Beide Länder haben ungeachtet der schwierigen politischen Umstände nichts von ihrer Faszination auf westliche Leser eingebüßt. Die Frage ist: Haben die aktuellen Lebensumstände der Menschen dort irgendwelchen Einfluss auf die literarische Darstellung dieser beiden so ungleichen Länder und gibt es eine Darstellung jenseits der Klischees?
Eine Tausend Meilen weite Reise beginnt mit einem einzelnen Schritt.
Dem Sklavenmädchen Ping ist vom grausamen Drachenhüter des Kaisers befohlen worden, den Drachen zu füttern. Es war lange Zeit Tradition der chinesischen Kaiser, Drachen zu halten, sie repräsentierten Stärke und Reichtum. Doch der jetzige Kaiser hat die Drachen wegschaffen lassen in die entlegendste Provinz, in die tiefsten Verliese und sie in die Obhut eines finsteren Gesellen gegeben.
Ein Drache nach dem anderen ist dort gestorben. Ein einziger Drache hat in den unterirdischen Verliesen überleben können, bewacht von dem faulen und heimtückischen Drachenhüter, der nur darauf wartet, dass auch der allerletzte Drache noch stirbt.
Als Ping erfährt, dass der Kaiser diesen letzten seiner Art an Jäger verkaufen will, trifft sie eine Entscheidung. Obwohl sie Angst vor dem Furcht erregenden Tier hat, will sie es doch nicht hinnehmen, dass es getötet werden soll. Ping lässt den letzten Drachen frei und flieht mit ihm.
"Hüterin des Drachens" heißt Carole Wilkinsons Roman, denn Ping und niemand sonst kümmert sich um den Drachen. Sie ist der wahre Drachenhüter und nicht der unfreundliche, stets, betrunkene Mann, den der Kaiser dazu ernannt hat.
Der Drache Danzi besteht darauf, dass sie auf der Flucht einen seltsamen Stein mitnehmen. Dieser Stein, der Drachenstein, ist etwas ganz besonderes und unter allen Umständen, unter Lebensgefahr will der zu Tode erschöpfte Drache ihn ans Meer bringen. Der Drache kann nicht sprechen. Und dennoch kann Ping ihn verstehen:
"Wo willst Du hin?", fragte das Mädchen. Der Drache gab metallische Geräusche von sich. In ihrem Kopf bildete sich ein Wort: "Höhle".
Es begann zu schneien. Das Mädchen hatte keine Wahl, also folgte sie ihm…Sie fror erbärmlich und ihr Kopf tat ihr weh. Sie schmiegte sich an den Drachen. Sein schuppiger Körper fühlte sich hart und rauh an und er roch nicht besonders angenehm – wie eine Mischung aus überreifen Pflaumen und Fischbrühe -, aber er strahlte Wärme aus.
Das Mädchen und der Drache Danzi erleben unzählige Abenteuer. Danzi kann die Gestalt wechseln - aber das können die bösen Geister auch und so mancher, der ihnen freundlich gesonnen scheint, ist in Wirklichkeit ein böser Geist. Aber auch echte Hilfe erfahren sie, meist von einfachen, armen Menschen, einer Bauernfamilie, einem jungen Gelehrten.
Sie lernen den erst 15-jährigen Kaiser Liu Che kennen. Sein Vater, der die Drachen in Verliesen gehalten hatte, ist inzwischen gestorben. Das mittellose Mädchen wird zur Vertrauten des neuen Kaisers. Er will den Drachen in seinen Gärten behalten. Wird sie sich für den Freund und dessen Freiheit entscheiden oder für ein sorglosen Leben im Kaiserpalast?
Manchmal sieht das, was näher zum Ziel führt, wie ein Rückschritt aus.
Die Australierin Carolin Wilkinson hat eine spannende Abenteuergeschichte geschrieben, die in Australien mehrfach ausgezeichnet worden ist. Und auch eine Entwicklungsgeschichte. Denn das Mädchen Ping wird von Kapitel zu Kapitel selbstbewusster, wird zu einer starken Persönlichkeit.
Sie war nicht mehr das kleine, ängstliche Mädchen, das sich so sehr vor allem Unbekannten fürchtete, dass es lieber ein elendes Sklavenleben auf sich nahm, als einen neuen Anfang zu wagen. Ping trug jetzt die Verantwortung für den letzten Drachen. Sie wandte dem Meer den Rücken zu. Ihr Ziel lag anderswo und sie freute sich auf die Reise.
"Hüterin des Drachen" spielt im ersten Jahr der Regentschaft des Kaisers Liu Che, auch Wudi genannt, 141 vor Christus. Carole Wilkinson stellt die damaligen Lebensumstände ungeschönt dar: Das unsäglich mühsame Leben der Bauern, ihre nur allzu berechtigte Angst vor der Obrigkeit, ihren fatalen Aberglauben. Und dem gegenüber die Allmacht des Kaisers und seiner Minister. Kaiser Liu Che gilt als einer der wichtigsten chinesischen Kaiser. Allerdings ist er nicht so sehr als gütiger, weiser Philosoph in die Annalen der Geschichte eingegangen, sondern als militärischer Stratege, unter dessen Herrschaft China expandierte. Liu Che hat China geeint – auch und vor allem mit dem Schwert.
Vor diesem ganz realen Hintergrund spielt ihre Phantasiegeschichte. Diese Verschränkung von geschichtlichen Fakten und Phantasy ist Carole Wilkinson gut gelungen. Auch märchenhafte Elemente fließen mit ein. Denn anders als märchenhaft ist es kaum zu beschreiben, dass ein kleines Mädchen die Vertraute des Kaisers wird und dass sie sogar wagt, sich ihm zu widersetzten.
Neben realen Darstellungen, märchenhaften Begebenheiten und der Phantasyhandlung gibt es noch ein weiteres Element, dass den Roman, wie einen roten Faden durchzieht: die Weisheiten des Tao Te King.
Die scharf geschliffene Klinge ist nicht die Waffe des Weisen.
Das ist vielmehr das Wort. Carole Wilkinson hat das Tao Te King studiert, jenes Buch, in dem Lao Tse im 7. Jahrhundert vor Christus seine Weisheiten niedergeschrieben hatte. Der Drache spricht die berühmten Weisheiten Lao Tses aus, er führt die jungen Leser behutsam ein in eine chinesische Gedankenwelt, die über 2500 Jahre alt ist.
Ein pralles Buch, eine spannender Roman also ist Carole Wilkinson "Hüter des Drachens". Und wer will, kann viel mehr herauslesen.
Auch "Im Zeichen des Qin" von L.G. Bass ist ein Phantasieroman und gleichzeitig ein Kung Fu Roman, wenn es dieses Genre gibt, der im alten China spielt und zwar im 15. Jahrhundert.
Nach einem Vulkanausbruch bevölkern furchtbare Dämonen, die jahrhundertelang eingesperrt waren, die Erde. Fast zur selben Zeit gebiert die Kaiserin einen Sohn. Der Kaiser wird gerufen. Stolz betrachtet er sein hübsches Kind.
