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Visionär des Fernsehens

Er hat dem Medium viele Erfolge beschert, darunter die Serie "Ein Herz und eine Seele". Er war Mitbegründer und Gastgeber der Talkshow "3 nach 9" und ein begnadeter Drehbuchautor. Mit Wolfgang Menge ist einer der Großen des deutschen Fernsehens von uns gegangen. Darin sind sich alle einig.

Von Beatrix Novy | 18.10.2012
    Alle sind sich einig: Mit Wolfgang Menge ist eine der großen Persönlichkeiten des deutschen Fernsehens von uns gegangen. Es heißt, er habe Maßstäbe gesetzt. Und das ist so, er hat Maßstäbe gesetzt, aber für wen gelten sie heute? Er war eine Persönlichkeit, eine nicht mal besonders verbindliche, und traute sich mit dieser Eigenart auch noch auf den Bildschirm. Er war Mitbegründer und Gastgeber der Talkshow "3 nach 9", die das Talk-Format in Deutschland etablierte; mit seinen Co-Moderatoren Marianne Koch und Gerd von Paczensky konnte Wolfgang Menge also etwas machen, was noch neu war – entsprechend unbefangen ging es zu. Nur ein Gesetz waltete: die Idee, dass kein vernünftiger Mensch nur um der Unterhaltung willen unterhalten werden will. Was man Qualitätsfernsehen nennt, machte Menge ganz von selbst.

    Aber auch die militante Affirmation, die vielfach an die Stelle des alten Bildungsauftrags getreten ist, konnte einen Wolfgang Menge nicht altmodisch erscheinen lassen, keiner konnte ihn zum Fernseh-Saurier umdeuten. Dafür hat er dem Medium zu viele seiner dauerhaftesten und bekanntesten Erfolge beschert. Seinem Alfred Tetzlaff, dem permanent durchdrehenden Stammtischkläffer, war es beschieden, sprichwörtlich zu werden als Ekel Alfred. Als repräsentativ für Volkes Stimme und Schnauze ist Ekel Alfred nur noch bedingt massentauglich, aber seine nötig-misanthropische Gemütslage bleibt. In der Nachfolge-Figur Motzki, nach der Wende als Ossi-Satire gedreht, verschliss sich das Konzept und fiel ziemlich durch.

    Als Misanthrop geboren zu sein, behauptete übrigens Wolfgang Menge von sich selbst, da erübrigte sich jeder sentimentalische Rekurs auf seine Biografie: 1924 geboren, Sohn einer jüdischen Mutter, trotzdem gut genug für den Kriegsdienst. Nach dem Krieg wurde er Journalist, wechselte früh zum Hörfunk, von da zum Film und zum jungen Medium Fernsehen. Das alles lag ihm. Er entwickelte Serien, schrieb Drehbücher -zum Beispiel für Stahlnetz, den Tatort-Vorläufer in krimiklassischem Schwarz-Weiß. Aber auch beim Tatort war Menge dabei, er erdachte die Figur des Zollfahnders Kressin. Und dreimal blickte er mit dem Fernsehen in die Zukunft: "Die Dubrow-Krise" war die Geschichte einer deutsch-deutschen Grenzbegradigung, bei der ein Dorf wiedervereinigt wird. "Smog" nahm schon 1971 das Bewusstsein der Umweltkrise vorweg, da hatte über das Wort Müll noch keiner über die Tonne vor der Tür hinaus nachgedacht. Und das sensationelle "Millionenspiel". Ausgerechnet am 18. Oktober 1970, heute vor 42 Jahren, machte Menge aus einer Geschichte des amerikanischen SF-Autors Robert Sheckley eine Reality-Show à la George Orwell: Ein Mann lässt sich von einer Bande auf Leben und Tod jagen, im Auftrag eines Fernsehsenders.

    Wolfgang Menge: "Das Manipulieren der Sendung, das war mit den Kommerziellen vorhersehbar, und es war ja auch in Amerika schon alles da."

    Menge hatte mehr getan, als Sheckleys Geschichte zu dramatisieren: Aus einer Geschichte übers Fernsehen machte er Fernsehen. So authentisch, dass die Zuschauer zu Tausenden anriefen und den amoralischen Skandal auf dem Bildschirm verfolgten. Oder auch nicht.

    Wolfgang Menge: "Es haben sich welche gemeldet und gesagt, merken Sie mich mal vor, falls so was noch mal kommt."

    Mit dem Millionenspiel war Menge eine Prophezeiung gelungen, die sich in zahllosen Alltags- und Reality-Serien erfüllen sollte. Eine Prophezeiung, die der Hoffnung, die Welt sei durch Kritik zu verändern, eher das Wasser abgrub. Aber um schnelle Belohnungen welcher Art auch immer ging es diesem Mann nicht, der auch einen Fernsehfilm über die Pioniere der deutschen Atomphysik machte, an dem er drei Jahre arbeitete. Ob sich das lohnt, darüber hat er nie nach gedacht. Auf die Frage, ob er nicht Angst gehabt habe, dass Kernphysik in einem Fernsehdrama langweilig sein könne, antwortete er bloß:

    ""Nee"."