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US-Kulturschaffende zur Wahl
"Das ist ein Schlag gegen Multikulti"

Schock und Begeisterung - so fasst US-Komiker John Doyle die Reaktionen aus seinem Umfeld zusammen. "Das war ein Schlag in Richtung etablierte Parteien", sagte Doyle im DLF zum Ausgang der US-Wahl. Wenn Präsident Donald Trump viel Unsinn baue, böte er eine Steilvorlage für Comedians und Kabarettisten. Aber vielleicht werde sich der neue Mann im Weißen Haus sehr bald nach seinem Trump Tower sehnen.

John Doyle im Interview mit Achim Hahn | 09.11.2016
    Der US-amerikanische Comedian und Autor John Doyle
    Comedian John Doyle ist im Vorfeld dieses Wahlkampfes als Donald Trump aufgetreten (DPA / Georg Wendt)
    Achim Hahn: Herr Doyle, haben Sie dieses Ergebnis erwartet, dass es Donald Trump nach diesem polarisierenden und zornigen Wahlkampf tatsächlich schafft, amerikanischer Präsident zu werden?
    John Doyle: Nein, ich habe es eigentlich nicht erwartet. Ich habe erwartet, dass Hillary Clinton gewinnt. Ich habe erwartet, dass es möglichweise eng ist, aber nicht, dass sie verliert.
    Hahn: Hatten Sie bereits Kontakt mit Freunden oder Verwandten? Wie ist da sie Stimmung?
    Doyle: Ja, die Stimmung ist sehr schlecht. Einige Leute in meiner Familie, die ihn nicht gewählt haben, sie sind natürlich überhaupt nicht zufrieden und die sind der Meinung, dass die Welt langsam zu Ende geht. Es gibt einige in meiner Familie, die, glaube ich - ich bin mir nicht sicher -, die Trump möglicherweise gewählt haben, die eher konservativer geneigt sind und so. Da ist auf der einen Seite Schock, und da ist auf der anderen Seite, glaube ich, Schock und Begeisterung. Aber trotzdem irgendwie kombiniert mit Schock. Ich kann mir vorstellen, dass selbst Donald Trump ein bisschen überrascht ist. Und er denkt: Oh nein, jetzt muss ich tatsächlich etwas machen, ich muss tatsächlich regieren! Eigentlich war alles ausgerichtet auf Wahlkampf und nicht unbedingt auf Regieren.
    Schauspielerin Kirstie Alley:
    "Glückwunsch Präsident Trump! Allen Widrigkeiten zum Trotz – gegen das Establishment und sogar gegen die Mehrheit der Republikaner."
    Hahn: Also eine ähnliche Reaktion, wie damals beim Brexit.
    Doyle: Genau. Ich denke, dass er quasi diesen Job als Präsident möglicherweise als eine Gehaltskürzung sieht. Und dass er ins Weiße Haus einziehen muss, das könnte sein, dass er dann sagt: Boah, mein Trump Tower ist viel schöner, und das ist in New York und da ist mehr los in New York und so weiter. Ich kann mir vorstellen, dass Donald Trump Zeit brauchen wird, um selbst zu realisieren, dass er tatsächlich gewonnen hat.
    Hahn: Was macht denn dieses Wahlergebnis mit Ihnen persönlich? Sie haben ja auch selbst gewählt.
    Doyle: Genau. Ich war am Anfang - ich rede quasi von gestern Nacht -, in den ersten Stunden, da dachte ich: Oh Gott, es läuft nicht so gut für Hillary! Dann merkte ich, wie ich dann müde wurde. Es war 1 Uhr morgens, 2 Uhr morgens, 2:30 Uhr. Dann hatte ich das Gefühl, dass Hillary möglichweise Florida gewinnt. Und dann war Florida plötzlich sehr eng. Und dann kam Trauer und ein bisschen Wut und ein bisschen Frust. Und mit der Zeit kam eine gewisse Einsicht, dass das das ist, was eine Mehrheit gewählt hat. Und wenn man die Landkarte in Amerika sieht: Die Landkarte ist ziemlich rot, ist ziemlich republikanisch. Ja, ich bin nicht glücklich über das Ergebnis, aber das ist leider das demokratische Ergebnis. Ich kann nicht wie ein Kleinkind sagen: Oh, gefällt mir nicht und ich werde es nicht anerkennen! Man muss jetzt versuchen, das Beste daraus zu machen.
    Rapperin Azealia Banks:
    "In den liberalen Medien habe ich so viel Bullshit gelesen. Dieses Ergebnis ist jetzt so erfrischend und inspirierend. Es gibt Hoffnung."
    Hahn: Sie sind selbst Comedian, Stand-up-Comedian, wie reagieren denn ihre Kollegen aus der Kulturszene? Vergeht ihnen der Humor?
    Doyle: Ja, ich meine, die meisten Kollegen fanden im Wahlkampf Donald Trump unmöglich. Ich habe die Erfahrung aber gemacht, auf der Bühne, dass ich nicht den vergleichbaren Anklang fand bei Witzen über Donald Trump im Vergleich zu Witzen über George Bush damals, als George Bush Präsident war. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ein gewisser Anteil des Publikums dachte: Ach, das ist irgendwie unfair gegenüber einem Kandidaten - wenn du Donald Trump veräppelst, dann solltest du auch Hillary Clinton veräppeln! Was ich ungerne tat. Es war irgendwie ein komisches Gefühl. Ich hatte das Gefühl, dass einige Leute im Publikum meinten, dass ich vielleicht mit meiner Kritik über Donald Trump zu weit gegangen bin.
    Schauspieler Stephen Baldwin:
    "Bald beginnt die RICHTIGE Arbeit, um Amerika wieder groß zu machen! Ich bin stolz, ein Teil dieser unglaublichen Geschichte zu sein."