Der Säugling wandte den Kopf, um zu lauschen. Kaiser Han wich entsetzt zurück und wurde bleich wie ein Geist. Auf der linken Wange des Prinzen prangte ein winziges tintenschwarzes Muttermal – eine genaue Abbildung des Zeichens Qin ... Das Qin war das Erkennungszeichen der Banditen aus dem Sumpf des Mondschattens, der Bande, die sich der Herrschaft des Kaisers am stärksten widersetzte. Das eigene Fleisch und Blut des Kaisers war deutlich mit dem Zeichen der Banditen geboren worden.
Die Kaiserin wird vom Hof gejagt. Und der Kaiser will sein eigens Kind töten lassen, bevor es auf den Thron steigen kann. Deshalb flieht die Amme mit dem Kind. Das Zeichen des Qin aber hat für die guten Mächte, die Himmelsbewohner, eine ganz andere Bedeutung.
Mit diesem Zeichen, so lautete die Weissagung, werde einst die Reinkarnation des Sternenfürsten geboren. Nur er kann die Erde vor der Zerstörung durch Yamu, den Herrn der Finsternis erretten und nur er kann die Geheimnisse der zwölf Kung Fu Rollen entschlüsseln. Nur er kann die Bauern und Fischer von ihrem unermesslichen Leid erlösen. Die Grausamkeit der kaiserlichen Steuereintreiben kennt keine Grenzen. Selbst da, wo es nichts mehr zu holen gibt, pressen sie noch etwas heraus. Ein alter Mann erzählt dem Sternenfürsten davon:
Kein Regen bedeutet keine Ernte. Aber euer Steuereintreiber kam trotzdem. Er kroch wie ein Skorpion über unsere trockenen Felder und besteuerte uns trotzdem…Und als euer Skorpion gegangen war, kamen tausend Heuschrecken… Im Frühling kam der Skorpion schon wieder zu uns. "Was wollt ihr hier?" fragten wir ihn…Und wisst ihr, was er gesagt hat – zu uns, die wir gesehen hatten, wie das Blut unserer Eltern und Kinder in die rote Erde rann? Er sagte: "Blut aus Steinen pressen."
Carole Wilkinson hatte sich vom Tao Te King inspirieren lassen, L.G. Bass liebt ganz offensichtlich "Die Reise nach Westen", einen der vier großen klassischen chinesischen Romane. Der Affenkönig ist Begleiter des Mönches, der den Buddhismus von Indien nach China bringen wird. Er ist mutig, ungestüm, weise und humorvoll. Es gibt kaum eine mythologische Figur, die in China, ja in Asien bekannter ist als dieser Affenkönig, Hanuman heißt er in Indien.
L.G. Bass nun macht einen Affen zu einer ihrer Hauptfiguren, er ist der Begleiter des Sternenfürsten. Es zeugt von einigem Selbstbewusstsein der Autorin, eine Figur nach diesem großen Vorbild zu schaffen. Aber das Selbstbewusstsein ist übertrieben, die Handlung von "Im Zeichen des Qin" krude und wirr.
Ungezählte Protagonisten treten auf, deren Namen sich kein Leser wird merken können. Es wird gekämpft und gekämpft und dann noch einmal gekämpft. L.G. Bass liebt die chinesische Kampfkunst. Doch kaum haben sich die Kämpfer erhoben, haben die Kraft eines Tigers, eines Drachen angenommen, kaum fliegen sie und kreuzen die Klingen, da werden die Kämpfe auch schon brutal und profan. Blut spritzt, Köpfe fliegen.
Die Erzählperspektiven ändern sich so schnell, dass man kaum nachkommen kann. Wer erzählt gerade? Wer kämpft da auf wessen Seite? Wo befinden wir uns? In der Hölle ? Im Himmel? In einem Wald auf der Erde?
Zu allem Überfluss aber ist man nach 390 Seiten anstrengender Lektüre der Rettung Chinas nicht unbedingt näher gekommen. Erst jetzt ist die Zeit reif dafür, die Dämonen aus der Wüste, den Bergen, dem Wald und den Meeren herbeizurufen. Und dann wird, in einem zweiten und einem dritten Band das Abenteuer weitergehen.
Dann wird weiter im Himmel und in der Hölle und auf der Erde gekämpft werden. Und dabei hatte der unsterbliche Bettler doch schon den perfekten Aphorismus parat:
Es ist ein Wunder über Wasser zu gehen und in den Himmel zu fliegen, aber das wahre Wunder ist es, auf Erden zu gehen.
Ein bisschen mehr Erdung hätte L.G. Bass Chinaroman "Im Zeichen des Qin" gut getan.
Auch Jeff Stones Roman "Die fünf Gefährten und der Kampf des Tigers" ist ein Roman, der im alten China spielt, 1650. Stone ließ sich von einer alten Legende leiten, der Legende nach hatten nur fünf Kriegermönche die völlige Zerstörung des berühmten Shaolin Tempels im 17. Jahrhundert überlebt. Vor allem aber ist es ein Kung Fu - Roman, spannend für alle, die martial arts lieben und weniger Wert auf einen guten Stil, eine flüssige Geschichte legen.
Stone beschreibt die verschiedenen Kampfstile von fünf jungen Mönchen, Waisenknaben, die im Kloster erzogen worden sind. Sie nennen sich Brüder, Brüder, die Seite an Seite kämpfen. Jeder von ihnen beherrscht eine andere Art von Kung Fu, jeder einen anderen Stil, der einem Tier gleicht. Fu ist ein Tiger mit Haut und Haaren. Long, der kluge dreizehnjährige, ist der muskulöse, kräftige Drache. Malao ist der flinke, schelmenhafte Affe, der geschickt nach oben springen kann. Seh, der ernste zwölfjährige, ist die lautlos gleitende Schlange. Hok ist der schweigsame, federleichte Kranich mit dem schmalen Hals.
Ihr Kloster wird niedergebrannt. Alle Mönche ermordet. Das wird ziemlich detailgetreu und ziemlich grausam beschrieben. Der sterbende Großmeister schickt die fünf in die Welt hinaus, um die Geheimnisse ihrer Herkunft zu ergründen.
Überwindet die Vergangenheit, denn es ist für eure Zukunft.
Nur wenn ihnen das gelingt, dann könnten sie Ying, den Anführer der Mörderbande, die unter dem Schutz des Kaisers steht, besiegen. Ying war einst ein Mitbruder, der sich voller Hass vom Kloster abgewandt hat. Ying möchte ein anderer sein als der, der er ist. Ying ist ein Adler, der gern ein Drache wäre. Er hat seine Zähne spitz zuschleifen lassen und seine Zunge gespalten. Aber seine Fingernägel und Fußzehen sind Adlerklauen geblieben. Er will die Schriftrollen aus der Bibliothek stehlen, in denen die Kung Fu Techniken niedergeschrieben sind.
Wenn die Rollen verschwanden, verschwand auch ihre Kampfkunst. Und zwar für immer.
Die fünf Brüder müssen fliehen. Zunächst gelingt es ihnen, die Rollen mitzunehmen. Yings Männer werden sie ihnen wieder abjagen. Hilfe erhält Fu, der wie ein Tiger kämpft, von einem wirklichen Tiger – und von einem seltsamen Mann, einem Betrunkenen.
