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Ungebeten und ungewollt

Im kommenden Jahr sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Die aktuelle Flüchtlingspolitik lässt das nicht unberührt - wie der Streit zwischen Frankreich und Italien über den Umgang mit Flüchtlingen aus Tunesien zeigt.

Von Burkhard Birke | 19.04.2011
    Ein Flüchtling zeigt am Bahnhof der italienischen Grenzstadt Ventimiglia seine befristete Aufenthaltserlaubnis.
    Ein Flüchtling zeigt am Bahnhof der italienischen Grenzstadt Ventimiglia seine befristete Aufenthaltserlaubnis. (picture alliance / dpa)
    "Weder Italien noch Frankreich sind berufen, diese Flüchtlinge aufzunehmen."

    Frankreichs Innenminister Claude Guéant vor elf Tagen beim Treffen mit seinem italienischen Amtskollegen Roberto Maroni. Damals beschloss man gemeinsam die Meere zu patrouillieren, um den Flüchtlingsstrom nach Lampedusa zu unterbinden. Mit den auf circa 25.000 geschätzten bisher illegal eingewanderten Tunesier spielen die beiden EU- und Schengenländer indes eine Art diplomatisches Pingpong. Italien hat den meisten eine auf sechs Monate befristete Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt – im Wissen darum, dass die meisten dieser Flüchtlinge wie der 25-jährige Ali, ihr Glück bei Verwandten in Frankreich suchen wollen:

    "Danke Italien, du hast mir ein großartiges Geschenk, eine Chance gegeben. Das ist wunderbar."

    "Ein Freund kommt mich im Auto holen und wird mich über die Grenze bringen, er wird mir auch Geld geben. Dann, wenn ich Papiere habe, will ich durch Europa reisen. Dann will ich dort arbeiten, heiraten, Kinder in die Welt setzen und ein Häuschen kaufen. Es lebe Frankreich, es lebe die Freiheit," träumt der 24-jährige Habib. Was er nicht weiß: Frankreich heißt ihn alles andere als willkommen. Innenminister Claude Guéant will den legalen Familiennachzug schon begrenzen. Mit Wirtschaftsflüchtlingen aus Tunesien hat er erst recht nichts am Hut.

    Am Sonntag hat Frankreich deshalb die Notbremse gezogen und den Zügen aus dem italienischen Grenzort Ventimiglia nach Nizza kurzzeitig wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung die Einreise verweigert. Die Züge fahren wieder, das Problem jedoch ist nicht vom Tisch.

    Wir sind alle Illegale: Mit diesem Slogan solidarisierten sich zahlreiche Italiener, aber auch Franzosen mit den betroffenen Tunesiern am Sonntag in Ventimiglia. Die italienische Presse zieht über Frankreich her: Die französischen Medien und Politiker rechtfertigen sich. Innenminister Claude Guéant:

    "Eine Aufenthaltserlaubnis für Italien gewährt nur unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, sich frei im Schengenraum zu bewegen. Wenn diese nicht erfüllt sind, dann muss Italien diese Tunesier wieder bei sich aufnehmen."

    Papiere und ausreichende finanzielle Mittel werden benötigt. Viele Betroffene können weder das eine noch das andere nachweisen. 1700 Tunesier hatte Frankreich bis Ende März nach Italien und 200 direkt nach Tunesien zurückgeschickt.

    Formell kann man Frankreich keinen Verstoß gegen die Schengenregeln vorwerfen. Cecilia Malström, die zuständige EU-Kommissarin:

    "Italien kann eine Aufenthaltsberechtigung aus verschiedenen Motiven ausstellen. Damit diese überall in Schengen gilt, müssen gewisse Bedingungen wie der Besitz eines Passes erfüllt sein, und es darf keine Bedrohung für die öffentliche Ordnung entstehen."

    Solange also Frankreich nicht dauerhaft die Grenzen schließt, ist die Schengenwelt formal in Ordnung. Das Problem jedoch alles andere als gelöst! Die Opposition in Frankreich, durchaus kritisch mit der Regierung, hat ihren Sündenbock schon gefunden. Der Sozialist David Assouline:

    "Europa muss sich einigen, Europa muss zu etwas nützlich sein, es ist doch unglaublich, dass in Europa angesichts einer solchen Situation jeder sein Ding macht! Frankreich darf dabei nicht das Zeichen geben, dass es gegen die europäische Solidarität arbeitet!"

    Auf keinen Fall wollen Sarkozy und seine Regierung jedoch diese französisch sprechenden Menschen aus der alten Kolonie aufnehmen. Ein solcher Schritt ließe den Flüchtlingsstrom vermutlich weiter anschwellen. In Zeiten, da der Präsident mit unter 30 Prozent auf einem absoluten Popularitätstief angelangt ist, hofft er sein Image als Hardliner in Sachen Einwanderung aufzubessern: In einem Jahr wird schließlich gewählt, und die rechtsradikale Nationale Front trumpft immer stärker auf!