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Vom Verlust der jugendlichen Leichtigkeit

Wann ist denn nur alles so kompliziert geworden? Diese Frage stellt sich die Protagonistin Luise in "Wachstumsschmerz". In Sarah Kuttners zweitem Roman dreht sich alles um die Quarterlife-Crisis, den Zustand der Unsicherheit nach dem Erwachsenwerden.

Von Melissa Beyel | 27.04.2012
    Luise ist Anfang dreißig, Schneiderin für Herrenanzüge und seit drei Jahren liiert mit Flo. Anfang dreißig ist ein gutes Alter, endlich erwachsen zu werden, denken sich die beiden und entschließen sich, zusammenzuziehen. Nach anfänglicher Euphorie jedoch stehen sich die jungen Liebenden fast hilflos und leer gegenüber und befinden sich vor den Scherben ihrer Beziehung.

    Es fühlt sich an, als hätte jemand einen Schalter umgelegt; Luise sieht sich mit dem Gefühl konfrontiert, die letzten zehn Jahre das Erwachsensein nur gespielt zu haben. Orientierungslosigkeit macht sich in ihr breit, Unzufriedenheit, die Sehnsucht aus dem eigenen Leben etwas anderes, etwas Besseres zu machen. Mit autobiografischer Lebensbewältigung, wie bei beispielsweise Charlotte Roche, mit der Sarah Kuttner gerne verglichen wird, hat dieser Roman nichts zu tun, auch wenn Kuttner ihre Luise als Ich-Erzählerin auftreten lässt. Die Idee zum zweiten Buch kam der jungen Autorin durch Erlebnisse in ihrem Umfeld.

    "Ich hab in meinem Freundeskreis beobachtet, dass das so ist. Und hab dann so ein bisschen darauf rumgedacht und dann überlegt, dass 30 tatsächlich wie die neuen 20 sind. Das man 10 Jahre lang erwachsen sein spielt und jetzt an einen Punkt kommt, an dem Entscheidungen viel mehr Tragweite haben als noch vor zehn Jahren. Das alles, was jetzt entschieden wird langfristigere Ergebnisse hat und das das einen überfordern kann und einen relativ viel Disziplin und Entscheidungsfreude abfordert."

    "Quarterlife-Crisis" nennt die Populärwissenschaft das, was Kuttner in ihrem Buch eindrucksvoll beschreibt. Als Zustand der Unsicherheit nach dem Erwachsenwerden wird diese Krise beschrieben. Und obwohl ihr Leben nach außen geregelt und wirklich in Ordnung scheint, spürt Luise eben genau diese nagende Unsicherheit. Ihr Vater ist nie zufrieden mit dem, was sie macht. Neben ihrem Job als Schneiderin arbeitet sie nebenberuflich als Model und Schauspielerin. Sie geht die Sache jedoch halbherzig an und boykottiert die Castings. Die ständigen Fragen des Vaters nach der eigenen Kollektion, das Drängen der Agenturchefin darauf, aus ihrem Talent etwas zu machen: All das gibt Luise den Eindruck, dass sie mehr aus sich herausholen kann und sollte. Die Frage ist nur, will sie das auch? Möglichkeiten müssen neu betrachtet und abgewogen werden. Für Luise geht es darum, sich zu entscheiden, sich im Leben zu positionieren, eben erwachsen zu werden. Doch das ist eben nicht so einfach, auch nicht mit Anfang dreißig, wenn die alten Tanzschuhe durchgelaufen, alle Drogen probiert und das junge Leben ausgekostet ist.

    "Es wird einem vom Leben und nicht mal aktiv von anderen Leuten, dieser Tage vermittelt einem das Leben das du wirklich alles werden kannst. Und das ist ja auch so. Und das ist natürlich ne irrsinnig tolle Sache, ich glaube nur, dass man nicht unterschätzen darf, wie sehr einen das überfordern kann. Man braucht ne Menge Willensstärke, um sich zwischen all diesen Möglichkeiten zu entscheiden, sein eigenes Talent und sein Bedürfnis zu finden und sich dann zu entscheiden. Und selbst wenn man sich entschieden hat, bedeutet das ja nicht, dass sie Möglichkeiten jetzt die Klappe halten, um einen rum glitzerts ja immer noch. Und egal welche Entscheidung man getroffen hat, irgendwas neben dir sagt immer noch "Du hättest aber noch, du könntest aber noch". Die halten ja nicht die Klappe die Möglichkeiten weil die immer da sind. Da muss man glaub ich nicht irrsinnig stark sein, man kann sich schon verunsichern lassen davon. Man muss irgendwann dann festlegen, das kann ich, das mag ich, auch wenn gleichzeitig Dieter Bohlen immer noch nen Superstar sucht."

    Wie auch schon ihr erster Roman "Mängelexemplar" ist der Stil ihres neuen Buchs der Mündlichkeit verschrieben. In lässigem Ton beschreibt Kuttner die Probleme einer Generation, die im Wohlstand aufgewachsen ist. "Luxusprobleme" könnte man die Sorgen der Luise auch nennen. Sind sie aber nicht. Es ist die Flut der Reize und Möglichkeiten, mit denen Menschen, die gerade erwachsen werden, heute konfrontiert sind und die Luise überfordern. Links und rechts ist das Gras dann eben doch grüner.