Für einen kurzen Moment wurde der behäbige Betrunkene so beweglich wie eine Katze… Zur großen Verblüffung der Soldaten waren die unregelmäßigen Bewegungen des Betrunkenen unmöglich mit dem Speer oder Schwert zu treffen, und jedes Mal, wenn er gegen einen Mann stolperte, ging dieser mit einem gewaltigen Schlag zu Boden…
Der Betrunkene blickte auf und sah in Fus Augen. Irgendetwas in Fus Herzen rührte sich. Fu erstarrte. So ein Gefühl hatte er noch nie in seinem Leben gehabt. Und auch der Betrunkene erstarrte. Etwas Mächtiges geschah zwischen den beiden… In diesem Moment hatte Fu plötzlich gewusst, dass der betrunkene Mann ihn liebte.
Das klingt alles wie aus einer Seifenoper. Und wäre allein schon ärgerlich genug. Noch ärgerlicher aber ist, dass in "Die Gefährten des Tigers" keine einzige Frage beantwortet wird. Wer ist der Betrunkene? Wo sind die Schriftrollen? Wer ist auf wessen Seite? Wo kommen die fünf Mönche denn nun her? Das Buch endet genau an der Stelle, an der es am spannendsten ist. Ein echter Cliffhänger und auch das erinnert an Seifenopern. Es heißt einfach lapidar: Das Abenteuer der fünf Gefährten geht weiter.
Auf Jeff Stones Internetseite erfahren wir, was der Verlag uns vorenthält, dass nämlich Jeff Stone seine Geschichte auf sieben Bände angelegt hat, und dabei jeweils auf eine Hauptgestalt eingeht, auf die fünf Mönche, also den Tiger, die Schlange, den Affen, den Kranich, den Drachen und ihre beiden Widersacher. Und dieser erste Roman heißt im englischen Original "Tiger".
Wer denkt, ärgerlicher geht es nicht mehr, sieht sich spätestens dann getäuscht, wenn er "Die Dämonen von Dong Pe" gelesen hat. Der Carlsen Verlag hat das bereits 1979 erschienene Buch von Peter Dickinson ausgegraben und ins Deutsche übersetzten lassen.
Auch dieser Roman beginnt mit einem Massaker. Eine Missionsstation wird von Aufständischen dem Erdboden gleichgemacht. Nur dem Sohn des amerikanischen Missionars, Theodor, gelingt es zu fliehen. Er trifft auf die exzentrische, stark geschminkte Mrs. Jones. Die Schauspielerin will auf dieser Reise den Geliebten und das gemeinsame Kind vergessen und hat sich auf die Suche nach seltenen Pflanzen gemacht. Begleitet wird sie von dem Chinesen Lung, der permanent Sätze wie diesen von sich gibt:
Keine Zeit für Graben. Müssen Gras für Pferde finden und Platz für Lager.
Eines Abends hört der gottesfürchtige Theodor ein neckisches Lachen:
Es dauerte mehrere Stunden, bis er sich eingestehen wollte, dass Lung und Mrs. Jones Liebhaber waren. (Vor sich selbst nannte er es Unzucht treiben) Nach dem ersten kurzen Schock – eigentlich mehr ein Gefühl des Unbehagens – … hatte er sich eingeredet, sich zu irren. Er schämte sich sogar für seine sündigen Gedanken.
Die unzüchtigen Nächte bleiben nicht ohne Folgen. Mrs. Jones wird schwanger. In Tibet hat macht sich gerade auf die Suche nach der Inkarnation des verstorbenen Lama Toijing Rinpoche gemacht – und was liegt näher, als im ungeborenen Kind einer ledigen englischen Mutter und eines chinesischen Vaters den Lama Toijing zu Rinpoche zu vermuten? Man bringt die drei Reisenden ins Kloster Dong Pe. Einzig Theo ist verwirrt.
Am besten wäre es natürlich, wenn es kein Baby gäbe - ein in Sünde und außerhalb der heiligen Ehe gezeugtes Kind, das dazu verdammt wäre, in einem heidnischen Glauben erzogen zu werden.
Theo versucht, auf andere Gedanken zu kommen. Er freundet sich mit einem Englisch sprechenden Major an, der seit Jahren im Kloster lebt und dort der Putzmann ist. Theo hilft ihm bei der Arbeit.
Mehr als eine Stunde kletterte er zwischen den Götzenbildern herum und bürstete und polierte, während der Major unten mit seinen Filzschuhen den Fußboden wienerte, Gebete murmelte, die Beigaben der Götzenbilder erläuterte.
Und so fort. Zwar ändert sich Mrs. Jones im Laufe der Zeit, wächst nach der Geburt ihres Kindes in ihre neue Rolle als Mutter des Lama hinein, verlässt den vor Eifersucht rasenden Lung, zwar begreift auch Theo, dass es neben seinem auch noch andere Glauben gibt, aber der seine ist doch der Wertvollste. "Die Dämonen von Dong Pe" ist zwar gut und spannend geschrieben, aber der fundamentalchristliche Grundton ist unüberhörbar und unerträglich.
Ebenfalls in Tibet spielt Iris Lemanczyks "Das verlorene Land – eine Flucht aus Tibet". Die Grausamkeiten der chinesischen Besatzer in China haben nicht vor den Klostermauern aufgehört – längst sind sie Alltag geworden. Als die tibetischen Zwillinge Tashi und Tenzin noch einen Bruder bekommen, steht ein chinesischer Soldat vor der Tür. Er gibt den Kindern und ihren Eltern genau eine Stunde Zeit, ihre Sachen zu packen. Dann reißt ein gelber Bulldozer das Haus nieder. Das Verhalten der Familie widerspricht der Ein – Kind-Politik.
Die tibetischen Kinder werden verhöhnt. Besonders schlimm ist es in der Schule. Der Lehrer beschimpft sie als tibetische Bauernlümmel, denen er die Schwatzhaftigkeit schon austreiben wird. Er lässt sie stundenlang in einem Bottich mit eiskaltem Wasser knien. Zwar gibt es bei Iris Lemanczyk auch den ein oder anderen guten Chinesen, etwa das Ehepaar Jiang , die Freundin Li. Die Tibeter hingegen sind allesamt gütige, gläubige Menschen, die den Dalai Lama verehren.
Durch Hass kommt nur Gewalt in die Welt. Und Gewalt ist nicht gut.
Sagt der Dalai Lama und dass man selbst die lieben solle, die einem Leid zufügten.
"Wunderbar", freut sich der Großvater. "Es ist das Wichtigste, wonach wir leben sollten: kein Hass, keine Gewalt… Wenn sich das alle Menschen zu Herzen nehme würden, euer Lehrer zum Beispiel, wäre die Erde wirklich ein Paradies."
Eines Tages schreibt Tashi "Freiheit für Tibet" auf ein Blatt Papier. Der Lehrer ist außer sich. Tashi soll in ein Umerziehungslager. Da beschließen die Kinder zu fliehen. Nach Indien wollen sie, über den Himalaya.
