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Urteil in Den Haag
UNO-Tribunal spricht Vojislav Seselj frei

Das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat den serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj in allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Beweise für dessen Schuld an Kriegsverbrechen im Bürgerkrieg auf dem Balkan Anfang der 1990er-Jahre reichten nicht aus, urteilten die Richter.

    Vojislav Seselj spricht bei einer Demonstration gegen die serbische Regierung.
    Vojislav Seselj wurde in allen neun Anklagepunkten freigesprochen. (AFP - Andrej Isakovic)
    In keinem der insgesamt neun Anklagepunkte sei eine Verantwortung Seseljs für Verbrechen gegen Kroaten und Muslime erwiesen, so das Gericht. Mit dem Freispruch sei Vojislav Seselj ein freier Mann, erklärte der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti. Die Anklage hatte 28 Jahre Haft gefordert.
    Der Vorsitzende der serbischen Radikalen Partei hatte sich geweigert, der Urteilsverkündung beizuwohnen. Er war 2014 wegen einer Krebserkrankung vorläufig aus der Haft entlassen worden. 2003 hatte er sich dem Gericht gestellt. Seselj sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters, das Gericht habe mit dem Freispruch das einzig mögliche Urteil gefällt. Er kündigte an, eine Entschädigung von 14 Millionen Euro zu verlangen für die elf Jahre, in denen er in Haft saß.
    Seselj bezeichnet sich als "größten Nationalisten Serbiens"
    Vor der Urteilsverkündung hatte Seselj in einem Interview mit dem Belgrader "Nedeljnik" erklärt, er sei der "größte Nationalist Serbiens". Die EU sei für ihn der Satan. Das UNO-Tribunal in Den Haag sei nicht sein Problem: "Mich interessiert nicht, was die sagen." Er zeigte sich zuversichtlich, dass er bei der Parlamentswahl in drei Wochen in die Volksvertretung einziehen werde.
    Über die Kroaten, gegen die Serbien auch mit Hilfe von Seseljs Freiwilligenbrigaden Krieg geführt hatte, sagte er: "Die sind alle gleich. Das sind alles Faschisten."
    Südosteuropa-Experte hält Seselj für schuldig
    Kroatiens Premierminister Tihomir Oreskovic sprach von einem beschämenden Urteil und einem Debakel für das UNO-Kriegsverbrecher-Tribunal und die Anklage. Deren Beweisführung war von den Richtern ungewöhnlich scharf als unzureichend kritisiert worden.
    Der langjährige ARD-Korrespondent für Südosteuropa, Gerwald Herter, bezeichnete den Freispruch im Deutschlandfunk als "eine einzige Enttäuschung für alle, die unter dem großserbischen Expansionsdrang in den 90er-Jahren zu leiden hatten."
    Seselj ist seiner Ansicht nach eindeutig schuldig: "durch seine Propaganda, die wirklich unvergleichlich war". Außerdem habe er Milizen zusammengestellt, die nach Kroatien gezogen seien, sich dort überhaupt nicht an rechtliche Vorgaben hielten und Kriegsverbrechen begangen hätten.
    Freispruch könnte Versöhnungsprozess gefährden
    Herter sieht durch den Freispruch auch den Versöhnungsprozess auf dem Balkan in Gefahr. Seselj werde damit jetzt Wahlkampf machen und mit seiner Partei möglicherweise zum bestimmenden Faktor werden können. "Das ist sicher ein Alarmsignal", so Herter. "Das ist sehr gefährlich, weil Seselj sich nach Moskau orientieren würde und nicht in Richtung EU und weil das für die Beziehungen zu den Nachbarstaaten sehr ungünstige Vorzeichen wären für eine Versöhnung."
    (vic/at/fes/tzi)