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Warnung vor unerprobten Behandlungsmethoden

Medizin. - In Dresden tagt zurzeit die Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Ein Thema dort sind Therapien, die adulte Stammzellen nutzen, um Krankheiten zu behandeln, für die es vielleicht noch keine Heilung gibt. In solche Therapien setzen viele Experten große Hoffnungen, aber gleichzeitig warnen nun die Mediziner in Dresden, und zwar vor Stammzelltherapien, die noch nicht ausreichend erprobt sind. Professor Alexander Storch vom Universitätsklinikum Dresden erläutert den Vorstoß im Gespräch mit Arndt Reuning.

Alexander Storch im Gespräch mit Arndt Reuning | 19.09.2013
    Reuning: Herr Storch, gibt es denn überhaupt schon adulte Stammzelltherapien für neurologische Erkrankungen?

    Storch: Für neurologische Erkrankungen gibt es derzeit noch keine erprobten Behandlungen mit Stammzellen. Bisher gibt es keine Hinweise dafür, dass mit den derzeitigen Stammzellen eine effektive Therapie neurologischer Erkrankungen gleich welcher Art möglich sind.

    Reuning: Aber offenbar gibt es ja auch geschäftstüchtige Anbieter, die versuchen mit Stammzelltherapien Geld zu verdienen. Wie sieht es damit aus?

    Storch: Die Strategie ist, dort autologe Stammzellen zu verwenden, das heißt Stammzellen des Patienten selbst zu entnehmen, damit dann in der Zellkultur oder im Reagenzglas etwas zu machen, sie zu verändern, um sie dann zurückzugeben. Damit kann ich jeden immunologischen Prozess umgehen, weil die Zellen ja vom Patienten selbst stammen.

    Reuning: Das heißt, man hat hier keine Abstoßungsreaktionen?

    Storch: Genau, man hat keine Abstoßungsreaktionen, und damit dieses ganze Problemfeld der Transplantationsimmunologie, der Abstoßungsreaktionen, umgangen. Die Zellen werden dem Patienten dann auf vielfältige Art zurückgegeben, entweder in die Blutbahn oder unter die Haut oder auch in das Gehirnwasser. Die Verteilung dieser Zellen nach allem, was Tierversuch weiß, erfolgt aber nicht ausreichend in die Gewebeareale, die bei den verschiedenen Erkrankungen betroffen sind. Das heißt, ich kann meine Zellen gar nicht an den Ort bringen, wo sie eigentlich wirken sollen. Deswegen, auch bei der Größe des menschlichen Gehirns reichen die Zellen, die dann wirklich eventuell migrieren an diese Stelle, also hinwandern zu den erkrankten Gehirnareale, nach allem was man heute kann und weiß, nicht aus.

    Reuning: Das heißt, diese Therapien haben wahrscheinlich keine Wirkung. Wie sieht es aus mit den Gefahren? Welche Risiken setzen sich diese Menschen aus, die sich einer solchen unerprobten Stammzelltherapie behandeln lassen?

    Storch: Wir haben zunächst einmal Patienten untersucht, die sich in Deutschland einer solchen Therapie unterzogen haben, die wir nicht selbst durchgeführt haben und die wir auch nicht empfohlen habe. Im Gegenteil, wir haben den Patienten abgeraten. Aber es gibt natürlich immer Patienten, die sich dem trotzdem unterziehen. Wir haben diese Patienten dann danach untersucht und keinerlei Wirkung gefunden von diesen Therapien. Und haben gefunden, dass es auch keine schweren Nebenwirkungen gibt, und auch alle anderen Studien - es gibt doch gut durchgeführte Studien zu diesem Thema - zeigen, dass die Verwendung autologer Stammzellen, seien das Knochenmarksstammzellen oder Blutstammzellen des Patienten selbst, wahrscheinlich sicher sind. Aber da muss man natürlich immer einschränkend sagen, dass die Zahl der Patienten, die behandelt werden, bisher - sagen wir mal 100 oder 200 oder 500 Patienten - eher klein ist. Das heißt, seltene Nebenwirkungen kann man dabei natürlich immer mal übersehen.

    Reuning: Die Nebenwirkungen werden also wahrscheinlich vor allem auf dem Konto der Patienten spürbar?

    Storch: Ja. Wenn ich noch kurz zurückgehen darf. Wir haben eine Nebenwirkungen beobachtet, die typisch ist für die Knochenmarksentnahme, sie wird ja auch standardmäßig für die Behandlung von Blutkrebs, Leukämien verwendet. Und dort treten Schmerzen, zum Teil erhebliche Schmerzen an der Knochenmarksentnahmestelle auf. Und das haben wir bei unseren Patienten, die wir nachuntersucht haben, auch beobachtet. Ungefähr zehn bis 15 Prozent, in unserem Fall zwölf Prozent, haben eine solchen Nebenwirkung: Schmerzen an der Knochenmarksentnahmestelle, das ist am Beckenkamm im Bereich des Beckens, beobachtet. Die Therapien, nach allem, was uns die Patienten berichtet haben, wir wissen das also nur über Dritte, wenn Sie so wollen, lag zwischen 6000 und 30.000 Euro für eine solche Behandlung.

    Reuning: Ich denke, viele Patienten suchen Zuflucht zu solchen unerprobten Therapien, wenn ihnen sonst keine Behandlung mehr geholfen hat. Nimmt man diesen Menschen nicht vielleicht die letzte Hoffnung, wenn man von solchen unerprobten Therapien abrät?

    Storch: Nein. Ich glaube, wir müssen unsere Patienten optimal behandeln und optimal beraten. Und dafür stehen uns Daten zur Verfügung und Erfahrungen zur Verfügung. Und ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, wenn eine Therapie noch nicht, und die Betonung liegt natürlich auch auf "noch nicht", zur Verfügung steht, ich glaube, dann sollten wir unsere Patienten auch beraten, dass es hier andere Möglichkeiten für all diese Erkrankungen gibt. Da gibt es ja andere Therapien, zum Teil auch Hilfsmittelversorgung weil, es gibt ja viele Möglichkeiten der Behandlung, es geht ja nicht immer nur um Medikamente, sondern auch um die Betreuung von Patienten. Mit den Patienten dieser Alternativen zu besprechen. Ich glaube auch, dass wir in Zukunft mit Stammzellen Therapien entwickeln werden, nur der Horizont ist einfach weiter. Wir müssen heute die auch von der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung vorgegebenen Standards einhalten, nämlich solche Anwendungen in klinischen Studien, die geprüft werden, die einer hohen Qualitätskontrolle unterliegen, durchführen und nicht eben in individuellen Heilversuche.