Die Eltern sind stolz auf sie. Die Zwillinge schnüren die dünnen Halbschuhe, packen eine Taschenlampe und ein wenig Proviant ein. Ihr Unterfangen ist gefährlich, lebensgefährlich. Aber überall im verschneiten Himalaya treffen sie auf Menschen, die ihnen helfen: Der Mönch Ugen erzählt ihnen, was die Klöster in Tibet früher waren: Zentren der tibetischen Kultur, Schulen und Universitäten. Und er gibt ihnen Geld, damit sie mit dem Bus nach Llhasa fahren können.
In einem anderen Kloster erklärt der Mönch Tsering ihnen die Reiseroute und schenkt ihnen ein Bild des Dalai Lama. Ein Lastwagenfahrer schmuggelt sie auf der Pritsche seines Wagens vorbei an den Kontrollposten. Die alte Meto, die allein in einer winzigen Hütte auf einer Alm lebt, nimmt die halberfrorenen Zwillinge ein paar Tage bei sich auf und rettet so der fiebernden Tashi das Leben. Sie schenkt ihnen Geld – und ein kleines Hündchen.
Mit einer Nomadenfamilie ziehen sie weiter. Lastenträger helfen ihnen über die höchsten Berge. Als sie Kathmandu endlich erreichen, ist Tenzins Zeh erfroren. Aber nichts kann die Kinder davon abhalten, weiter nach Dharamsla zu fahren, zum Dalai Lhama. Schließlich stehen sie ihm gegenüber und er spricht zu ihen:
Ihr habt einen langen Weg hinter Euch gebracht… und ihr habt es hier hergeschafft. Manche von Euch glauben vielleicht, dass sie jetzt am Ziel sind. Aber das müsst ihr euch merken: Euer Weg geht weiter. Ihr braucht neue Ziele… Seid willkommen in der Freiheit.
Ganz realistisch und recht einfach erzählt Iris Lemancyk die tränenrührige Geschichte zweier Kinder, die bereit sind, für die Freiheit ihres Glaubens ihr Leben zu riskieren. Gütige und fromme Menschen helfen ihnen auf ihrer Flucht. Der bisweilen durchaus spannende Abenteuerroman ist aber in einer geradezu aufreizend schlichten Sprache geschrieben. Wer jungen Lesern die tibetischen Probleme wirklich nahe bringen will, sollte schon ein wenig anspruchsvoller schreiben.
Lange Zeit haben Mythen und Märchen das westliche Chinabild bestimmt. Bereits im 17. Jahrhundert erschienen in Europa Reiseberichte aus China. Ein Jahrhundert später waren Chinoiserien die große Mode. Und auch Tibet ist ein Land, das in Europa seit jeher als fremd und geheimnisvoll gilt. Bis heute. Kein Wunder also, wenn Romane, die in China oder Tibet spielen, derzeit en vogue sind.
So mancher Autor aber benutzt China oder Tibet nur als Folie für seinen Roman, als modischen Hintergrund. Man sollte schon so gründlich recherchieren wie Carole Wilkinson, wenn man die jugendlichen Leser wirklich hinführen will zu fremden Ländern. Sonst bleibt es bei Klischees, Versatzstücken oder – wenn es ganz ärgerlich wird – bei einer überheblichen, von keinem Selbstzweifel getrübten Weltsicht.
Er wollte Pferde malen, nichts als Pferde. Dass Seltsame war, dass er sie stets angebunden malte. "Warum sind alle Deine Pferde angebunden?", fragten ihn die anderen. Han Gan sagte: "Weil ich nicht möchte, dass sie mir davon laufen."
Kommen wir daher zum Schluss zu einem, der China kennen muss, denn er ist Chinese: Chen Jianghong. Der in Paris lebende Maler und Schriftsteller hat für sein Bilderbuch: "Han Gan und das Wunderpferd" den Jugendliteraturpreis erhalten. Er hat die runden, üppigen Tang-Zeit-Pferde auf Seide gezeichnet, Rot-, Braun- und Beige-Töne überwiegen. Seine Tuschmalereien sind kleine Kunstwerke in einem Buch über die Magie der Kunst, die über die schnöde Realität triumphiert.
Auch Chen Jianghong greift einen Mythos aus seiner Heimat auf. Der Maler Han Gan hat in der Tang-Zeit gelebt, im 8. Jahrhundert. Cheng Jianghongs Maler kann ein feuriges Schlachtross so gut zeichnen, dass es lebendig wird. Der Krieger, der auf diesem Pferd reitet ist unbesiegbar. Aber das Pferd kann den Krieg, das Leid, die Gewalt nicht länger ertragen. Dicke Tränen fließen aus seinen Augen. Es wirft den Reiter ab und kehrt zurück auf die Leinwand Han Gans.
Auch die Tigermutter in Han Gans neuem Bilderbuch "Der Tigerprinz" weint. Man hat ihr Junges getötet, und seitdem streicht sie um die Dörfer der Menschen auf der Suche nach Beute. Um sie zu befrieden, schickt der König ihr seinen Sohn Hen. Die Tigerin ist überwältigt von dem Zutrauen des kleinen Prinzen und tötet ihn nicht. Sie lehrt ihn, im Wald zu überleben, bis seine Eltern ihn zurückfordern. Wenn er erwachsen ist, wird er ihr seinen Erstgeborenen bringen, damit er alles von ihr lernt, was ein Tiger können und wissen muss. Dann kann er ein guter König werden.
Das mag ein bisschen kitschig sein und ein bisschen nach Dschungelbuch riechen, aber die Geschichte beruht auf einer Jahrhunderte alten Legende. Überdies machen die großartigen Zeichnungen Chen Jiangchongs den sentimentalen Plot mehr als wett. "Der Tigerprinz" ist im Stile chinesischer Tuschzeichnungen gehalten, groß und mächtig und düster ist die Natur, sind Felsen, Flüsse und Wälder, kräftig sind die Pinselstriche - winzig wie ein Püppchen ist der kleine Prinz. Wahrhaft Angst einflössend ist die vor Kraft strotzende, mächtige Tigerin.
Chen Jianghongs Bücher sind wahrlich nicht nur für Kinder. Sie bringen den Lesern chinesische Mythen, chinesisches Denken und chinesische Kunst näher als so mancher dicke Roman.
Carole Wilkinson:
Hüterin des Drachen
Deutsch von Peter Knecht; Dressler, 315 Seiten, Euro 13,90
L.G. Bass:
Im Zeichen des Qin
Aus dem Amerikanischen von Johanna Ellsworth, Arena, 400 Seiten, Euro 16,90
Peter Dickinson:
Die Dämonen von Dong Pe
Aus dem Englischen von Henning Ahrens, Carlson, 320 Seiten, Euro 16,00
Jeff Stone:
Die fünf Gefährten und der Kampf des Tigers
Aus dem Amerikanischen von Christiane Gallus, Loewe, 211 Seite, Euro 8,90
Iris Lemanczyk:
Das verlorene Land. Eine Flucht aus Tibet
Mit Fotos von Bruno Boll, Ravensburger, 255 Seiten, Euro 10,95
Chen Jianghong:
Han Gan und das Wunderpferd
Aus dem Französischen von Erika und Karl A. Klewer, Erika und Karl A. Klewer, Euro 16,80
Chen Jianghong:
Der Tigerprinz
Aus dem Französischen von Erika und Karl A. Klewer, Euro 16,80
Eine Tausend Meilen weite Reise beginnt mit einem einzelnen Schritt.
