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Volksentscheide in Deutschland
Bayern Spitzenreiter bei Bürgerbegehren

Der Verein "Mehr Demokratie" setzt sich für mehr Bürgerbeteiligung ein und erstellt regelmäßig ein sogenanntes Volksentscheid-Ranking, in dem die Zahl der direktdemokratischen Verfahren erfasst werden. Ein Bundesland schneidet dabei besonders gut ab: In Bayern gab es bereits 2.260 Bürgerbegehren.

Von Susanne Lettenbauer | 16.11.2016
    Luftballons mit dem Aufruf zum Volksentscheid am 13.02. sind am Freitag (11.02.2011) vor dem Brandenburger Tor in Berlin zu sehen. Mit einer Kundgebung rief die Bürgerinitiative "Aufruf zum Volkentscheid" zur Abstimmung über die Offenlegung der Wasserverträge in Berlin auf.
    Die Zahl der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Deutschland steigt - wie hier zur Abstimmung über die Offenlegung der Wasserverträge in Berlin. (picture-alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Im Büro vom Münchner Verein Green City rauchen seit September die Köpfe. Andreas Schuster sitzt vor seinem Computer und grübelt über den letzten Formulierungen zu Münchens neuestem "Bürgerbegehren saubere Luft für München”: "Wir sind jetzt ungefähr bei der dreißigsten, fünfunddreißigsten Variante. Wir werden heute in den Druck gehen, haben aber noch Kleinigkeiten geändert."
    Zehn bis zwölf Stunden täglich sitzen Schuster als Mobilitätsexperte von Münchens größter Umweltschutzorganisation und seine Mitstreiter an der Vorbereitung ihres ersten Bürgerbegehrens, das am 23. November startet. Dem Bündnis gehören bisher zwölf Partner an. Diese wurden angeschrieben oder angesprochen. Mit dabei sind Umweltorganisationen wie der Verkehrsclub Deutschland, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, das Netzwerk Klimaherbst, der Kinderschutzbund und das Münchner Forum.
    Seit 1995 gibt es Bürgerentscheide in Bayern
    Immer wieder melden sich neue Unterstützer im Büro der Initiatoren, auf der Webseite kann sich jeder Münchner Bürger in den Online-Kalender eintragen, wann er an einem der Listen-Stände draußen in der Stadt mithelfen möchte. Die Green-City-Praktikantin Andrea Sperling kennt viele junge Leute in Bayern, die Bürgerbegehren generell unterstützen. Ob nun ein weiteres, noch laufendes Bürgerbegehren ist, das im Sommer in München startete. Dort fordern die Initiatoren den Ausstieg der Stadtwerke aus der Steinkohle. Oder das Bürgerbegehren gegen einen Großschlachthof in einer Umland-Gemeinde. Oder auch die zwei letztlich nicht erfolgreichen - Bürgerbegehren gegen die Erhöhung der Umsatz- und Gewerbesteuer in Augsburg:
    "Ich finde jetzt, wenn ich so richtig dabei bin, super spannend, wie viel da eigentlich dahinter steht, die ganze Organisation, die Bündnisse, die sich zusammenschließen müssen, die juristischen Fragen", sagt Andrea.
    In Bayern gelten Bürgerentscheide seit ihrer Einführung 1995 als wichtigste Form der direkten Demokratie. Damals noch argwöhnisch beäugt von der CSU, denn die Einführung machte nur ein Volksentscheid möglich. 40 Prozent aller Bürgerentscheide in Deutschland entfallen auf Bayern, das ist der Spitzenplatz, ergibt das heute vorgestellte Volksentscheid-Ranking des Vereins Mehr Demokratie. In Zahlen sind das 2260, im Vergleich dazu das Saarland: Dort wurden die Bürger bislang 16 mal zum Bürgerentscheid gebeten.
    Drei von zehn Initiativen sind erfolgreich
    Das wahrscheinliche Geheimnis des Erfolgs: In Bayern kann jede natürliche Person, und sei es auch nur eine, ein Bürgerbegehren starten, es gibt keine Fristen, bis wann die Unterschriften übergeben werden müssen. Anders als bei Volksbegehren auf Landesebene muss man nicht ins Rathaus gehen und sich innerhalb von zwei Wochen 10 Prozent der Bürger in Listen eintragen.
    Andreas Schuster: "Man kann tatsächlich ein Bürgerbegehren – das ist so ein bisschen auch die Krux daran – man kann Bürgerbegehren einfach starten. Man meldet ein Bürgerbegehren nicht an und dann wird’s geprüft und dann sagen die, ja, legt los, sondern man gibt mit den dreißig-, vierzigtausend Unterschriften das Bürgerbegehren ab und dann wird es erst geprüft."
    Und im Zweifelsfall abgelehnt. Drei von zehn Initiativen seien erfolgreich in Deutschland, so das Ranking. Und die Zahl steigt, so Simon Strohmenger von "Mehr Demokratie":
    "Also was wir als Erstes mitnehmen können ist, dass die praktische Erfahrung der Bürgerinnen und Bürger einfach steigt. Wir haben immer mehr Verfahren, immer mehr Bürgerbegehren, immer mehr Bürgerentscheide. Und die Regelungen in den einzelnen Ländern werden auch immer besser. Bayern ist Spitzenreiter, mit Bremen zusammen. Beide haben die Note 2,3 bekommen."
    Das 2261. Bürgerbegehren Bayerns wird gerade vorbereitet
    Verbesserungen wären also noch möglich, so Strohmenger. Direkte Demokratie auf Bundesebene, wie es die CSU auf ihrem Parteitag beschloss, sei in Deutschland sehr wohl möglich, ist man bei den Beobachtern von "Mehr Demokratie" sicher. Demokratieverdrossenheit sehe man nicht, auch keinen Missbrauch durch Populisten oder extreme politische Strömungen, das zeigen die Erfahrungen aus Bayern. Deutschlandweite Volksbegehren? Ja bitte.
    Green City bereitet in München nun das 2261. Bürgerbegehren Bayerns vor. In den vergangenen Wochen wurden Arbeitsgruppen für Text, Design und Kommunikation gebildet. Eine AG diskutierte, wie genau das Design der Unterschriftenliste aussieht, wo die Logos der vielen Unterstützer platziert werden und ob die Unterschriftenliste auch online herunterladbar sein soll. Man möchte als Ideengeber und nicht als Blockierer dastehen, sagt Green City-Mitarbeiter Christian Grundmann von der Arbeitsgruppe Kommunikation. Deshalb macht er mit:
    "Also aus meiner Sicht macht das total Spaß, ich habe ja auch nur den zweitschlimmsten Job, weil ich die juristischen Prüfungen nicht machen musste, sondern unsere AG kann sich einfach um die Kommunikationsstrategie kümmern. Da ist auch sau viel zu tun, aber noch macht es Spaß."