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Weihnachtstrubel in einer Wiener Buchhandlung
Süßer die Kassen nie klingen

Die schönste Zeit des Jahres ist für die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb die stressigste: In der Adventszeit brummt ihr Laden. Ein Drittel des Jahresumsatzes bringt das Weihnachtsgeschäft ein. Doch das Geld ist hart verdient. Über ihre Erfahrungen mit den Geschenkkunden hat Hartlieb ein Buch geschrieben.

Von Günter Kaindlstorfer | 17.12.2018
    Eine Buchhändlerin verpackt Bücher als Weihnachtsgeschenke.
    Eine typische Handbewegung: Der ständige Umgang mit Geschenkpapier (picture alliance / Julian Stratenschulte / dpa)
    "Sie haben schon ein Sackerl. Jetzt haben wir die Michelle, den Gutschein, und das andere kommt ja erst…"
    Gerade mal 60 Quadratmeter groß ist Petra Hartliebs Buchhandlung im Wiener Bezirk Währing: Ein Dutzend Kundinnen und Kunden drängen sich an diesem Dezembervormittag im Laden.
    "Weihnachten ist für den Buchhändler die stressigste Zeit im Jahr. Wir haben keine besinnliche Vorweihnachtszeit. Wir haben diesen Monat, wo wir unser Geld verdienen."
    In den Wochen vor Weihnachten machen Petra Hartlieb und ihr Mann Oliver ein Drittel ihres Jahresumsatzes. Hart verdientes Geld, wie man in dem ebenso amüsanten wie charmanten Büchlein "Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung" nachlesen kann. Petra Hartlieb berichtet da allerlei Vergnügliches und Erheiterndes aus ihrem vorweihnachtlichen Buchhändlerinnen-Alltag. Sie erzählt vom genderneutralen Weihnachtspapier, das Jahr für Jahr von der Belegschaft in hitzigen Entscheidungsfindungsprozessen gemeinschaftlich ausgesucht wird. Sie erinnert sich an Kundinnen, die sich zehn Minuten nach Ladenschluss noch 24 Pixi-Bücher einzeln einpacken lassen wollten. Und sie lässt ganz allgemein die kleinen und größeren Katastrophen Revue passieren, die dem Buchhändlerinnenleben erst die rechte Würze verleihen. Manche Bücherfreunde, so liest man bei Hartlieb, könnten ihre Wünsche vor der Ladentheke nur äußerst vage artikulieren: "Bitte, da war ein Buch im Fernsehen, es war grün." Da sind die Buchhändlerinnen-Nerven – speziell im Vorweihnachtsirrsinn – oft zum Zerreißen gespannt.
    Toilettenbesuch nach Plan
    In der angeblich stillsten Zeit im Jahr ist der Arbeitsalltag für Petra und Oliver Hartlieb und ihre Angestellten streng durchgetaktet. Sogar Toilettenbesuche müssen disponiert werden.
    "Es sind bei uns durchgehend immer Kunden herinnen. Manchmal haben wir Spitzenzeiten, wo wir auf unseren 60 Quadratmetern 25 Kunden stehen haben. Wir stehen dann zu viert hinter dem Ladentisch, und da kann man nicht spontan aufs Klo gehen. Da muss man den Kolleginnen sagen "Ich bin jetzt mal kurz fünf Minuten weg", damit die wissen und nicht nach hinten rufen. Bei uns ist das alles getaktet. Die Mittagspausen sind getaktet, und die Klobesuche sind getaktet. Und wenn man einmal in den Hof gehen muss, um Luft zu schnappen oder eine Zigarette zu rauchen, kann man das auch nicht spontan machen."
    Dass das Lesen in der Krise sei, kann Petra Hartlieb nicht bestätigen. Das Weihnachtsgeschäft laufe dieses Jahr sogar besonders gut, erklärt sie. Vor allem Michelle Obamas Memoiren und die neuen Romane von Lucy Fricke, Wolf Haas und Richard Powers gingen gut. Auch an zeitgeschichtlichen Titeln herrsche nach wie vor großes Interesse.
    "So der neue Hackl und der Wolf Haas... Das wären 43,30. Möchten Sie ein Sackerl? Sehr gerne."
    Sehnsucht nach Stille
    Der Alltag einer Buchhändlerin besteht vor allem aus Reden. Kein Wunder, dass Petra Hartlieb nach einem durchschnittlichen Arbeitstag im Advent kartäuserhafte Anwandlungen hat; sie sehnt sich dann vor allem nach Schweigen:
    "Bei uns in der Buchhandlung ist das Reden essentiell. Zu uns kommen die Leute, weil sie Geschichten von uns hören wollen. Wir erzählen die Bücher, wir empfehlen, wir erzählen unzählige Geschichten am Tag. Und am Abend sitze ich dann meistens vorm Fernseher mit einem Glas Rotwein und will schweigen. Mit Freundinnen treffen, das geht eigentlich in der Weihnachtszeit nicht, und wenn, dann nur mit solchen, die verstehen, dass man manchmal schweigend irgendwo sitzt und dumm in die Ecke schaut. Mehr ist nicht drin im Dezember, aber das wissen alle."
    Den Heiligen Abend wird Petra Hartlieb, wie jedes Jahr, zusammen mit ihrer Familie in ihrem Ferienhäuschen im Weinviertel nahe Wien verbringen: abgeschlafft und ausgepresst wie eine überreife Zitrone. Den Abend des 24. Dezember genießt Petra Hartlieb aus einem ganz speziellen Grund:
    "Es ist einfach der schönste Abend im Jahr, weil: Es ist vorbei."