Freitag, 19. April 2024

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Verlage in der NS-Zeit
"Nach 1945 wurden Legenden gezimmert"

Die Bauer Media Group will ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten. Dass das erst so spät und nach Recherchen von "Spiegel" und NDR passiere, passe zum merkwürdigen Verhältnis vieler Verlage zu ihrer Vergangenheit und ihrem Desinteresse daran, sagte der Historiker Reinhard Wittmann im Dlf.

Reinhard Wittmann im Gespräch mit Michael Borgers | 15.01.2020
Eine Frau blättert auf der Jahrespressekonferenz der Bauer Media Group in Hamburg vor dem Firmenlogo in einer Zeitschrift.
75 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes stellt sich die Bauer Media Group ihrer Vergangenheit. (Angelika Warmuth / dpa)
Der Bauer-Verlag ist der größte Verlag Europas - unter anderem gibt Bauer Titel wie "Bravo", "TV Movie" oder "Cosmopolitan" heraus, ist aber auch im Besitz von "Radio Hamburg" und größter Gesellschafter von RTL II. Insgesamt gehören weltweit über 600 Zeitschriften und 100 Radio- und Fernsehsender zur Bauer Media Group, die 1875 geründet wurde.
Klaffende Lücken in der Historie - Der Bauer-Verlag und die NS-Zeit (Sebastian Friedrich, 03:06)
In der Unternehmenshistorie der Bauer Media Group klafft zwischen den Jahren 1926 und 1945 eine auffällige Lücke. Die Bauer Media Group hat sich bisher nicht systematisch mit der eigenen Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Dabei legen gemeinsame Recherchen des NDR Medienmagazins "Zapp" und "Der Spiegel" nahe, dass sich der Verlag mit dem Naziregime arrangiert und davon profitiert hat.
Nach Recherchen des "Spiegel" und des NDR Medienmagazins "Zapp" gab die Bauer Media Group an, zwar keine Dokumente und Firmenunterlagen aus den Jahren zwischen 1933 und 1945 mehr zu besitzen, sich aber mit der eigenen Geschichte während der NS-Zeit auseinandersetzen zu wollen: "Wir werden noch im Laufe des Jahres 2020 einen Historiker damit beauftragen, die Geschichte und die Vorgeschichte des Bauer-Verlages zu recherchieren und mit der Öffentlichkeit zu teilen", heißt es in einer Pressemitteilung vom 15. Januar 2020.
"Es war tatsächlich dieses unbegreifliche Achselzucken"
Nach Ansicht des Historikers Reinhard Wittmann stehe Bauer damit in einer klaren Tradition vieler Verlagsunternehmen, die ein merkwürdiges Verhältnis zu ihrer Vergangenheit hätten: "Nach 1945 wurden schnell Legenden gezimmert und man hat sich schlicht und ergreifend nicht mehr dafür interessiert. Das ist keine Schutzbehauptung, sondern es war tatsächlich dieses unbegreifliche Achselzucken - die Vergangenheit ist weg, das interessiert uns jetzt nicht mehr", sagte Wittmann in @mediasres.
Wittmann war einer der Historiker, die um die Jahrtausendwende die Rolle des Bertelsmann-Konzerns im Dritten Reich erforscht haben - und damals die Legende vom Widerstands-Verlag Bertelsmann widerlegten. Nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts "Bertelsmann im Dritten Reich" habe sich auch der Holtzbrinck-Verlag seiner NS-Vergangenheit gestellt. Auch in diesem Fall habe sich gezeigt, "dass die Weste nicht so fleckenlos weiß gewesen ist, wie man das gerne gehabt hätte", so Wittmann.
"Natürlich hat man sich arrangiert"
Dass sich viele Verlage mit den Nationalsozialisten arrangiert hätten, kann der Historiker allerdings bis zu einem gewissen Punkt verstehen. "Ich kann in einer totalitären Diktatur nicht weiterexistieren mit einem oppositionellen Grundkonzept. Natürlich hat man sich arrangiert. Die Frage ist nur: In welcher Weise und wie intensiv?"
Ein Verleger wie beispielsweise Peter Suhrkamp sei absoluter Anti-Nazi gewesen, der den Nazis zum Trotz inhaltlich auch während des Dritten Reichs großartige Dinge geleistet habe. Aber auch er habe sich in gewisser Weise der Situation im Dritten Reich anpassen müssen. Wenn allerdings jemand wie Alfred Bauer Grundstückskäufe mit der sogenannte Arisierung getätigt habe, dann sei das natürlich hunderprozentig zu verurteilen.