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Vor den Wahlen in Berlin
Kulturpolitik auf dem Prüfstand

Im Wahlkampf für das Berliner Abgeordnetenhaus spielte Kulturpolitik keine große Rolle. Und das, obwohl die dortige Kulturszene einige Fragen an ihre Politiker hätte. Es ist nicht nur Intransparenz, die Bürgermeister Michael Müller besonders in Bezug auf die Postenvergabe in Berliner Kulturhäusern vorgeworfen wird. Auch fehlende Kommunikation wird kritisiert.

Von Susanne Arlt | 15.09.2016
    Ein Porträt von Berlins Regierendem Bürgermeister Müller vor einem Wahlplakat der SPD
    Michael Müller ist Spitzenkandidat der SPD für die Wahl am 18.09.2016 in Berlin. Das Thema Kultur spielt in seinem Wahlkampf keine große Rolle. (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski)
    Die größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts, ein Mann ohne Visionen. Claus Peymanns Meinung über Berlins Kulturstaatsekretär Tim Renner klingt wenig schmeichelhaft. Aber auch Michael Müller, Regierender Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion, bekommt sein Fett weg. Ein Zwerg an der Macht, der gemeinsam mit seinem Staatssekretär einen kulturpolitischen Trümmerhaufen angerichtet habe, ätzt der scheidende Intendant des Berliner Ensembles.
    Mit seinem Urteil steht Peymann nicht allein, viele Mitarbeiter der Berliner Volksbühne und des Staatsballetts sehen es ähnlich. Seitdem sie wissen, wer künftig an ihrem Haus das Sagen haben wird, rebellieren sie. Die Volksbühne gegen Chris Dercon, die Balletttänzer gegen Sasha Waltz. Warum sie dies tun, obwohl noch keiner von beiden sein Amt angetreten hat, liegt für Klaus Lederer, Parteivorsitzender der Linken, auf der Hand.
    Müllers Entscheidungen wird Intransparenz vorgeworfen
    Während Müllers Vorgänger Wowereit mit offenem Visier für seine kulturellen Interessen stritt, macht es Müller lieber im Geheimen. Die Vergabe von wichtigen Posten verhandelte er in intransparenten Verfahren, monieren Oppositionspolitiker wie Lederer:
    "Es ist ein allgemeines Problem, dass der Stil von Politik in dieser Stadt sehr von Ansagen, sehr von Basta geprägt ist. Es wird nicht mit Leuten kommuniziert, es wird nicht nach Lösungen gesucht, sondern in der Regel wird hinter verschlossenen Türen entschieden und dann werden die Ergebnisse auf den Tisch gepackt und dann habe sie Ja und Amen dazu zu sagen."
    Aber es ist nicht nur das Ja und Amen, was die Kulturschaffenden erzürnt. Es sind auch die Inhalte, die das Berliner Kulturleben demnächst wohl bereichern werden. Was Müller und Renner im Sinn haben, lässt sich an der Volksbühne gut abbilden. Chris Dercon soll aus dem rebellischen Castorf-Haus ein internationales Bühnen-Kunst-Event machen, mit Musik, Tanz, Performances und ja auch ein bisschen Theater.
    "Kultur und Kunst sind keine Tourismusmarketingveranstaltung"
    Auf anspruchsvolle Unterhaltung setzt auch der neue Intendant für den Berlin-Teil des Humboldt-Forums, Paul Spieß. Und Claus Peymann, der demnächst von Oliver Reese abgelöst wird, schaudert vermutlich bei dem Gedanken, dass auf der Bühne seines Berliner Ensembles demnächst Reeses publikumswirksamen Produktionen gezeigt werden. Das alles muss nicht schlecht sein, man könnte ja auch erst einmal abwarten und dann urteilen, doch so wie die Theater-Altvorderen sieht auch Linkenpolitiker Lederer den sich anbahnenden Wandel von der Kultur zum Event grundsätzlich kritisch:
    "Kultur und Kunst sind eben nicht einfach nur ein Standortfaktor, oder eine Tourismusmarketingveranstaltung. Sondern sie finden ihre Wurzel auch letztendlich in der Stadt so wie sie jetzt ist. Wenn ich eine Kulturpolitik betreibe, die auf die ganzen Jetsetter setzt, dann breche ich eigentlich den Ast ab auf dem ich sitze, ich mache eigentlich das kaputt, was die Stadt so unglaublich attraktiv gemacht hat. "
    Positives gibt es aus finanzieller Sicht
    Müller ist in seinen Augen mit dem Doppelamt überfordert. Der neue Regierende sollte sich von der Kultur trennen und wieder ein eigenes Ressort daraus machen. Dabei hatte die Personalunion auch ihr Gutes, zumindest in finanzieller Hinsicht. Abgesehen von der Staatsopern-Baustelle, die immer teurer wird, stieg Berlins Kulturetat im positiven Sinne an auf knapp 400 Millionen Euro im Jahr. Auch die Freie Szene habe davon profitiert, lobt Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der Freien Szene. Und kommt trotzdem zum Fazit:
    "Nichts ist erledigt."
    Der Mängelkatalog umfasst zehn Punkte: Nicht nur ein paar Brosamen von den steuerlichen Einnahmen durch die City-Tax, sondern die Hälfte so wie einst versprochen. Honoraruntergrenzen für alle Sparten, nicht nur für die Darstellende Kunst. Oder ein Mitspracherecht bei der Immobilienpolitik von Land und Bund, um auch künftig in bezahlbaren Räumen kreativ sein zu können.
    Der direkte Austausch mit Müller fehle
    Dass Berlins Kulturpolitik in all diesen Punkten ein bisschen, aber eben nicht genug vorangeschritten ist, liegt womöglich am paternalistische Verhältnis der SPD zur Kunst, mutmaßt Knoch. Michael Müller spreche nie mit den Schaffenden direkt, sondern immer nur mit Vertretern staatlicher Institutionen. Als Bausenator habe Müller auf Partizipation gesetzt, als Kulturpolitiker leider nicht:
    "Ich bin mir sicher, dass Michael Müller ein sehr netter Mensch ist, aber direkt gesprochen haben wir ihn leider noch nicht. "
    So wie Klaus Lederer wünscht sich auch Christoph Knoch ein eigenständiges Ressort für die Kultur, oder zumindest einen Kulturchef, der weiß, wo seine Stärken liegen:
    "Wenn es nun Chefsache ist, dann kann er entweder sagen, ich kenne mich aus, was falsch wäre, oder er könnte sagen und das wäre ehrlich, offener und eigentlich auch glaubwürdiger, er könnte sagen, ich kenne mich überhaupt nicht aus. Aber ich hole mir die besten Leute, damit hier das Beste passiert. Aber die Chuzpe hat er nicht."
    Womöglich ist das auch der Grund, warum das Thema Kultur im Wahlkampf der SPD in einem Land wie Berlin kein Thema ist.