Dem Sklavenmädchen Ping ist vom grausamen Drachenhüter des Kaisers befohlen worden, den Drachen zu füttern. Es war lange Zeit Tradition der chinesischen Kaiser, Drachen zu halten, sie repräsentierten Stärke und Reichtum. Doch der jetzige Kaiser hat die Drachen wegschaffen lassen in die entlegendste Provinz, in die tiefsten Verliese und sie in die Obhut eines finsteren Gesellen gegeben.
Ein Drache nach dem anderen ist dort gestorben. Ein einziger Drache hat in den unterirdischen Verliesen überleben können, bewacht von dem faulen und heimtückischen Drachenhüter, der nur darauf wartet, dass auch der allerletzte Drache noch stirbt.
Als Ping erfährt, dass der Kaiser diesen letzten seiner Art an Jäger verkaufen will, trifft sie eine Entscheidung. Obwohl sie Angst vor dem Furcht erregenden Tier hat, will sie es doch nicht hinnehmen, dass es getötet werden soll. Ping lässt den letzten Drachen frei und flieht mit ihm.
"Hüterin des Drachens" heißt Carole Wilkinsons Roman, denn Ping und niemand sonst kümmert sich um den Drachen. Sie ist der wahre Drachenhüter und nicht der unfreundliche, stets, betrunkene Mann, den der Kaiser dazu ernannt hat.
Der Drache Danzi besteht darauf, dass sie auf der Flucht einen seltsamen Stein mitnehmen. Dieser Stein, der Drachenstein, ist etwas ganz besonderes und unter allen Umständen, unter Lebensgefahr will der zu Tode erschöpfte Drache ihn ans Meer bringen. Der Drache kann nicht sprechen. Und dennoch kann Ping ihn verstehen:
"Wo willst Du hin?", fragte das Mädchen. Der Drache gab metallische Geräusche von sich. In ihrem Kopf bildete sich ein Wort: "Höhle".
Es begann zu schneien. Das Mädchen hatte keine Wahl, also folgte sie ihm…Sie fror erbärmlich und ihr Kopf tat ihr weh. Sie schmiegte sich an den Drachen. Sein schuppiger Körper fühlte sich hart und rauh an und er roch nicht besonders angenehm – wie eine Mischung aus überreifen Pflaumen und Fischbrühe -, aber er strahlte Wärme aus.
Das Mädchen und der Drache Danzi erleben unzählige Abenteuer. Danzi kann die Gestalt wechseln - aber das können die bösen Geister auch und so mancher, der ihnen freundlich gesonnen scheint, ist in Wirklichkeit ein böser Geist. Aber auch echte Hilfe erfahren sie, meist von einfachen, armen Menschen, einer Bauernfamilie, einem jungen Gelehrten.
Sie lernen den erst 15-jährigen Kaiser Liu Che kennen. Sein Vater, der die Drachen in Verliesen gehalten hatte, ist inzwischen gestorben. Das mittellose Mädchen wird zur Vertrauten des neuen Kaisers. Er will den Drachen in seinen Gärten behalten. Wird sie sich für den Freund und dessen Freiheit entscheiden oder für ein sorglosen Leben im Kaiserpalast?
Manchmal sieht das, was näher zum Ziel führt, wie ein Rückschritt aus.
Die Australierin Carolin Wilkinson hat eine spannende Abenteuergeschichte geschrieben, die in Australien mehrfach ausgezeichnet worden ist. Und auch eine Entwicklungsgeschichte. Denn das Mädchen Ping wird von Kapitel zu Kapitel selbstbewusster, wird zu einer starken Persönlichkeit.
Sie war nicht mehr das kleine, ängstliche Mädchen, das sich so sehr vor allem Unbekannten fürchtete, dass es lieber ein elendes Sklavenleben auf sich nahm, als einen neuen Anfang zu wagen. Ping trug jetzt die Verantwortung für den letzten Drachen. Sie wandte dem Meer den Rücken zu. Ihr Ziel lag anderswo und sie freute sich auf die Reise.
"Hüterin des Drachen" spielt im ersten Jahr der Regentschaft des Kaisers Liu Che, auch Wudi genannt, 141 vor Christus. Carole Wilkinson stellt die damaligen Lebensumstände ungeschönt dar: Das unsäglich mühsame Leben der Bauern, ihre nur allzu berechtigte Angst vor der Obrigkeit, ihren fatalen Aberglauben. Und dem gegenüber die Allmacht des Kaisers und seiner Minister. Kaiser Liu Che gilt als einer der wichtigsten chinesischen Kaiser. Allerdings ist er nicht so sehr als gütiger, weiser Philosoph in die Annalen der Geschichte eingegangen, sondern als militärischer Stratege, unter dessen Herrschaft China expandierte. Liu Che hat China geeint – auch und vor allem mit dem Schwert.
Vor diesem ganz realen Hintergrund spielt ihre Phantasiegeschichte. Diese Verschränkung von geschichtlichen Fakten und Phantasy ist Carole Wilkinson gut gelungen. Auch märchenhafte Elemente fließen mit ein. Denn anders als märchenhaft ist es kaum zu beschreiben, dass ein kleines Mädchen die Vertraute des Kaisers wird und dass sie sogar wagt, sich ihm zu widersetzten.
Neben realen Darstellungen, märchenhaften Begebenheiten und der Phantasyhandlung gibt es noch ein weiteres Element, dass den Roman, wie einen roten Faden durchzieht: die Weisheiten des Tao Te King.
Die scharf geschliffene Klinge ist nicht die Waffe des Weisen.
Das ist vielmehr das Wort. Carole Wilkinson hat das Tao Te King studiert, jenes Buch, in dem Lao Tse im 7. Jahrhundert vor Christus seine Weisheiten niedergeschrieben hatte. Der Drache spricht die berühmten Weisheiten Lao Tses aus, er führt die jungen Leser behutsam ein in eine chinesische Gedankenwelt, die über 2500 Jahre alt ist.
Ein pralles Buch, eine spannender Roman also ist Carole Wilkinson "Hüter des Drachens". Und wer will, kann viel mehr herauslesen.
Auch "Im Zeichen des Qin" von L.G. Bass ist ein Phantasieroman und gleichzeitig ein Kung Fu Roman, wenn es dieses Genre gibt, der im alten China spielt und zwar im 15. Jahrhundert.
Nach einem Vulkanausbruch bevölkern furchtbare Dämonen, die jahrhundertelang eingesperrt waren, die Erde. Fast zur selben Zeit gebiert die Kaiserin einen Sohn. Der Kaiser wird gerufen. Stolz betrachtet er sein hübsches Kind.
