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Unterricht einmal anders

Sie bleiben in der normalen Schule oft hinterher. Migrantenkinder stoßen dort schnell an ihre Grenzen, größtes Hindernis ist dabei die deutsche Sprache. An der Technischen Universität Berlin organisiert der türkische Studentenverband BTBTM daher ein Förderprogramm: Zusammen mit Lehramtsstudierenden ergänzen sie in mehreren Fächern den regulären Schulunterricht.

Von Jens Rosbach | 08.12.2007
    Technische Universität Berlin, abends um 18 Uhr. Mathematik-Ergänzungsunterricht für Migrantenkinder. Die Kursteilnehmer sind türkischer, griechischer und kosovarischer Abstammung – und werden vom türkischen Studentenverband BTBTM geschult. Projektleiterin Nazan Yilderim verfolgt ein ehrgeiziges Ziel:

    "Unser Ziel ist es, die Anzahl von Studenten mit Migrationshintergrund an den Universitäten zu erhöhen."

    Die Berliner Studentin klagt, an deutschen Schulen hätten es Einwandererkinder aller Couleur schwer. Die Klassen seien zu groß und die Lehrer zu alt – so dass auf die Lern-Probleme der Migranten nicht eingegangen werden könne. Verbandsaktivistin Funda Gümüsdag ergänzt, außerdem besäßen viele Pädagogen keine interkulturelle Kompetenz:

    "Wir hatten Fälle hier, Fallbeispiele, wo Schüler einfach zu schlecht Deutsch gesprochen haben. Und daraus wurde die Folge gezogen, dass dieses Kind dumm sei und an eine Sonderschule gehöre. Was aber eine falsche Entscheidung war, das Kind hat einfach nur nicht verstanden, was der Lehrer von ihm wollte. War in Deutsch schlecht, aber in Mathe zum Beispiel sehr gut. Und solche Sachen werden einfach vernachlässigt und blind drüber hinweg gesehen."

    Grund für den Berliner Studentenverband, Migrantenkindern – speziell Gymnasiasten – jeden Abend Ergänzungsunterricht in sieben Fächern zu erteilen – ob in Deutsch, Mathe oder Bio. An der Tafel: Lehramts-Studierende und Referendare verschiedener Herkunft – darunter viele Deutschtürken wie die 25jährige Funda Gümüsdag.

    "Es gibt halt diese gewissen Stereotypen, dass einfach Schüler, die Migrationshintergrund haben, als nichtbegabt empfunden werden. Und das strahlt ein Lehrer auch aus. Und das mache ich natürlich nicht. Weil ich eben auch Migrationshintergrund habe und deren Probleme kenne und mich auch auf die einstellen kann dementsprechend."

    Der türkische Träger-Verband BTBTM gibt in seinem Projekt "Zweite Generation" keinen Nachilfe-, sondern Ergänzungsunterricht. Der Unterschied? Die Studierenden stützen sich auf pädagogische Konzepte und moderne Präsentationstechniken. Die Migranten-Schüler sind voll des Lobes.

    Schülerin 1: "Also das, was ich nicht in der Schule mitgekriegt habe, habe ich hier eigentlich besser verstanden und das hat mir auf jeden Fall in den Klausuren weitergeholfen, weil ich einfach alles verstanden habe, was ich geschrieben habe. Also ich stand davor drei und jetzt stehe ich so zwei."

    Schülerin 2: "Also dadurch, dass sehr viele Freunde von mir hier sind, mag ich die Atmosphäre hier, weil wir halt abends viel gelassener sind und nicht so unter Druck stehen wie in der Schule."

    Auch die Lehramts-Studenten profitieren vom Ergänzungsunterricht. An der Universität werde zu wenig Unterrichtspraxis vermittelt, berichten sie, hier könne man sich dagegen ausprobieren.

    "Als ich vor dreieinhalb Jahren das erste Mal im Kurs vor der Klasse stand, haben mir meine Knie gezittert, ich habe gestottert, kein Wort herausgebracht – und heute, wenn ich in eine Klasse reingehe, dann bin ich viel präsenter, ich bin sicherer, ich bin kompetenter. Das ist das, was ich gewinnen konnte und mir viel bringt in meinem Beruf später."

    10,50 Euro erhalten die Studierenden pro Unterrichtsstunde – Vorbereitung und Nachbesprechungen werden aber nicht honoriert. Der türkische Studentenverband setzt vor allem auf die Motivation der zukünftigen Pädagogen. Und auf die Motivation bildungshungriger Migrantenkinder, die abends – anstatt vor dem Fernseher – in einem Seminarraum der TU Berlin lernen.

    "Und hier können sie sozusagen schon mal studentische Luft, Atmosphäre auch ein bisschen schnuppern. Also wir versuchen ja auch die Schüler schrittweise an das Studium heran zu führen. Wir beraten Schüler und Studenten. Und helfen ihnen bei allen großen und kleinen Schwierigkeiten weiter. Sei es bei den Bewerbungsmodalitäten oder bei der Aufklärung über die unterschiedlichen Studiengänge mit den unterschiedlichen Anforderungen."