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Türkei
Der Bundespräsident im Flüchtlingslager

Zwischen 800.000 und einer Million Flüchtlinge aus Syrien leben in der Türkei im Grenzgebiet. Für das Land bedeutet das eine ungeheure Anstrengung, so viele Menschen zu versorgen. Davon hat sich Joachim Gauck bei seinem Besuch im Flüchtlingslager Kahramanmaras einen Eindruck verschafft.

Von Ellen Häring | 28.04.2014
    Blick auf Flüchtlingszelte im Lager Kahramanmaras an der syrischen Grenze.
    Zu Besuch im Flüchltlingslager Kahramanmaras an der syrischen Grenze. (dradio.de / Elle Häring)
    Kinder sind fordernd, auch im Flüchtlingscamp. Vier Mädchen und zwei Jungs hüpfen als Schmetterlinge verkleidet vor dem Bundespräsidenten, und singen dazu. Danach folgt eine Theatereinlage - auf arabisch, das macht nichts, Joachim Gauck lacht.

    Und schließlich darf er noch Kurzfilme gucken, die die syrischen Flüchtlingskinder über sich selbst gemacht haben. Im Unicef-Container ist es bunt und fröhlich, eine winzig kleine Welt verglichen mit dem unendlichen Panorama weißer, halbrunder Zelte draußen. Nicht enden wollende Reihen von langen Plastikbehausungen, in deren 16 Quadratmeter großem Inneren die Temperaturen erbarmungslos mit dem Stand der Sonne steigen.
    16.000 Flüchtlinge leben in Kahramanmaras, täglich kommen 500 dazu. Kahramanmaras ist nur eines von über 20 Lagern in der Türkei . Fast eine Million Syrer halten sich im Land auf, längst nicht alle in den Camps. Die meisten suchen ihr Glück in einer der Städte, die für sie erreichbar sind. Während Joachim Gauck im Container die Fragen der Kinder beantwortet, steht ein Unicef-Mitarbeiter am Eingang und resümiert.
    "Die Türkei hat in vorbildlicher Weise Verantwortung gezeigt, wir würdigen das. Aber die Türkei darf nicht allein damit gelassen werden, die internationale Gemeinschaft muss hier unterstützen. So ein Besuch ist gut, weil er internationale Aufmerksamkeit für diese humanitäre Frage bringt und hoffentlich mehr Unterstützung für die Türkei."
    Joachim Gauck schlüpft durch die Eingangstür des Unicef-Containers hinaus in die stechende Sonne. Er macht dem Unicef-Mitarbeiter Mut, und der nickt zufrieden.
    Die vielen Anzugträger, die schicken Autos, das ganze Sicherheitspersonal – die Flüchtlinge stehen an einem Stacheldrahtzaun, der das ganze Lager umgibt, und staunen: Frauen in Pluderhosen und Kopftüchern, andere in langen Kleidern und Badeschlappen. Die Männer stehen in Gruppen, winken freundlich, aber sprechen nicht. Sie lächeln.
    Assad muss weg, brüllen in einer Querstraße Jugendliche und kurze Zeit später lassen sie den türkischen Ministerpräsident Erdogan hochleben. Er ist ein Held, weil er die Grenzen offen lässt und den Syrern hilft.
    Die Präsidentendelegation geht weiter zum Supermarkt, wo die Flüchtlinge mit einer elektronischen Karte für 80 türkische Lira im Monat, ungefähr 30 Euro, einkaufen können. Windeln liegen reihenweise im Regal, Waschmittel, Öl, Eier, Tomaten.
    Joachim Gauck ist verschwunden, viel länger als das Protokoll erlaubt, und kommt dann sichtlich berührt wieder.
    "Ich hatte eben die Gelegenheit, ohne Medien in ein Zelt einkehren zu dürfen. Eingeladen von einer jungen Familien mit vier bildhübschen Kindern, das jüngste eineinhalb Jahre alt, hier geboren. Die junge Frau erzählte, dass vor ihren Augen ihr eigener Vater erschossen wurde, völlig willkürlich. Und dass sie so sehr davon träumen, uns einmal in einem eigenen Haus willkommen und empfangen heißen zu können."
    Nicht einmal 5.000 syrische Flüchtlinge leben in Deutschland, 10.000 waren eigentlich zugesagt, aber es gibt bürokratische Hürden, so heißt es. Beschämend für alle in diesem Moment, in dem das Elend so sichtbar und die Not so erfahrbar wird.
    Der Besuch gilt auch den deutschen Soldaten
    Der Bundespräsident verteilt noch Buntstifte und fährt weiter, den Berg hinauf hinter das Flüchtlingscamp. Denn dort, keine Viertelstunde entfernt, liegt die Kaserne, in der seit Januar 2013 knapp 300 deutsche Bundeswehrsoldaten stationiert sind. Ihre Aufgabe: Sie sollen mögliche Raketenangriffe von syrischer Seite abwehren. Die Patriot-Stellung ist eine von dreien, auch die USA und die Niederlande beteiligen sich an der Unterstützung des NATO-Partners Türkei.

    Im weiten Nichts ragen die Raketen in den Himmel, die Soldaten freuen sich über den hohen Besuch und stehen stramm. Das Flüchtlingslager ganz in ihrer Nähe kennen sie nicht.

    Inzwischen ist es Mittag und die Sonne glüht. Unverdrossen steht Bundespräsident Gauck in der gleißenden Hitze, findet warme Worte für die Soldaten und ihre Familie, freut sich darüber, dass ihre Container bei diesen Temperaturen klimatisiert sind und ordnet ihren Auftrag politisch ein. Dann geht er mit den Soldaten Mittagessen in die Kantine.

    Dass bisher noch keine einzige Rakete aus Syrien abgewehrt werden musste, weder von den Deutschen, noch von den Amerikanern oder den Niederländern, das ist - und darin sind sich Soldaten und der Bundespräsident einig - am Ende ein gutes Zeichen.