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Von der Haupt- zur Werkrealschule

Baden-Württemberg hält zwar unbeirrt am starren dreigliedrigen Schulsystem fest, Hauptschulen soll es im Ländle aber nicht mehr geben. Zumindest sollen sie nicht mehr so heißen. Seit den letzten Sommerferien nennen sie sich "Werkrealschulen".

Von Manfred Götzke | 24.02.2011
    Sie hat schnell geschaltet, die Schulbuch-Industrie auf der Didacta. Fast jeder Verlag hat dieses Jahr eine neue kleine Abteilung an seinem Stand. In der werden Bücher und Aufgabenhefte für die neue Verheißung baden-württembergischer Schulpolitik vertrieben: die Werkrealschule. Was bis vor einem halben Jahr noch Hauptschule hieß, hat zumindest im Titel ein Upgrade bekommen und ist jetzt auch ein bisschen Realschule. Was sich inhaltlich für die Lehrer ändern soll in der neuen Schule ist noch nicht jedem vom ihnen klar:

    "Ich fühl mich nicht gut vorbereitet – es gibt auch gar kein Material."

    Entsprechend groß ist der Andrang an den Ständen von Klett, Schroedel und Co. In den Unterrichtshilfen, auf denen jetzt nicht mehr Hauptschule, sondern Werkrealschule steht, erhoffen sie sich Tipps für die individuellere Förderung, die es in der neuen Schule geben soll. Weiterbildungen und Lehrgänge von der Regierung gab es im vergangenen Jahr nämlich nur: sehr begrenzt. Für Gerhard Freund vom Lehrerverband VBE ein Skandal:

    "Wenn man Kollegien so kurz vorher vor den Kopf stößt mit so einer neuen Schulart, dann ist die Verunsicherung groß. Also wir wissen im Moment noch nicht, wie das läuft: Fortbildungen fehlen, Lehrertage fehlen, Fortbildungen zeichnen sich jetzt erst langsam ab am Horizont."

    Es musste ja alles sehr schnell gehen, für die Landesregierung. Jahrelang hatte sie an der Hauptschule unbeirrt festgehalten, trotz sinkender Anmelde-Zahlen und dem Resteschule-Image. Vor gut einem Jahr war der Druck von Opposition und Eltern, etwas zu ändern dann aber offenbar zu groß geworden. Innerhalb weniger Monate drückte sie ihr Konzept und den neuen Namen durch – bis heute werden immer wieder neue Details am Schulprogramm verändert. Ausbaden müssen es die Lehrer. Für den Schulleiter Toni Weber bedeutete das in den letzten Wochen und Monaten: Arbeit ohne Ende.

    Allein diese Tatsache: Zu Beginn des Schuljahres waren von 43 Lehrkräften 13 neu - und das zusätzlich zu dem neuen Schulsystem und zur Einführung des Ganztagsbetriebs. Dazu kommen unzählige Personen, die im Ganztagsbetrieb dazu kommen – die Schulsozialarbeiter, das alles ist unheimlich verwirrend und fordert unheimlich viel Arbeit und Engagement.

    Ein bisschen mehr als der Name hat sich nämlich schon verändert an der neuen Werkrealschule. So gibt es etwa kleinere Klassen – und damit die Möglichkeit, Kinder individueller zu fördern. Außerdem soll der Regelabschluss an der Werkrealschule nun die Mittlere Reife nach Klasse 10 sein – was auch den Namen erklärt. Und es gibt noch eine Besonderheit: In Klasse 10 kooperieren die Schulen mit Berufsfachschulen: Zwei Tage pro Woche tingeln die Schüler dorthin zum Unterricht. Wie und wo genau? Da müssen die Lehrer wieder passen:

    "Da haben wir noch gar keine Rückmeldung von den Berufsschulen, in welche können die Schüler mit welchen Qualifikationen, das alles ist noch nicht geklärt. In der Hinsicht sind wir nicht vorbereitet, auch wenn wir die Eltern jetzt beraten müssen. "

    Dass nun tatsächlich mehr Real- als Hauptschule in der neuen Schulform steckt, glaubt kaum ein Lehrer auf der Didacta. Die Werkrealschule besuchen nach wie vor nur die Schwächsten, das zeigen auch die jüngsten Anmeldezahlen, sagt VBE-Mann Freund.

    Wer einen Schnitt von mindestens 3,0 erreicht hat und auf die Realschule gehen kann, der geht auf die richtige Realschule.

    Und so macht sich auch nicht jeder Lehrer wegen der vermeintlich neuen Unterrichtsmethoden verrückt:
    "Also wenn ich meine Hauptschüler sehe, geht es immer nur um die Basics. Es geht selten um irgendwelche Höhenflüge in der Mathematik. Grundrechenarten, Umwandeln, Flächen – Volumen. Das kann man die ganzen Jahre machen von Jahrgang fünf bis zehn – Neuerungen: nie gehabt, nie gehört. Fachdidaktisch hat sich nichts geändert – für meine Ressourcen: Viel mehr kann ich nicht tun."

    "Reporter: "Für Sie ist es ein anderes Etikett – aber alles bleibt beim Alten?""

    "Die Kuh bleibt trotzdem eine Kuh – auch im Pferdestall."

    Vermutlich wird die Werkrealschule ein badenwürttembergisches Phänomen bleiben, wenn sie sich überhaupt über die Landtagswahl Ende März retten kann. An den Werkrealschulstand auf der Didacta haben sich auch ein paar bayerische Lehrer verirrt und fragen nur irritiert: "Müssen die Kinder da werken? – des gibt's bei uns net."