Freitag, 17. Mai 2024

Archiv

Vor 75 Jahren
Das tragische Schicksal von e.o. plauen

Seine „Vater und Sohn“- Bildgeschichten begeisterten Millionen Zeitungsleser. Doch kaum jemand kannte das tragische Schicksal des Zeichners, der sich hinter dem Pseudonym e.o. plauen verbarg. Heute vor 75 Jahren nahm sich der Karikaturist Erich Ohser das Leben.

Von Hartmut Goege | 06.04.2019
    Zeichnungen von Erich Ohsers "Vater und Sohn" in einer Doppelausstellung des Künstlerpaares Erich Ohser und Marigard Bantzer in der Galerie e.o.plauen in Plauen
    Zeichnungen von Erich Ohsers "Vater und Sohn" in einer Doppelausstellung des Künstlerpaares Erich Ohser und Marigard Bantzer in der Galerie e.o.plauen in Plauen (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    "Es kann Schweres über uns hereinbrechen. Ich weiß, dass ihr beide in Liebe an mich denkt. Und ich flüstere eure Namen oft ins Dunkle. Ich küsse euch. Euer Vati und Erich."
    Es sind die letzten Zeilen Erich Ohsers an seine Familie. Am Morgen des 6. April 1944 wird er im Berliner Gefängnis Moabit tot aufgefunden: er hat sich mit einem Handtuch am Fenstergitter seiner Zelle erhängt. Angeklagt wegen Verbreitung politischer Witze, sollte Ohser an diesem Tag vor dem Volksgerichtshof der Prozess gemacht werden. Es ist das tragische Ende eines Künstlers, der die Nationalsozialisten zwar verachtete, aber ausgerechnet unter ihnen eine beispiellose Karriere als Zeichner machte. Dabei erhielt Ohser, Freund Erich Kästners, nach der Machtübernahme 1933 noch Berufsverbot als Karikaturist. Sein Sohn Christian Ohser:
    "Die politischen Zeichnungen, die mein Vater gemacht hat vor ‘33, erschienen im ‚Vorwärts‘ und ein paar anderen sozialistischen und sozialdemokratischen Blättern. Und da hat er vor allem Goebbels etwas aufs Korn genommen. Und Goebbels hat ihm nie dafür vergeben."
    Walrossbärtiger Vater, strubbelhaariger Sohn
    Doch als 1934 der renommierte Berliner Ullstein-Verlag einen Zeichner sucht, der nach amerikanischen Comic-Vorbildern kleine Geschichten für Zeitungen illustrieren soll, fällt die Wahl auf Ohser. Er legt schwarz-weiß Zeichnungen von einem kugelrunden, walrossbärtigen Vater und seinem kleinen, strubbelhaarigen Sohn vor: die ersten Bildgeschichten von "Vater und Sohn". Ohser-Biografin Elke Schulze:
    "Der Ullstein-Verlag erwirkt dann für ‚Vater und Sohn‘ bei der zuständigen Stelle im Reichspropagandaministerium eine Arbeitsgenehmigung unter der Auflage, er dürfe nicht politisch zeichnen und er dürfe nicht unter seinem Namen, unter dem er als politischer Karikaturist sehr berühmt geworden ist, zeichnen. Also, da nennt er sich Erich Ohser aus Plauen, e.o.plauen."
    Tiefe Menschlichkeit, humorvolle Problemlösungen
    Ohser, 1903 geboren, aufgewachsen im sächsischen Plauen, wird mit diesem Pseudonym so populär, dass er mit seinen Figuren bald in ganz Deutschland ein Begriff ist und im wöchentlichen Rhythmus eine wachsende Leserschar begeistert. Die meist sechs Zeichnungen umfassenden Geschichten über das Vater-Sohn-Gespann zeichnen sich vor allem durch eine tiefe Menschlichkeit aus und bieten oft unkonventionelle, humorvolle Problemlösungen. Ohser richtet sich dank seines Erfolges im Alltag unter der NS-Diktatur ein, lebt mit seiner Familie in Berlin, seine Auftragslage ist gut und sein Pseudonym e.o. plauen ab Mitte der 30er Jahre ein Markenzeichen. Auswandern ist für ihn offensichtlich keine Option.
    "Ich glaube, er hätte sich nicht wohlgefühlt im Ausland. Er liebte England, wir sind öfters dorthin. Aber dort zu leben, ist was anderes."
    Ohser liefert die gewünschten gehässigen Karikaturen
    1940 lässt er sich, für viele unverständlich, auf eine Mitarbeit in dem neugegründeten Propaganda-Blatt "Das Reich" ein, in dem Goebbels regelmäßig Leitartikel schreibt. Ohser liefert die gewünschten gehässigen Karikaturen gegen die alliierten Kriegsgegner und wird dafür gut bezahlt. Doch im Privaten verschafft er sich lautstark Luft mit Witzen etwa über Hitler, den "Dümmsten aller Emporkömmlinge", und seinen "Zwerg" Goebbels.
    "Es hatten schon vorher Freunde immer wieder versucht, ihn zu warnen, und es haben auch mehrere beschrieben, dass es also geradezu lebensgefährlich war, mit Ohser durch Berlin zu laufen, weil er eben unentwegt diese politischen Witze gemacht hat."
    Bruno Schultz denunziert Ohser bei der Gestapo
    1943, als Berlin immer häufiger von den Alliierten bombardiert wird, siedelt seine Familie nach Süddeutschland um. Ohser dagegen zieht zusammen mit einem Freund, dem Journalisten Erich Knauf, in das Haus eines befreundeten Arztes, da es über einen Luftschutzkeller verfügt. Sie teilen sich die Bleibe mit dem Aktfotografen Bruno Schultz und seiner Frau. Knauf und Ohser wähnen sich unter Künstlerkollegen und nehmen kein Blatt vor den Mund. Doch Schultz ist auch SS-Mitglied. Wochenlang notiert er den hemmungslosen Spott der beiden und denunziert sie schließlich bei der Gestapo. Ohsers letzter Brief ist ein wütender Aufschrei gegen die Nationalsozialisten, die sein Leben vernichtet haben:
    "Sie können stolz sein, der Mörder des Vaters von ‚Vater und Sohn‘ zu sein. Möge der Fluch von 100.000 Kindern auf Sie herabkommen."
    Erich Ohser alias e.o. plauen wurde 41 Jahre alt. Seine pfiffigen Bildgeschichten werden seit den 50er Jahren in zahlreichen Zeitschriften und Bildbänden immer wieder neu aufgelegt und sind sogar in Südamerika und China populär.