ich glaube, das ist nicht hilfreich. Ich glaube, es ist richtig: Wir müssen, auch um mehr Teilhabegerechtigkeit für Arbeitslose zu erreichen, Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt hinbekommen. Wir brauchen auch mehr gezielte gute Arbeit von der Bundesanstalt für Arbeit, die sich mehr darauf konzentrieren muss, Leute wieder in Arbeit zu bringen als nur Arbeitslosigkeit zu verwalten. Aber wir müssen auch schauen, wo Dinge einfach dann auch ungerecht sind gegenüber den Menschen und wo es uns auch in eine Abwärtsspirale hinein bringt, die keiner so will. Also die Vorstellung, wir wollen sozusagen marokkanische Löhne für das Krabbenpulen in Deutschland einführen, das halte ich für eine absurde Vorstellung.

    Thiel: Also, Sie bleiben beim Mindestlohn ganz hart, bei der Mindestlohnregelung, die ja eingeführt werden soll bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe? Da sagt die Union aber: Wenn das so ist, wird Harz IV geplatzt sein.

    Sager: Also, ich denke, dass auch die Union mit Blick zum Beispiel auf die Situation in den neuen Bundesländern nicht mit gutem Gewissen vertreten kann, dass jemand sozusagen einen Arbeitsplatz annehmen muss zu einem Lohn, wie er vielleicht heute in der Ukraine bezahlt wird. Das ist das, wovor die Menschen Angst haben. Und wer signalisiert, dass er diesen Weg gehen wird, der tut auch dem europäischen Integrationsprozess keinen Gefallen. Statt die Ängste der Menschen noch zu verstärken, muss man auch sagen, dass wir zwar der Meinung sind, dass auch ein Akademiker, der arbeitslos ist, einen Job annehmen muss, der vielleicht nicht ein typischer Akademiker-Job ist, aber dass es doch passieren sollte zu dem ortsüblichen Lohnniveau.

    Thiel: Am Ende des Vermittlungsausschusses könnte es sein, dass Gerhard Schröder, der Bundeskanzler, mit Angela Merkel oder Edmund Stoiber über einzelne Punkte verhandeln muss und rot-schwarze Kompromisse geschlossen werden. Besteht da die Gefahr der großen Koalition, oder sind Sie sich da ganz sicher, dass die Bündnisgrünen nicht hinten runter fallen?

    Sager: Also, wir sind Teil der Regierung, und ich gehe davon aus, dass wir als Teil der Regierung auch beteiligt sind. Schließlich stellen wir ja auch den Vizekanzler. Und auf der anderen Seite: Ich sehe nicht die großen Differenzen zwischen Rot und Grün in diesen Fragen, die jetzt verhandelt werden. Da gibt es sicher Themen, die wären da schwieriger. Aber dort, wo es um die sozialen Fragen geht, um die Arbeitsmarktpolitik, sind wir, Rot-Grün, ja nicht auseinander, sondern da sind sozusagen die Verhandlungsgegenüber ganz eindeutig die Schwarzen, CDU/CSU.

    Thiel: Zum Schluss, Frau Sager, kommen wir zum Parteitag der Bündnisgrünen am nächsten Wochenende in Dresden. Dort wollen Sie unter anderem auch die Vermögenssteuer beraten. Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag in Bochum ja gerade etwas um diese Frage herumgedrückt und nur Beschlüsse zur Erbschaftssteuer gefasst. Sie wollen nun Eckpunkte dazu beschließen – eine Beruhigungspille für das soziale Gewissen der Basis, oder ist das ein echtes Ziel, für das Sie im Bundestag dann auch wirklich kämpfen wollen?

    Sager: Also, es gibt niemand, der vorschlägt, die ausgesetzte Vermögenssteuer so wieder zu erheben, sondern es gibt Diskussionen bei uns über die Frage, wie man auch große Vermögen in Zukunft stärker heranziehen kann zur Bewältigung der großen Zukunftsaufgaben wie Bildung, Kinderbetreuung, Forschung und Entwicklung. Das ist nicht die Alternative zu den Sozialreformen und zu den Strukturreformen. Aber ich halte das durchaus für eine wichtige Gerechtigkeitsfrage, dass bei den großen Zukunftsaufgaben im Bildungsbereich die Stärkeren auch vielleicht stärker belastet werden können. In welcher Form das geschehen kann, das ist nicht ausdiskutiert. Und ich glaube auch nicht, dass das auf dem Parteitag endgültig festgelegt werden kann.