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Ukraine-Krieg
Blick des Sportrechts auf Ausschlüsse im Sport

Die Invasion der Ukraine hat die verantwortlichen Funktionäre unter Druck gesetzt, die Aggressor-Länder Russland und Belarus auch sportlich zu isolieren. Ob Verbände dazu befugt sind, wird demnächst der Internationale Sportgerichtshof entscheiden. Doch währenddessen nutzen Athleten weltweit die Entwicklung, ihren Kampf um Gleichberechtigung zu intensivieren.

Von Jürgen Kalwa | 05.03.2022
Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne
Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne (picture alliance / dpa - Dominic Favre)
Es scheint schon mal leichter gewesen sein, Verbände aus dem internationalen Sport auszuschließen. Als gern zitiertes Beispiel gilt der Umgang mit dem Apartheid-Regime von Südafrika vor 50 Jahren. Das wurde zunächst von den Olympischen Spielen und schließlich komplett aus dem IOC ausgeschlossen. Die Entscheidung fußte auf Paragraph eins der Olympischen Charta: Diskriminierung auf der Grundlage von Hautfarbe, Religion oder politischer Orientierung ist unzulässig. Aber was heißt schon leicht?
Das Olympische Komitee hatte vor den Spielen von 1968 entschieden, das Apartheid-Regime wieder zuzulassen. Die Maßnahme wird erst revidiert, als zahlreiche Länder und Athleten bereit waren, die Spiele zu boykottieren.

Suspendierung durch FIFA und UEFA mit guten Chancen vor Gericht

An den Statuten hat sich nicht viel geändert. Nur daran, wie man mit ihnen verfährt. Heute landen derartige Meinungsverschiedenheiten vor einem Schiedsgericht – dem Court of Arbitration for Sport in Lausanne, abgekürzt CAS. Der wird schon bald über die Suspendierungen des russischen und des belorussischen Sports entscheiden. Darunter denen von FIFA und UEFA. Die Sperre verbaut der russischen Nationalmannschaft in der laufenden WM-Qualifikation den Weg nach Katar.
Steven Bank, Professor an der University of California in Los Angeles und ausgewiesener Experte für internationales Sportrecht, räumt der FIFA gute Chancen ein.
“Die FIFA hat weitreichende Befugnisse im Rahmen einer Klausel über höhere Gewalt. In Artikel 5 des Reglements für die WM-Qualifikation 2022 hat sie sich ausdrücklich vorbehalten, nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ob ein Spiel ausgetragen werden kann oder nicht.”

Gerichte urteilen nicht über Grundsatzfragen

Man könnte denken, es geht bei solchen Fragen in erster Linie um ein höheres moralisches Prinzip und um politische Haltung. Nein, sagt Bank, CAS-Richter ziehen sich gerne auf simple, formaljuristische Aspekte und pragmatische Argumente zurück. Grundsatzfragen gehen sie lieber aus dem Weg.
“Zum Beispiel so: Es ist derzeit schwierig, nach Russland zu reisen. Und für Russen, ihr Land zu verlassen. Es gibt Länder, die niemanden aus Russland einreisen lassen wollen. Das ist ein Aspekt, mit dem man der Frage ausweichen kann, ob dem russischen Verband durch die Sperre ein irreparabler Schaden zugefügt wird.”
Das große Ganze rutscht beim CAS auf diese Weise leicht aus dem Blickfeld. Dass die Aktiven und deren Interessen im Mittelpunkt stehen, darf bezweifelt werden. Rob Koehler, Generaldirektor von “Global Athlete”, der 2019 gegründeten internationalen Interessenvertretung für Sportler, die für die Suspendierung ist:
“Wir wissen, dass Sportler nicht an der Bombardierung der Ukraine beteiligt sind. Es ist schrecklich, dass die Sportler leiden müssen. Aber extreme Zeiten verlangen nach extremen Maßnahmen. Deshalb leiden auch Athleten. So wie der Biathlet, der beim Einsatz in der ukrainischen Armee getötet wurde.”

Boykottdrohungen als einziges wirkungsvolles Mittel der Athleten

Athleten gehören zwar immer wieder zu den Wortführern, aber haben keinen direkten Einfluss auf Entscheidungen. Ihr einziges wirkungsvolles Mittel sind Boykottdrohungen.
"Das Internationale Paralympische Komitee hatte die Forderung der Athleten ursprünglich abgelehnt. 24 Stunden später musste es die Entscheidung rückgängig machen. Weil die Athleten den Sinneswandel erzwungen hatten.”
Die Flagge des Russischen Paralympischen Komitees hängt nicht mehr am Nationalen Ski-Alpin-Zentrum Xiaohaituo in China, nachdem die russischen und belarussischen Athleten von den Paralympischen Spielen ausgeschlossen wurden.
Die Flagge des Russischen Paralympischen Komitees hängt nicht mehr am Nationalen Ski-Alpin-Zentrum Xiaohaituo in China, nachdem die russischen und belarussischen Athleten von den Paralympischen Spielen ausgeschlossen wurden.
Boykotte können etwas ändern
Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus dürfen doch nicht an den Winterspielen für Menschen mit körperlicher Behinderung teilnehmen. Die Entscheidung des Internationalen Paralympische Komitees zeigt, wie viel Macht die Athleten haben, kommentiert Maximilian Rieger.
Die Ereignisse der letzten Wochen wirken deshalb fast wie ein Katalysator, der Sportlern klar macht, dass sie sich weit stärker organisieren müssen, um sich vom Gängelband der Funktionäre zu befreien. Der Druck wird sich noch verstärken, glaubt Koehler. Denn die Athleten, bei denen keine 5 Prozent von den Milliarden ankommen, die das IOC einnimmt, wollen mehr. Nicht nur mehr Geld. Sondern eine gleichberechtigte Partnerschaft.
“Wenn das IOC und das IPC so weitermachen, kommt es zum Kampf, und zwar öffentlich. Das schadet der Marke und allen anderen, besonders den Athleten. Warum wird nicht über eine 50:50-Partnerschaft und Tarifverhandlungen gesprochen? Es geht um mehr Einnahmen, um die Sicherheit der Spieler, um mehr Engagement und Beteiligung der Athleten. Das ist die Zukunft.”
Keine unrealistische Forderung mehr, wie Brendan Schwab dem Deutschlandfunk sagt. Er ist der Geschäftsführer der World Players Association, die 85,000 Sportler weltweit vertritt.
“Die IOC sollte erkennen, dass es um die Rechte der Sportler geht, wenn sie sich organisieren können, Gewerkschaften gründen und Tarifverträge aushandeln können. Das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu überfälligen Reformen.”

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