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"von mit nach t:" in Düsseldorf
Perfekte Mischung von Amüsement und dunkler Ahnung

Swinging Sixties, Miniröcke, Farbfernsehen: Die Uraufführung von VA Wölfls Stück im Schloss Benrath in Düsseldorf ist eine von der Kompanie fantastisch präsentierte Retro-Performance: ein bisschen verrutscht, ein bisschen verzerrt, ein bisschen missverstanden.

Von Nicole Strecker | 07.12.2014
    Ein bisschen Zeitreisen mit dem Düsseldorfer Choreografen VA Wölfl. Im neuen Stück geht es zurück in die Swinging Sixties, als alles, was aus den USA kam, cool und schick schien und Deutschland sich im Stilklau übte. Auch auf Wölfls Bühne ist jetzt alles wieder da, was in den 60er Jahren Spaß verhieß: die Musik und die Miniröcke der Frauen, die Entdeckung des Alls und das Farbfernsehen, der Boxkampf und die Gesellschaftstänzchen, vorzugsweise Chachacha, eigentlich kubanischen Ursprungs, aber - kleiner zynischer Wölfl-Scherz - doch schließlich von den USA 'annektiert' und zum amerikanischen Modetanz erklärt. Wer die Fernsehserie "Mad Man" liebt, wird in Düsseldorf beglückt – man beachte nur: Es gibt mintfarbene Lack-Pumps! Allerdings ist bei VA Wölfl eben alles ein bisschen verrutscht, verzerrt und missverstanden.
    Locker-tappige Akrobatik
    Ein Showmaster begrüßt das Publikum beim Einlass mit einem jovialen "Thanks for coming", ist ganz der souveräne Entertainer, wenn er nicht immer wieder von seinem Mikrofon zurücktreten und wie irrsinnig auf der Stelle hopsen würde. Ein Paar versucht sich in Hebefiguren wie beim Rock 'n' Roll, was keine so gute Idee ist, wenn man - wie er - keine Ahnung von weiblicher Anatomie hat, und wenn man - wie sie - einen viel zu engen Minirock trägt. Die lockere Akrobatik - hier wirkt sie mehr tappig als peppig. Eine Gruppe Männer umringt einen Monitor, ein paar Sekunden lang darf auch das Publikum sehen, dass dort ein Gregory-Peck-Film läuft - und jetzt wollen alle ein bisschen "Peck" sein, der einst schönste Mann von Hollywood, und imitieren für einen Moment seine Bewegungen.
    So ist das also gemeint mit VA Wölfls seltsamem Titel: Die Worte "von, mit, nach" beziehen sich auf das Verfahren des Kopierens – womit Wölfl nicht nur sarkastisch die deutsche Nachahmungs-Naivität der 60er Jahre in den Blick nimmt, sondern auch gleich selbst ein bisschen Copy-Show inszeniert und laut Programmheft Bewegungszitate von Kurt Jooss einflicht - vage erkennbar die Figur des Todes aus dem Grünen Tisch. Oder vom Düsseldorfer Kollegen Raimund Hoghe – schon weniger erkennbar. Vor allem aber natürlich von Neuer Tanz selbst, seiner 1987 gegründeten Kompanie, die im Schloss Benrath ein eigenes Domizil besitzt und mit diversen Einladungen zur Biennale Tanzplattform zu den erfolgreichsten freien Tanzgruppen zählt. VA Wölfl ist der Dauerrebell der Szene, in seinen Stücken kann auch schon mal nach nur ein paar Minuten Performance die erste Pause angesetzt sein. Und immer unterwandert er die Bedeutungshuberei der Choreografie-Kunst, den Versuch, kritisch, politisch, aussageschwer im Tanz sein zu wollen, um die eigene Relevanz zu zementieren. So ist das auch in "von mit nach t:" - wobei das "t" im Titel wohl ewiges Wölfl-Geheimnis bleibt.
    Verrücktes Wohlstands-Spektakel
    Die von der Kompanie fantastisch präsentierte Retro-Performance tarnt sich als verrücktes Wohlstands-Spektakel - so klimpert man auf einem Flügel, auf dessen Saiten geschliffene Kristalle glitzern, als wäre er der Brillanten-Nachfolger des präparierten Klaviers von John Cage. Doch die gute Laune wird immer wieder durchkreuzt: etwa von Tänzern, die auf dem Boden knien wie betende Muslime, oder vom scharfen Zischen der Düsenjäger, die unsichtbar, als akustische Bedrohung über das Geschehen hinweg sausen. Es heißt, in Zeiten von Krieg und Krise, sei die Kunst besonders heiter. Shows als Sedativum - ist es wieder soweit? Ein "guter Wölfl" ist immer dann, wenn sich Amüsement und dunkle Ahnung mischen. "von mit nach t:" macht das perfekt.