    Jedoch kommt der Roman zunächst als Liebesgeschichte daher. Immer wieder unterbrechen den Erzählfluss kleine Memos, die recht schnell zu erkennen geben, dass Luises und Flos Liebesgeschichte nicht mit einem Happy-End endet. Flo ist für Luise ein ewiger Ja-Sager, eine Eigenschaft, mit der sie während der Beziehung schlecht zurechtkommt, die sie aber im Rückblick doch vermisst. Egal wie gemein und unfair sie sich ihm gegenüber verhält, er akzeptiert sie so, wie sie ist. In ihren Memos reflektiert sie verlassen und verletzt das Zusammenleben und ihre Beziehung. Liebeskummer macht sich breit, die vorher so taffe Luise zeigt sich hier von ihrer zerbrechlichen, schwachen Seite. Dass das Thema Liebe jedoch nicht im Vordergrund der Erzählung steht, wird dem Leser schnell bewusst. Das Scheitern der Beziehung geht vielmehr einher mit der Krise, die in Luise selbst tobt.

    "Das sind ja auch zwei verschiedene Baustellen. Auf der einen Seite ein Buch über Liebe und Beziehung, woran Liebe scheitern kann und wieviel Erwartungen vielleicht zu viel sind und wie viele vielleicht auch zu wenig sind. Ich finde ja viele Leute empfinden ja, das Luise den perfekten Mann gefunden hat, und empfinden die als so zickig, dass sie den jetzt immer so ärgert. Und ich finde ne, man kann ruhig auch einen Anspruch an seinen Partner haben und wenn zum Beispiel diesem Florian ein bisschen Rückgrat fehlt, was ihm fehlt, dann versteh ich, dass Luise das als störend empfindet und möchte, dass jemand das Maul aufmacht und Stärke und Größe beweist und nicht immer zu allem ja und nein und vielleicht und möchte ich jetzt nicht drüber reden.

    Insofern sind die also durchaus in einer Krise, die jetzt nicht automatisch einhergeht mit Luises Problem der Orientierungslosigkeit. Dennoch ist sie in ihrem Leben gerade sehr unzufrieden und auch wenn das eine alter hippiesker Standpunkt ist, glaube ich tatsächlich, das wenn man unzufrieden ist im allgemeinen mit sich selber und seinem Leben dann kann man auch nicht so richtig glücklich in einer Partnerschaft sein, da man dann tatsächlich das auf den Partner projiziert, und die eigene Unausgelassenheit und die eigene Unzufriedenheit schnell anderen Leuten zuschiebt."

    Trotz des einfachen und eben mündlichen Erzähltons liegt hinter der saloppen Fassade des Romans doch ein wenig Tiefe. Erste Male, die mit dem Altern weniger werden. Der Verlust der jugendlichen Leichtigkeit, mit der man das Leben in den 20ern eben angeht. Auch diese gewisse Ernsthaftigkeit, vor der man plötzlich steht, wenn man erwachsen werden muss, verkörpert die Figur der Luise. Zunächst tritt sie als nörgelnde, zickige und sehr unzufriedene junge Frau in Erscheinung.

    Die Momente jedoch, in denen sie die Situationen ihres Zusammenseins mit Flo beschreibt, verleihen ihrem Charakter dann doch zumindest ein bisschen Leichtigkeit und Lebensfreude. Melancholisch, eindringlich und streckenweise sehr unterhaltsam gelingt es Sarah Kuttner, die Lebenskrise einer eigentlich Erwachsenen nachvollziehbar darzustellen.

    Trotzdem fällt es manchmal schwer, nicht die Geduld mit der ewig unzufriedenen Luise zu verlieren, die sich an manchen Stellen in Selbstmitleid zu suhlen scheint. Ob Luise ihr Leben, mit dem sie ja eigentlich doch ganz zufrieden ist, am Ende eben so akzeptiert, wie es ist, und ob sie und Flo wieder zusammenfinden, löst Sarah Kuttner nicht auf. Eigentlich schade, denn man erwartet doch den entscheidenden Knall, die Erkenntnis und die Wende in Luises Leben. So bleibt man trotz der Schilderung, wie tief gehend ganz normale Probleme sein können, ein wenig unbefriedigt zurück.

    Trotzdem ist dieser Roman keinesfalls eine seichte Liebesgeschichte, vielmehr kann man ihn als Milieustudie einer Generation auffassen, aufgewachsen in scheinbar gut situierten, abgesicherten Bedingungen, die es einem eben doch nicht so leicht machen, glücklich zu sein. "Wachstumsschmerz" ist eine pseudo-ernste Geschichte in leichtem Gewand, nett zu lesen, an manchen Stellen dann aber eben doch viel zu oberflächlich.

    Sarah Kuttner: Wachstumsschmerz
    Fischer Verlag
    280 Seiten, 16,99 Euro