    Hahn: Jetzt waren Hollywood und die Musikwelt scheinbar eher für Clinton, es gab viele Solidartätsgesten. Wie sieht das Szenario jetzt aus: Ein Staatsmann gegen Kultur, gegen Hollywood? Geht das überhaupt?
    Doyle: Ja, es geht schon, weil die meisten Leute kommen nicht aus Hollywood. Und es gibt ungefährt 100 Millionen Amerikaner, die keinen College-Abschluss haben und die keine höhere Bildung haben und die prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Und das sind die Leute, die er angezapft hat. Und er hat denen letztendlich gesagt, die Republikaner können euch - das heißt, die traditionellen Republikaner-, können euch nicht helfen. Die Demokraten können euch sowieso nicht helfen. Die einzige Person, die Euch helfen kann, bin ich. Es war eine Art Anti-Obama-Stimmung. Vor acht Jahren gab es Hoffnung, Aufbruch. Und jetzt gibt es acht Jahre später Hoffnung auf der anderen politischen Seite, dass es einen konservativen Aufbruch gibt.
    Hahn: Das hat er heute schon angedeutet in der ersten Rede.
    Doyle: Genau. Das hat mich überrsascht, als er sagte ja: Ich bedanke mich bei Hillary Clinton für ihre Dienstjahre und für ihre Anstrengungen in den letzten Jahren als Politikerin, und auch für ihren sehr harten Wahlkampf. Das hat mich überrascht. Das hat mich ehrlich gesagt überrascht. Der kann natürlich gönnerisch sein, weil er gewonnen hat, und er hat eine Mehrheit im Kongress, und er wird in Zukunft wahrscheinlich eine Mehrheit haben im Supreme Court - und er kann wahrscheinlich gönnerisch sein jetzt. Aber das hätte er natürlich nicht sagen können. Er hätte auch sagen können: Hillary wird verhaftet, 12 Millionen Menschen werden ausgewiesen, abgeschoben und so weiter. Ich kann mir stellen, dass er uns irgendwie erin bisschen überrascht mit einer gewissen Art von Diplomatie, weil er weiß, wie gespalten das Land ist.
    Schauspieler Chris Evans:
    "Es ist eine peinliche Nacht für Amerika. Ein Hass-Schürer führt unsere großartige Nation an. Ich bin am Boden zerstört."
    Hahn: Nichtsdestotrotz sind gerade diese Positionen, die Sie gerade genannt haben, auch irgendwo ein Indiz, dass sich die politische Kultur in den USA durchaus verändern kann.
    Doyle: Genau. Ich denke, die politische Kultur wird sich ändern. Ich denke, wie gesagt, ich meine, das war ein Schlag in Richtung etablierte Parteien und das war auch eine Art Schlag in Richtung Multikulti. Und ich glaube, dass es eine gewissen Gegenströmung gibt in Amerika, die eher konservativ geht. Diese Parteien werden in den nächsten Jahren einiges an Macht haben und die werden natürlich diese Macht nutzen, um gewisse Sachen durchzusetzen. Und man wird wahrscheinlich eine konservative Korrektur aus Sicht der Republikaner in USA sehen.
    Pop-Star Lady Gaga:
    "Nichts kann uns stoppen. Steht auf für Güte, Gleichberechtigung und Liebe!"
    Hahn: Es gab auch in Künstlerkreisen Stimmen, die sagten, die wollen auswandern, wenn Trump gewinnt. Könnte das in dieser Stimmung tatsächlich passieren, beziehungsweise: Könnte man sich einen Abzug von Intellektuellen vorstellen?
    Doyle: Ach, ich weiß es nicht. Ich meine: Künster, die sehr erfolgreich sind, die sehr vermögend sind, haben natürlich den Luxus, überall auf der Welt leben zu können. Ich meine, die sind sowieso ein Jetset. Ob sie in Kalifornien leben oder in New York leben oder in Zürich oder in London oder in Berlin - ja, ich meine, die haben natürlich diesen Luxus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen massiven Exitus gibt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Donald Trump in der Anfangszeit versuchen wird - irgendwie es klingt ein bisschen komisch, wenn man über Donald Trump redet-, aber dass er versuchen wird, irgendwie beide Seiten ein bisschen zusammenzubringen. Weil er weiß, er ist nicht blöd ... man verkauft ihn gerne für blöd, aber er weiß, dass sehr viele Leute ihn unmöglich finden. Ich glaube, seine nächste Aufgabe ist es, diese Leute irgendwie zu überzeugen. Oder einen Teil von ihnen, wenn es irgendwie geht, für sich zu gewinnen.
    Schauspieler John Cusack:
    "Wir starten ab heute eine neue Bürgerrechtsbewegung. Wir können kurz weinen – aber ab morgen werden wir kämpfen."
    Hahn: Sie sind ja im Vorfeld dieses Wahlkampfes auch aufgetreten als Donald Trump. Wäre das eine Vorlage für Ihre eigene künsterlische Arbeit?
    Doyle: Ich glaube, das hat auch mit Donald Trump zu tun. Ich denke, wenn Präsident Trump viel Unsinn baut, dann kann ich mir vorstellen, dass es eine Steilvorlage ist - nicht nur für mich, sondern auch für andere Komiker. Aber wenn er zum Beispiel sagt: Okay, ich spiele den Diplomaten und ich werde vernünftig sein, dann ist die Zielscheibe in Richtung Comedy oder in Richtung Kabarett kleiner. Es kommt wirklich darauf an, was er in den nächsten Monaten und Jahren uns bietet.
    Hahn: Der Journalist und Stand-up-Comedian John Doyle zur Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA. Vielen Dank für dieses Gespräch und Ihre Einschätzungen.
    Doyle: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.