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Uferschutz und Deichpflege

Gesamtwirtschaftlich wird die Schadenssumme der Flutkatastrophe des vergangenen Jahres auf rund 9 Milliarden Euro beziffert. Das ist eine Zahl, die allein für Deutschland gilt. In der Landwirtschaft wurden Werte von gut 200 Millionen Euro zerstört. Das Nachdenken über die Konsequenzen setzte schon kurz nach dem Entsetzen ein - und seitdem sind vielfältige Vorschläge gemacht worden. Der Deutsche Bauernverband hat ein eigenes Vorschlagspapier erarbeitet, um künftig die Weichen für einen vorsorgenden Hochwasserschutz zu stellen. An erster Stelle - und da ist sich der DBV mit vielen Umweltschutzgruppen einig - müsse eine Trendwende beim Landverbrauch hierzulande stehen. Denn die Fläche, wo Regen überhaupt noch versickern kann, nehme seit Jahren, so Bauernpräsident Gerd Sonnleitner, kontinuierlich ab.

Von Dieter Nürnberger | 02.04.2003
    Gesamtwirtschaftlich wird die Schadenssumme der Flutkatastrophe des vergangenen Jahres auf rund 9 Milliarden Euro beziffert. Das ist eine Zahl, die allein für Deutschland gilt. In der Landwirtschaft wurden Werte von gut 200 Millionen Euro zerstört. Das Nachdenken über die Konsequenzen setzte schon kurz nach dem Entsetzen ein - und seitdem sind vielfältige Vorschläge gemacht worden. Der Deutsche Bauernverband hat ein eigenes Vorschlagspapier erarbeitet, um künftig die Weichen für einen vorsorgenden Hochwasserschutz zu stellen. An erster Stelle - und da ist sich der DBV mit vielen Umweltschutzgruppen einig - müsse eine Trendwende beim Landverbrauch hierzulande stehen. Denn die Fläche, wo Regen überhaupt noch versickern kann, nehme seit Jahren, so Bauernpräsident Gerd Sonnleitner, kontinuierlich ab.

    Es ist für uns unverständlich und auch untragbar, dass in Deutschland täglich 130 Hektar verbaut und damit versiegelt werden. Überall dort, wo versiegelt ist, können eben die Niederschläge nicht vor Ort versickern. Deswegen fordern wir ein Programm zur Flächenentsiegelung und auch Flächenrecycling. Um hier auch wieder positive Bilanzen zu bekommen.

    Ein Flächenmanagement müsse her - der Bund, Länder und Gemeinden aber ebenso Privatnutzer müssten hier zusammenarbeiten. Erste Ansätze seien dabei auch sichtbar, in einigen Elbregionen werde nun verstärkt darauf geachtet, ob Neubauprojekte unbedingt nötig seien oder ob nicht schon vorhandene Flächen ebenso genutzt werden könnten. Doch pauschale Lösungen seien eben auch nicht hilfreich, sagt Joachim Quast vom Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung. Seit Jahrzehnten gehören Flüsse und ihr Verhalten bei Hochwasser zu seinem Forschungsgebiet.

    Ein Fluss ist ja in bestimmte Zonen gegliedert - vom Oberlauf bis an die Mündung. Und überall sind andere Bedingungen, andere Abflussverhältnisse gegeben. Ebenso ist zum Teil die Nutzung recht unterschiedlich - eigentlich auch gegen die Natur, denn es wurde direkt an den Fluss herangebaut. Deshalb muss auch überall verschieden reagiert werden. Das wichtigste wäre eben dahin zu kommen, ein Gesamtflusskonzept zu erarbeiten. Die Möglichkeiten der Schadensminderung vom Oberlauf bis zur Mündung auszuloten. Und schließlich auch differenzierte Maßnahmen einzusetzen.

    Dazu könnten vielfältige Maßnahmen gehören. Deichrückbau sei an einigen Stellen sinnvoll an anderen jedoch nicht. Oder: Die Wiederherstellung von Auen als Überflutungsgebiete - auch dies ist nicht an allen Stellen möglich. Konsens aber: Bereits am Oberlauf müssten die Gedankenspiele ansetzen. Wiederaufforstung einzelner Wälder beispielsweise könnte helfen. Oder: Eine bessere Koordination auch international. Sebastian Schönauer ist der Wasserexperte beim Bund für Umwelt- und Naturschutz. Er sieht seit dem Sommer 2002 durchaus ein Umdenken.

    Früher hieß "Deicher höher bauen" und schon sei die Sache gut. Man hat nun aber gemerkt, dass das Erhöhen der Deiche nichts bringt. Das macht nur die Flutwelle noch schneller und noch gefährlicher. Wir müssen die Deiche, dort wo es nötig und möglich ist, wieder öffnen. Dies wird natürlich eine gesellschaftliche Kraftanstrengung sein: Es nicht nur beschließen zu lassen, sondern auch umzusetzen. Es ist eine langfristige Umsteuerung.

    Und so gesehen, müssten eventuell auch einzelne Landwirte ihre vielleicht seit Jahrzehnten bewirtschafteten Flächen nahe der Flüsse verlassen. Oder zumindest zustimmen, dass die Flächen als Überflutungspolder genutzt werden können. Einzelne Planungsfehler der Vergangenheit sollen also behoben werden. Deshalb ruhen derzeit auch die meisten Ausbaumaßnahmen der Flüsse. Der Bund als Bauherr will zuerst die Umweltverträglichkeit überprüfen. Doch eines stehe auch schon heute fest, die vielen Einzelmaßnahmen als Konsequenz aus der Jahrhundertflut werden eine mögliche Wiederholung nicht gänzlich verhindern können. Ganz konkret: Bei Regenmengen von bis zu 400 Litern pro Quadratmeter in 36 Stunden können selbst alle möglichen vorbeugen Maßnahmen eine Flut nicht verhindern.