Der Säugling wandte den Kopf, um zu lauschen. Kaiser Han wich entsetzt zurück und wurde bleich wie ein Geist. Auf der linken Wange des Prinzen prangte ein winziges tintenschwarzes Muttermal – eine genaue Abbildung des Zeichens Qin ... Das Qin war das Erkennungszeichen der Banditen aus dem Sumpf des Mondschattens, der Bande, die sich der Herrschaft des Kaisers am stärksten widersetzte. Das eigene Fleisch und Blut des Kaisers war deutlich mit dem Zeichen der Banditen geboren worden.
Die Kaiserin wird vom Hof gejagt. Und der Kaiser will sein eigens Kind töten lassen, bevor es auf den Thron steigen kann. Deshalb flieht die Amme mit dem Kind. Das Zeichen des Qin aber hat für die guten Mächte, die Himmelsbewohner, eine ganz andere Bedeutung.
Mit diesem Zeichen, so lautete die Weissagung, werde einst die Reinkarnation des Sternenfürsten geboren. Nur er kann die Erde vor der Zerstörung durch Yamu, den Herrn der Finsternis erretten und nur er kann die Geheimnisse der zwölf Kung Fu Rollen entschlüsseln. Nur er kann die Bauern und Fischer von ihrem unermesslichen Leid erlösen. Die Grausamkeit der kaiserlichen Steuereintreiben kennt keine Grenzen. Selbst da, wo es nichts mehr zu holen gibt, pressen sie noch etwas heraus. Ein alter Mann erzählt dem Sternenfürsten davon:
Kein Regen bedeutet keine Ernte. Aber euer Steuereintreiber kam trotzdem. Er kroch wie ein Skorpion über unsere trockenen Felder und besteuerte uns trotzdem…Und als euer Skorpion gegangen war, kamen tausend Heuschrecken… Im Frühling kam der Skorpion schon wieder zu uns. "Was wollt ihr hier?" fragten wir ihn…Und wisst ihr, was er gesagt hat – zu uns, die wir gesehen hatten, wie das Blut unserer Eltern und Kinder in die rote Erde rann? Er sagte: "Blut aus Steinen pressen."
Carole Wilkinson hatte sich vom Tao Te King inspirieren lassen, L.G. Bass liebt ganz offensichtlich "Die Reise nach Westen", einen der vier großen klassischen chinesischen Romane. Der Affenkönig ist Begleiter des Mönches, der den Buddhismus von Indien nach China bringen wird. Er ist mutig, ungestüm, weise und humorvoll. Es gibt kaum eine mythologische Figur, die in China, ja in Asien bekannter ist als dieser Affenkönig, Hanuman heißt er in Indien.
L.G. Bass nun macht einen Affen zu einer ihrer Hauptfiguren, er ist der Begleiter des Sternenfürsten. Es zeugt von einigem Selbstbewusstsein der Autorin, eine Figur nach diesem großen Vorbild zu schaffen. Aber das Selbstbewusstsein ist übertrieben, die Handlung von "Im Zeichen des Qin" krude und wirr.
Ungezählte Protagonisten treten auf, deren Namen sich kein Leser wird merken können. Es wird gekämpft und gekämpft und dann noch einmal gekämpft. L.G. Bass liebt die chinesische Kampfkunst. Doch kaum haben sich die Kämpfer erhoben, haben die Kraft eines Tigers, eines Drachen angenommen, kaum fliegen sie und kreuzen die Klingen, da werden die Kämpfe auch schon brutal und profan. Blut spritzt, Köpfe fliegen.
Die Erzählperspektiven ändern sich so schnell, dass man kaum nachkommen kann. Wer erzählt gerade? Wer kämpft da auf wessen Seite? Wo befinden wir uns? In der Hölle ? Im Himmel? In einem Wald auf der Erde?
Zu allem Überfluss aber ist man nach 390 Seiten anstrengender Lektüre der Rettung Chinas nicht unbedingt näher gekommen. Erst jetzt ist die Zeit reif dafür, die Dämonen aus der Wüste, den Bergen, dem Wald und den Meeren herbeizurufen. Und dann wird, in einem zweiten und einem dritten Band das Abenteuer weitergehen.
Dann wird weiter im Himmel und in der Hölle und auf der Erde gekämpft werden. Und dabei hatte der unsterbliche Bettler doch schon den perfekten Aphorismus parat:
Es ist ein Wunder über Wasser zu gehen und in den Himmel zu fliegen, aber das wahre Wunder ist es, auf Erden zu gehen.
Ein bisschen mehr Erdung hätte L.G. Bass Chinaroman "Im Zeichen des Qin" gut getan.
Auch Jeff Stones Roman "Die fünf Gefährten und der Kampf des Tigers" ist ein Roman, der im alten China spielt, 1650. Stone ließ sich von einer alten Legende leiten, der Legende nach hatten nur fünf Kriegermönche die völlige Zerstörung des berühmten Shaolin Tempels im 17. Jahrhundert überlebt. Vor allem aber ist es ein Kung Fu - Roman, spannend für alle, die martial arts lieben und weniger Wert auf einen guten Stil, eine flüssige Geschichte legen.
Stone beschreibt die verschiedenen Kampfstile von fünf jungen Mönchen, Waisenknaben, die im Kloster erzogen worden sind. Sie nennen sich Brüder, Brüder, die Seite an Seite kämpfen. Jeder von ihnen beherrscht eine andere Art von Kung Fu, jeder einen anderen Stil, der einem Tier gleicht. Fu ist ein Tiger mit Haut und Haaren. Long, der kluge dreizehnjährige, ist der muskulöse, kräftige Drache. Malao ist der flinke, schelmenhafte Affe, der geschickt nach oben springen kann. Seh, der ernste zwölfjährige, ist die lautlos gleitende Schlange. Hok ist der schweigsame, federleichte Kranich mit dem schmalen Hals.
Ihr Kloster wird niedergebrannt. Alle Mönche ermordet. Das wird ziemlich detailgetreu und ziemlich grausam beschrieben. Der sterbende Großmeister schickt die fünf in die Welt hinaus, um die Geheimnisse ihrer Herkunft zu ergründen.
Überwindet die Vergangenheit, denn es ist für eure Zukunft.
Nur wenn ihnen das gelingt, dann könnten sie Ying, den Anführer der Mörderbande, die unter dem Schutz des Kaisers steht, besiegen. Ying war einst ein Mitbruder, der sich voller Hass vom Kloster abgewandt hat. Ying möchte ein anderer sein als der, der er ist. Ying ist ein Adler, der gern ein Drache wäre. Er hat seine Zähne spitz zuschleifen lassen und seine Zunge gespalten. Aber seine Fingernägel und Fußzehen sind Adlerklauen geblieben. Er will die Schriftrollen aus der Bibliothek stehlen, in denen die Kung Fu Techniken niedergeschrieben sind.
Wenn die Rollen verschwanden, verschwand auch ihre Kampfkunst. Und zwar für immer.
Die fünf Brüder müssen fliehen. Zunächst gelingt es ihnen, die Rollen mitzunehmen. Yings Männer werden sie ihnen wieder abjagen. Hilfe erhält Fu, der wie ein Tiger kämpft, von einem wirklichen Tiger – und von einem seltsamen Mann, einem Betrunkenen.
