Freitag, 29. März 2024

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Umwelt-DNA
Erbgutnachweis aus der Luft gegriffen

Insekten und andere Organismen hinterlassen genetische Fingerabdrücke, wenn sie durch die Luft fliegen. Zoologen und Botaniker sammeln Schwebstaubpartikel mit Filtern und entnehmen ihnen DNA-Proben. Damit könnten künftig bestimmte Insekten- oder Tierarten gezielt überwacht werden.

Von Volker Mrasek | 19.05.2020
Ein mit Ocker- und Blautönen gesprenkelter Schmetterling.
Auch Schmetterlinge hinterlassen DNA-Partikel in der Luft. Die Fülle an herausgefilterter Umwelt-DNA überraschte selbst die Forscher (Scott Carroll / Unsplash)
Es ist kaum zu glauben, aber offenbar kann man in der Luft lesen, wer sie durchflogen oder durchschritten hat. Insekten und andere Organismen hinterlassen darin genetische Fingerabdrücke. Und dieses flüchtige Erbmaterial lässt sich einfangen und untersuchen.
Demnach kann man Umwelt-DNA förmlich aus der Luft greifen: "Das war jetzt die erste Studie, um zu zeigen, dass es überhaupt funktioniert." Die Arbeitsgruppe von Fabian Roger hat diese Pilotstudie in Schweden durchgeführt. Der Ökologe ist zwar Deutscher, forscht aber an der Universität Lund. Roger postierte einen Aerosol-Sammler in einer Graslandlandschaft, von der bekannt ist, welche Insekten dort vorkommen.
Das Gerät saugt Luft an, samt der enthaltenen Schwebstaubpartikel, und die landen dann in einem Filter: "Und Insekten hinterlassen ganz kleine Teilchen. Entweder in Form von Zellen oder Hautschuppen oder auch Stuhl. Und das kann ich mir vorstellen, dass wir das in unseren Proben wiederfinden. Allerdings muss ich dazu sagen: Was wir genau wiederfinden, weiß ich nicht."
Die Vielfalt des Lebens auf einem Filter
Das ist auch nicht nötig. Die Forscher versuchen nämlich erst gar nicht, das biologische Material in den Filtern zu identifizieren. Stattdessen tauchen sie genetische Sonden hinein. Da gibt es welche, die binden zum Beispiel an bestimmte Abschnitte im Erbgut von Insekten und weisen sie auf diese Weise genetisch nach. Das Verfahren nennt sich Metabarcoding. Von der Fülle an herausgefilterter Umwelt-DNA war Roger selbst überrascht:
"Wir finden über 1.800 verschiedene Gen-Sequenzen. Die sind nicht alle von Insekten. Die sind von Wirbeltieren, Pilzen, von Pflanzen. Aber ich hab' auch – von denen, die ich zuordnen kann - 84 verschiedene Insektenarten von allen großen Gruppen, also sowohl von den Käfern, als auch von den Zweiflüglern, den Schmetterlingen, hauptsächlich Nachtfaltern. Und auch die Hautflügler, also Wespen und Ameisen."
Invasive Arten lassen sich nachweisen
Von etlichen Insektenarten, die in der Testfläche nachweislich vorkommen, fand sich zwar kein genetischer Fühlerabdruck in den Luftproben. Dafür suchten die Forscher in ihrer Pilotstudie noch nicht spezifisch genug. Die Methode lasse sich aber noch optimieren, sagt der Ökologe – durch den Einsatz von maßgeschneiderten Gensonden:
"Und dann kann man natürlich auch ganz gezielt auf bestimmte Insektenarten schauen, die jetzt entweder Schadinsekten sind oder vielleicht invasive Arten, wo man ein Interesse hat, die zu überwachen."
Nach Umwelt-DNA aus der Luft fahndet auch eine zweite schwedische Arbeitsgruppe. Es ist die von Per Stenberg, Professor für Genetik an der Universität Umeå.
DNA-Daten spiegeln Umweltveränderungen wider
Den Forschern steht ein einzigartiges Archiv zur Verfügung. Begonnen wurde es im Kalten Krieg, um möglichen radioaktiven Fallout zu erfassen. Sechs Luftfilter-Stationen in Schweden nehmen seither jede Woche eine Luftprobe. Die Messreihe umfasst inzwischen 60 Jahre. Stenbergs Team hat damit begonnen, die archivierten Staubfilter zu untersuchen:
"Wir waren extrem überrascht, auf DNA von praktisch jedem einzelnen Organismus in Schwedens Ökosystemen zu stoßen: von Viren, Bakterien, Pflanzen, Pilzen, Tieren. In den Filtern fanden sich sogar genetische Spuren von Darmparasiten aus Säugetieren!"
Auch in Schweden ist das Insektensterben ein Thema. Deswegen konzentrieren sich die Forscher zunächst auf die Umwelt-DNA dieser Tiergruppe: "Bei den Insekten sieht es so aus, dass die meisten Bestände zurückgehen. Aber es gibt durchaus Ausnahmen! In Kiruna nehmen zum Beispiel Schmetterlinge zu. Die globale Erwärmung ermöglicht es neuen Arten, so weit im Norden einzuwandern."
Kiruna ist eine der sechs schwedischen Messstationen. Sie liegt fast schon in der Arktis. Per Stenberg schlägt vor, die Luftfilter als Frühwarnsystem einzusetzen. Mit ihrer Hilfe könne man zum Beispiel überwachen, ob durch den Klimawandel exotische Mücken einwandern, die Krankheiten übertragen. Noch ist aber nicht klar, wie zuverlässig Insekten durch solche genetischen Filter-Analysen erfasst werden. Und ob Biologen zur Artenbestimmung wirklich bald häufiger "in die Luft gehen".