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Ukraine-Proteste
Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel

Die Ereignisse auf dem Maidan-Platz in Kiew haben nicht nur einen politischen Umschwung ausgelöst. Auch gesellschaftlich hat der Protest einen Anstoß gegeben. Auf der Leipziger Buchmesse sorgt das für Diskussionen und weckt Hoffnungen.

Von Mirko Schwanitz | 14.03.2014
    Ein Stand auf der Leipziger Buchmesse zeigt die ukrainische Fahne durchlöchert von Schüssen - in Form der Europasterne.
    Ein Stand auf der Leipziger Buchmesse zeigt die ukrainische Fahne durchlöchert von Schüssen - in Form der Europasterne. (dpa / picture alliance / Peter Endig)
    Nach drei Jahren endet auf der Leipziger Buchmesse der tranzyt-Schwerpunkt. Drei Jahre lang rückte er die Literatur aus der Ukraine, Belarus und Polen in den Mittelpunkt des Interesses. In diesem Jahr bekommen die Veranstaltungen vor allem der ukrainischen Autoren eine Aktualität, wie man sie sich eigentlich nicht wünscht, meinte der Kurator des Schwerpunktes, der österreichische Autor Martin Pollack.
    Auf fast jeder der über 35 Veranstaltungen, Lesungen und Diskussionen sahen sich die Autoren mit Fragen zur aktuellen Situation in der Ukraine konfrontiert. Heute stellten sich gleich fünf namhafte Autoren der Frage, welchen gesellschaftlichen Wandel der sogenannte Euromaidan in der Ukraine bewirkt hat. Die Schriftstellerin Irena Karpa fasste den für sie wichtigsten Wandel der Gesellschaft so zusammen:
    "Ich glaube" , sagt Irena Karpa, "dass die Ukraine im Verlauf dieser traurigen Ereignisse nun endlich ihre wirkliche Unabhängigkeit erreicht hat. Denn bisher waren wir zwar de jure unabhängig, aber jetzt sind wir es auch faktisch." Denn bis zum Euromaidan, so Karpa, habe die Sowjetunion noch den Köpfen vieler Ukrainer gesteckt, die Mentalität und auch die Strukturen, des Staates, die sie uns hinterlassen hat.
    Starke Zivilgesellschaft
    Gerade für die Psyche der Menschen sei der Maidan von herausragender Bedeutung gewesen. Sie machten, viele vielleicht zum ersten Mal, die Erfahrung, dass sie nicht allein sind, dass es aber ebenso der individuellen Entscheidung bedarf, vor die Tür zu gehen und nicht nur vorbeifahrenden Regierungslimousinen den gestreckten Zeigefinger zu zeigen. Der Schriftsteller Jury Andruchowitsch fand für diese psychologische Veränderung in der ukrainischen Gesellschaft, ein sehr persönliches Bild:
    Die Situation der Autoren habe sich nicht von der anderer Menschen mit anderen Berufen unterschieden. Sie hätten wie alle eine einzigartige Erfahrung gemacht. "Und diese Erfahrung war das Motto des Maidans: ein Tropfen im Ozean. Und es war eine wichtige Erfahrung, zu diesem Tropfen im Meer des Protestes zu werden. Ich habe viele meiner Kollegen auf dem Maidan getroffen, und wir alle fühlten uns als diese Tropfen."
    Der Philosoph Taras Lyuti beschrieb die wichtigste Erkenntnis des Maidans auf seine Weise:
    "Das Wichtigste ist, dass der Maidan gezeigt hat, dass es uns gelungen ist, eine mächtige Zivilgesellschaft aufzubauen." Der Maidan habe gezeigt, dass sich die Ukrainer nicht von falschen Mythen leiten ließen und das erfülle ihn mit großer Zuversicht.
    Hoffnung auf Reformen
    Jury Andruchowitsch präsentierte den knapp hundert Besuchern der Veranstaltung ein Flugblatt, das ihm sogenannte Linke vor dem Eingang der Buchmesse in die Hand gedrückt hatten. Darin wurde die Behauptung, dass Russland mit der Besetzung der Krim das Völkerrecht breche, als verlogen bezeichnet. Diese von den Linken aufgegriffene Argumentation bezeichnete er als unfassbar. Auf die Frage, wie es denn nun in der Ukraine weitergehen soll, antwortete Juri Andruchowitsch auf Deutsch.
    "Die wunderbare Chance von 2004 haben wir leider verloren. Die Realität hat uns danach bestraft mit dem Wahlsieg von Viktor Janukowitsch und seiner Gruppierung in 2010. Und ich hoffe, dass wir diese Lektion gelernt haben als Gesellschaft. Deswegen war der zweite Maidan so tragisch. Wir kommen jetzt in die Zukunft als sehr traumatisierte Nation und tiefst verletzte Gesellschaft. Und ich hoffe, dass dieses Bewusstsein uns helfen wird, wirkliche Änderungen, Reformen im ganzen Land durchzuführen und wirklich ein integraler Teil der europäischen Gemeinschaft zu werden."