Donnerstag, 18. April 2024

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Virtuelles Theatertreffen
Bildschirm statt Bühne

Coronabedingt fand das Berliner Theatertreffen erstmals im Internet statt. Sechs der zehn "bemerkenswerten" Inszenierungen wurden als Aufzeichnung gezeigt. Dazu gab es Künstlergespräche, Fachdiskussionen und Zuschauer beteiligten sich per Twitter. Der Zuspruch war groß. Das Ergebnis nicht immer befriedigend.

Von Barbara Behrendt | 10.05.2020
Eine junge Frau steht traurig vor einem abstrakten Hintergrund auf einer Theaterbühne. Vor ihr liegt eine metallisch schimmernde Kugel.
Nicht sein oder virtuell sein?, fragt sich Sandra Hüller als Hamlet beim Berliner Theatertreffen (JU Bochum)
Die Leiterin Yvonne Büdenhölzer zeigte sich am Ende des Festivals hochzufrieden. "Das erste virtuelle Theatertreffen war für uns ein Experiment aber auch ein Erfolg. Die Angebote des Theatertreffens wurden von über 120.000 Zuschauer*innen angesehen. Das ist der Stand von jetzt. Viele der Veranstaltungen bleiben ja auch noch online und sind weiterhin abrufbar. Wir freuen uns natürlich sehr über diesen immensen Zuspruch und möchten uns auch bedanken für die Offenheit der Künstler*innen, die diesen Weg mit uns gegangen sind."
Zweifelhafte Präsentationsform
120.000 ist eine schöne Anzahl – beim analogen Theatertreffen vergangenes Jahr waren es rund 20.000 Zuschauer. Wobei es sich bei den Online-Zahlen, das kann man der späteren Pressemitteilung entnehmen, nicht um einzelne Zuschauer handelt, sondern um Abrufe. Wer wie oft geklickt und wie lange geschaut hat, bleibt offen. Dass mehr Theaterfans, auch außerhalb Berlins und Deutschlands, digital Zugang zum Festival erhalten, ist eine gute Sache. Ob von dieser "Demokratisierung der Kunst" aber auch theaterfernere Menschen profitieren, sei einmal dahingestellt. Halbgare Mitschnitte, wie sie hier hauptsächlich zu sehen waren, sind als Theatereinstieg ungeeignet. In den interaktiven Chats zu den Streamings versammelten sich jedenfalls fast nur Fachleute. Und ob man den eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern mit dieser Online-Präsentation einen Gefallen tut, bleibt zumindest fraglich. Kann die Aufzeichnung einer Inszenierung, die für interne Probenzwecke angefertigt worden ist, dem Publikum das eigentliche Werk vermitteln? Der Regisseur Alexander Giesche, der zum ersten Mal bei der Bestenschau dabei gewesen wäre, hat seine Aufzeichnung für die Präsentation im Internet nicht freigegeben:
"Als die Anfrage kam, hab ich mir noch mal die Aufzeichnung angeschaut und hab mich gefragt, ob ich das sehen möchte. Ich glaube, da hätte weder das Publikum noch die Arbeit von profitiert. Die Arbeit spielt so mit Atmosphäre und mit Licht und mit Länge und mit Ruhe. Da ist eine zehnminütige Regenszene drin, wo man nur dem Licht zuschaut. Was man auf dem Video einfach gar nicht sieht."
Hamlets Wimpernschlag
Über die Inszenierungen selbst lässt sich anhand der Mitschnitte kaum urteilen. Schließlich ist es die Bildregie, die hier den Blick lenkt und auf eine Sichtweise verengt. Miteinander vergleichen lassen sich die Videos erst recht nicht. Wie ungeschützt man sich womöglich fühlt, wenn auf der Bühne drei Schauspiel-Laien mit Tourette-Syndrom stehen, die schon per Krankheitsdefinition die größtmögliche Provokation suchen, wie in der Arbeit "Chinchilla Arschloch, waswas" von Helgard Haug, lässt sich per Aufzeichnung nur erahnen. Johan Simons’ Hamlet-Inszenierung, von 3sat professionell gefilmt, mag dagegen punktuell sogar davon profitieren, dass die fantastische Hauptdarstellerin Sandra Hüller immer wieder nah von der Kamera eingefangen wird. Jeder Wimpernschlag ihres empfindsamen Hamlets wird da sichtbar.
Wie funktioniert Theater im Netz?
Thematisch ging es in diesem Jahr um gesellschaftliche, sozial-politische Befindlichkeiten, um kritische Untersuchungen von Frauenrollen, um Körperlichkeit. Diskursiv wurde es beim dreiteiligen Panel zum Thema Digitalität – wie funktioniert Theater im Netz, welche digitalen Praktiken eignen sich für die Bühne? Über die Frauenquote, die die Jury erstmals auf die Auswahl angewandt hatte, zeigten sich in der traditionellen Schlussdebatte alle Jurorinnen und Juroren erfreut.
Nach 30 Stunden "Theatertreffen digital" kann die Kritikerin allerdings nur sagen: Spaß hat das Ganze nicht gemacht. Theatergucken im Netz ist bei historischen Aufführungen lehrreich – bei aktuellen Inszenierungen ist dieser Notbehelf auf Dauer frustrierend. Wie Kochen ohne Riechen und Schmecken – man sieht die Zutaten, das, was auf der Bühne passiert, doch der emotionale Effekt, der Geschmack ist nicht zu beurteilen. Was es bedeutet, Theater stattdessen mit dem Körper, mit allen Sinnen zu erfahren, das hat das Festival gerade in der Abwesenheit von Theater deulich gemacht.
Man muss natürlich anerkennen: Das Theatertreffen ins Netz zu verlegen war keine freie Entscheidung, sondern ein Experiment, um das Festival in Corona-Zeiten nicht ausfallen zu lassen. Ob man es stattdessen wohl auch ein Jahr hätte verschieben können? Falls die Theater weiterhin wenig oder gar nicht produzieren können, wird die Jury ohnehin Probleme bekommen, genügend Inszenierungen fürs nächste Jahr sichten zu können. Gute Nachricht jedenfalls, dass im Herbst zumindest die drei ausgewählten Produktionen aus der freien Szene an ihren Koproduktionshäusern in Berlin erneut gezeigt werden sollen.