Für einen kurzen Moment wurde der behäbige Betrunkene so beweglich wie eine Katze… Zur großen Verblüffung der Soldaten waren die unregelmäßigen Bewegungen des Betrunkenen unmöglich mit dem Speer oder Schwert zu treffen, und jedes Mal, wenn er gegen einen Mann stolperte, ging dieser mit einem gewaltigen Schlag zu Boden…
Der Betrunkene blickte auf und sah in Fus Augen. Irgendetwas in Fus Herzen rührte sich. Fu erstarrte. So ein Gefühl hatte er noch nie in seinem Leben gehabt. Und auch der Betrunkene erstarrte. Etwas Mächtiges geschah zwischen den beiden… In diesem Moment hatte Fu plötzlich gewusst, dass der betrunkene Mann ihn liebte.
Das klingt alles wie aus einer Seifenoper. Und wäre allein schon ärgerlich genug. Noch ärgerlicher aber ist, dass in "Die Gefährten des Tigers" keine einzige Frage beantwortet wird. Wer ist der Betrunkene? Wo sind die Schriftrollen? Wer ist auf wessen Seite? Wo kommen die fünf Mönche denn nun her? Das Buch endet genau an der Stelle, an der es am spannendsten ist. Ein echter Cliffhänger und auch das erinnert an Seifenopern. Es heißt einfach lapidar: Das Abenteuer der fünf Gefährten geht weiter.
Auf Jeff Stones Internetseite erfahren wir, was der Verlag uns vorenthält, dass nämlich Jeff Stone seine Geschichte auf sieben Bände angelegt hat, und dabei jeweils auf eine Hauptgestalt eingeht, auf die fünf Mönche, also den Tiger, die Schlange, den Affen, den Kranich, den Drachen und ihre beiden Widersacher. Und dieser erste Roman heißt im englischen Original "Tiger".
Wer denkt, ärgerlicher geht es nicht mehr, sieht sich spätestens dann getäuscht, wenn er "Die Dämonen von Dong Pe" gelesen hat. Der Carlsen Verlag hat das bereits 1979 erschienene Buch von Peter Dickinson ausgegraben und ins Deutsche übersetzten lassen.
Auch dieser Roman beginnt mit einem Massaker. Eine Missionsstation wird von Aufständischen dem Erdboden gleichgemacht. Nur dem Sohn des amerikanischen Missionars, Theodor, gelingt es zu fliehen. Er trifft auf die exzentrische, stark geschminkte Mrs. Jones. Die Schauspielerin will auf dieser Reise den Geliebten und das gemeinsame Kind vergessen und hat sich auf die Suche nach seltenen Pflanzen gemacht. Begleitet wird sie von dem Chinesen Lung, der permanent Sätze wie diesen von sich gibt:
Keine Zeit für Graben. Müssen Gras für Pferde finden und Platz für Lager.
Eines Abends hört der gottesfürchtige Theodor ein neckisches Lachen:
Es dauerte mehrere Stunden, bis er sich eingestehen wollte, dass Lung und Mrs. Jones Liebhaber waren. (Vor sich selbst nannte er es Unzucht treiben) Nach dem ersten kurzen Schock – eigentlich mehr ein Gefühl des Unbehagens – … hatte er sich eingeredet, sich zu irren. Er schämte sich sogar für seine sündigen Gedanken.
Die unzüchtigen Nächte bleiben nicht ohne Folgen. Mrs. Jones wird schwanger. In Tibet hat macht sich gerade auf die Suche nach der Inkarnation des verstorbenen Lama Toijing Rinpoche gemacht – und was liegt näher, als im ungeborenen Kind einer ledigen englischen Mutter und eines chinesischen Vaters den Lama Toijing zu Rinpoche zu vermuten? Man bringt die drei Reisenden ins Kloster Dong Pe. Einzig Theo ist verwirrt.
Am besten wäre es natürlich, wenn es kein Baby gäbe - ein in Sünde und außerhalb der heiligen Ehe gezeugtes Kind, das dazu verdammt wäre, in einem heidnischen Glauben erzogen zu werden.
Theo versucht, auf andere Gedanken zu kommen. Er freundet sich mit einem Englisch sprechenden Major an, der seit Jahren im Kloster lebt und dort der Putzmann ist. Theo hilft ihm bei der Arbeit.
Mehr als eine Stunde kletterte er zwischen den Götzenbildern herum und bürstete und polierte, während der Major unten mit seinen Filzschuhen den Fußboden wienerte, Gebete murmelte, die Beigaben der Götzenbilder erläuterte.
Und so fort. Zwar ändert sich Mrs. Jones im Laufe der Zeit, wächst nach der Geburt ihres Kindes in ihre neue Rolle als Mutter des Lama hinein, verlässt den vor Eifersucht rasenden Lung, zwar begreift auch Theo, dass es neben seinem auch noch andere Glauben gibt, aber der seine ist doch der Wertvollste. "Die Dämonen von Dong Pe" ist zwar gut und spannend geschrieben, aber der fundamentalchristliche Grundton ist unüberhörbar und unerträglich.
Ebenfalls in Tibet spielt Iris Lemanczyks "Das verlorene Land – eine Flucht aus Tibet". Die Grausamkeiten der chinesischen Besatzer in China haben nicht vor den Klostermauern aufgehört – längst sind sie Alltag geworden. Als die tibetischen Zwillinge Tashi und Tenzin noch einen Bruder bekommen, steht ein chinesischer Soldat vor der Tür. Er gibt den Kindern und ihren Eltern genau eine Stunde Zeit, ihre Sachen zu packen. Dann reißt ein gelber Bulldozer das Haus nieder. Das Verhalten der Familie widerspricht der Ein – Kind-Politik.
Die tibetischen Kinder werden verhöhnt. Besonders schlimm ist es in der Schule. Der Lehrer beschimpft sie als tibetische Bauernlümmel, denen er die Schwatzhaftigkeit schon austreiben wird. Er lässt sie stundenlang in einem Bottich mit eiskaltem Wasser knien. Zwar gibt es bei Iris Lemanczyk auch den ein oder anderen guten Chinesen, etwa das Ehepaar Jiang , die Freundin Li. Die Tibeter hingegen sind allesamt gütige, gläubige Menschen, die den Dalai Lama verehren.
Durch Hass kommt nur Gewalt in die Welt. Und Gewalt ist nicht gut.
Sagt der Dalai Lama und dass man selbst die lieben solle, die einem Leid zufügten.
"Wunderbar", freut sich der Großvater. "Es ist das Wichtigste, wonach wir leben sollten: kein Hass, keine Gewalt… Wenn sich das alle Menschen zu Herzen nehme würden, euer Lehrer zum Beispiel, wäre die Erde wirklich ein Paradies."
Eines Tages schreibt Tashi "Freiheit für Tibet" auf ein Blatt Papier. Der Lehrer ist außer sich. Tashi soll in ein Umerziehungslager. Da beschließen die Kinder zu fliehen. Nach Indien wollen sie, über den Himalaya.
Die Eltern sind stolz auf sie. Die Zwillinge schnüren die dünnen Halbschuhe, packen eine Taschenlampe und ein wenig Proviant ein. Ihr Unterfangen ist gefährlich, lebensgefährlich. Aber überall im verschneiten Himalaya treffen sie auf Menschen, die ihnen helfen: Der Mönch Ugen erzählt ihnen, was die Klöster in Tibet früher waren: Zentren der tibetischen Kultur, Schulen und Universitäten. Und er gibt ihnen Geld, damit sie mit dem Bus nach Llhasa fahren können.
In einem anderen Kloster erklärt der Mönch Tsering ihnen die Reiseroute und schenkt ihnen ein Bild des Dalai Lama. Ein Lastwagenfahrer schmuggelt sie auf der Pritsche seines Wagens vorbei an den Kontrollposten. Die alte Meto, die allein in einer winzigen Hütte auf einer Alm lebt, nimmt die halberfrorenen Zwillinge ein paar Tage bei sich auf und rettet so der fiebernden Tashi das Leben. Sie schenkt ihnen Geld – und ein kleines Hündchen.
Mit einer Nomadenfamilie ziehen sie weiter. Lastenträger helfen ihnen über die höchsten Berge. Als sie Kathmandu endlich erreichen, ist Tenzins Zeh erfroren. Aber nichts kann die Kinder davon abhalten, weiter nach Dharamsla zu fahren, zum Dalai Lhama. Schließlich stehen sie ihm gegenüber und er spricht zu ihen:
Ihr habt einen langen Weg hinter Euch gebracht… und ihr habt es hier hergeschafft. Manche von Euch glauben vielleicht, dass sie jetzt am Ziel sind. Aber das müsst ihr euch merken: Euer Weg geht weiter. Ihr braucht neue Ziele… Seid willkommen in der Freiheit.
Ganz realistisch und recht einfach erzählt Iris Lemancyk die tränenrührige Geschichte zweier Kinder, die bereit sind, für die Freiheit ihres Glaubens ihr Leben zu riskieren. Gütige und fromme Menschen helfen ihnen auf ihrer Flucht. Der bisweilen durchaus spannende Abenteuerroman ist aber in einer geradezu aufreizend schlichten Sprache geschrieben. Wer jungen Lesern die tibetischen Probleme wirklich nahe bringen will, sollte schon ein wenig anspruchsvoller schreiben.
Lange Zeit haben Mythen und Märchen das westliche Chinabild bestimmt. Bereits im 17. Jahrhundert erschienen in Europa Reiseberichte aus China. Ein Jahrhundert später waren Chinoiserien die große Mode. Und auch Tibet ist ein Land, das in Europa seit jeher als fremd und geheimnisvoll gilt. Bis heute. Kein Wunder also, wenn Romane, die in China oder Tibet spielen, derzeit en vogue sind.
So mancher Autor aber benutzt China oder Tibet nur als Folie für seinen Roman, als modischen Hintergrund. Man sollte schon so gründlich recherchieren wie Carole Wilkinson, wenn man die jugendlichen Leser wirklich hinführen will zu fremden Ländern. Sonst bleibt es bei Klischees, Versatzstücken oder – wenn es ganz ärgerlich wird – bei einer überheblichen, von keinem Selbstzweifel getrübten Weltsicht.
Er wollte Pferde malen, nichts als Pferde. Dass Seltsame war, dass er sie stets angebunden malte. "Warum sind alle Deine Pferde angebunden?", fragten ihn die anderen. Han Gan sagte: "Weil ich nicht möchte, dass sie mir davon laufen."
Kommen wir daher zum Schluss zu einem, der China kennen muss, denn er ist Chinese: Chen Jianghong. Der in Paris lebende Maler und Schriftsteller hat für sein Bilderbuch: "Han Gan und das Wunderpferd" den Jugendliteraturpreis erhalten. Er hat die runden, üppigen Tang-Zeit-Pferde auf Seide gezeichnet, Rot-, Braun- und Beige-Töne überwiegen. Seine Tuschmalereien sind kleine Kunstwerke in einem Buch über die Magie der Kunst, die über die schnöde Realität triumphiert.
Auch Chen Jianghong greift einen Mythos aus seiner Heimat auf. Der Maler Han Gan hat in der Tang-Zeit gelebt, im 8. Jahrhundert. Cheng Jianghongs Maler kann ein feuriges Schlachtross so gut zeichnen, dass es lebendig wird. Der Krieger, der auf diesem Pferd reitet ist unbesiegbar. Aber das Pferd kann den Krieg, das Leid, die Gewalt nicht länger ertragen. Dicke Tränen fließen aus seinen Augen. Es wirft den Reiter ab und kehrt zurück auf die Leinwand Han Gans.
Auch die Tigermutter in Han Gans neuem Bilderbuch "Der Tigerprinz" weint. Man hat ihr Junges getötet, und seitdem streicht sie um die Dörfer der Menschen auf der Suche nach Beute. Um sie zu befrieden, schickt der König ihr seinen Sohn Hen. Die Tigerin ist überwältigt von dem Zutrauen des kleinen Prinzen und tötet ihn nicht. Sie lehrt ihn, im Wald zu überleben, bis seine Eltern ihn zurückfordern. Wenn er erwachsen ist, wird er ihr seinen Erstgeborenen bringen, damit er alles von ihr lernt, was ein Tiger können und wissen muss. Dann kann er ein guter König werden.
Das mag ein bisschen kitschig sein und ein bisschen nach Dschungelbuch riechen, aber die Geschichte beruht auf einer Jahrhunderte alten Legende. Überdies machen die großartigen Zeichnungen Chen Jiangchongs den sentimentalen Plot mehr als wett. "Der Tigerprinz" ist im Stile chinesischer Tuschzeichnungen gehalten, groß und mächtig und düster ist die Natur, sind Felsen, Flüsse und Wälder, kräftig sind die Pinselstriche - winzig wie ein Püppchen ist der kleine Prinz. Wahrhaft Angst einflössend ist die vor Kraft strotzende, mächtige Tigerin.
Chen Jianghongs Bücher sind wahrlich nicht nur für Kinder. Sie bringen den Lesern chinesische Mythen, chinesisches Denken und chinesische Kunst näher als so mancher dicke Roman.
Carole Wilkinson:
Hüterin des Drachen
Deutsch von Peter Knecht; Dressler, 315 Seiten, Euro 13,90
L.G. Bass:
Im Zeichen des Qin
Aus dem Amerikanischen von Johanna Ellsworth, Arena, 400 Seiten, Euro 16,90
Peter Dickinson:
Die Dämonen von Dong Pe
Aus dem Englischen von Henning Ahrens, Carlson, 320 Seiten, Euro 16,00
Jeff Stone:
Die fünf Gefährten und der Kampf des Tigers
Aus dem Amerikanischen von Christiane Gallus, Loewe, 211 Seite, Euro 8,90
Iris Lemanczyk:
Das verlorene Land. Eine Flucht aus Tibet
Mit Fotos von Bruno Boll, Ravensburger, 255 Seiten, Euro 10,95
Chen Jianghong:
Han Gan und das Wunderpferd
Aus dem Französischen von Erika und Karl A. Klewer, Erika und Karl A. Klewer, Euro 16,80
Chen Jianghong:
Der Tigerprinz
Aus dem Französischen von Erika und Karl A. Klewer, Euro 16,80