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Weiter Weg zur Normalität

Weil der Krieg im Kongo offiziell vorbei ist, bleibt das Land bei der bevorstehenden Wahl sich selbst überlassen. Sollte sie nicht friedlich verlaufen und der Kongo erneut im Chaos versinken, würden wohl die rund 30.000 Kindersoldaten, die man versuchte in die staatliche Armee zu integrieren, wieder zu den Waffen greifen.

Von Dagmar Wittek | 26.11.2011
    Im schummrigen Licht eines Unterschlupfs blitzt das Weiß Dutzender Kinderaugen - die Augen ehemaliger Soldaten, viele sind gerade einmal 14, 15 Jahre alt. Der Strom ist mal wieder ausgefallen in Bukavu, der vom Bürgerkrieg zerrütteten Hauptstadt der ostkongolesischen Provinz Süd-Kivu. Die Jungen sind unruhig – das Essen könnte sich verzögern. Wenn die vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen spendierten Mahlzeiten nicht pünktlich ausgeteilt werden, randalieren die Jungs, erzählt Murhabasi Namegabe, Leiter des Heims für derzeit 50 ehemalige Kindersoldaten.

    "Das Essen spielt eine zentrale Rolle. Es geht uns da nicht nur darum, dass die Kinder Nahrung aufnehmen, sondern vielmehr darum, dass sie lernen friedlich miteinander umzugehen. Die Kinder kommen von einer der über 17 verschiedenen Rebellengruppen, wie den unverwüstlichen Mai Mai. Manche kommen aus Ruanda – die haben sich bislang im Busch bekämpft. Hier müssen sie an einem runden Tisch sitzen, sich in die Augen schauen und miteinander teilen. Sie müssen lernen, dass alle die gleichen Rechte haben und miteinander auskommen müssen."

    Das ist nicht leicht, denn die meisten sind wie gefühlstaub – innerlich abgestorben. Einige der Jungs wurden bereits im Alter von sechs Jahren von Rebellen oder Milizen gekidnappt, die meisten aber mit zwölf Jahren, wie der heute 16-jährige Bahati, der zunächst als Kindersoldat für einen ruandischen Warlord arbeitete:

    " Ich war gnadenlos. Ich habe nie gezögert, sondern sofort getötet. Wenn man mir sagte, schieß ins Herz, dann habe ich es getan. Sollte ich in den Kopf schießen, dann habe ich auch das getan. Ich habe viele umgebracht. Zahllose. Keine Ahnung wie viele. Den ersten, den ich erschoss, das war ein großer Oberst, das war ziemlich beängstigend. Danach habe ich nur noch weitergemacht. Gespürt habe ich nichts. Es war mein Job."

    Er war so gut, dass ihn die Mai-Mai abwarben, jene Milizen, die für ihre Kaltblütigkeit und Brutalität bekannt sind: Ihnen wird nachgesagt, dass sie dank traditioneller Zauberkräfte unverwundbar sind.

    "Mein Großvater hat mir ein Zaubermittel gegeben, sodass mir nichts passieren konnte, ich war unsterblich. Bei den Mai Mai war es gut. Die hatten Respekt vor mir. Ich war Leutnant. Aber als wir in die staatliche Armee integriert wurden, da wurde es hart. Die verschiedenen Rebellengruppen bekriegten sich, es gab kein Essen und keinen Sold."

    Er forderte sein Geld ein, und als der zuständige General sich weigerte ihn zu bezahlen – weil er entweder tatsächlich kein Geld von der Regierung bekam, oder weil er lieber in die eigene Tasche wirtschaftete, da brach Bahati der Frau des Generals beide Beine. Er landete im Gefängnis, bis Namebages Hilfsorganisation den Minderjährigen herausholte.

    "Die Kinder, die hier ankommen, sind krank und unterernährt. Sie haben meist Jahre im Busch gelebt und gekämpft. In unserem Zentrum steht ihnen dann ein ganzes Team zur Verfügung, das sich individuell um ihre Gesundheit und ihre Psyche kümmert. Wir haben Ernährungsberater, Krankenschwestern, Ärzte, Soziologen, Psychologen. Meist müssen wir sie wie mit Babies von Grund auf sozialisieren und ihnen wirklich alles beibringen. Es ist der Versuch ihnen eine Kindheit zurückzugeben, die sie nie hatten."

    Bahati ist erst seit wenigen Monaten im Zentrum und weit davon entfernt, ein normaler 16-Jähriger zu werden.

    "Wir sind zwar demobilisiert, aber wenn es wieder Krieg gibt, dann kämpfe ich, ich lasse doch mein Land nicht zerstören."

    Jetzt will er aber erst einmal zur Schule gehen und einen Abschluss machen. Zu seiner Familie könne er nicht zurück, sagt Bahati, die Region sei zu unsicher und außerdem gäbe es da für ihn nichts zu tun, außer sich als Straßenkind oder Dieb durchzuschlagen. Später würde er gerne Präsident oder zumindest Gouverneur der Provinz Süd-Kivu werden, um für Sicherheit und Stabilität in seinem Land zu sorgen.

    "Wenn ich nicht Präsident oder Gouverneur werde, dann möchte ich Lehrer werden, um unser Land voranzubringen und zu entwickeln. Ich würde Bürgerrechte unterrichten, das ist wichtig. Und danach würde ich allen die wichtigsten Überlebensstrategien beibringen."

    Es ist noch ein weiter Weg für Bahati, die Zeit als Kindersoldat hinter sich zu lassen. Und es wird wohl noch lange dauern, bis die seelischen Wunden verheilt sind, die all die Gräueltaten hinterlassen haben, die er gesehen und anderen angetan hat. Ob er sich je geborgen und um seiner selbst Willen angenommen fühlen wird, bleibt fraglich. Erlebt hat er es bislang nie.

    "Später, wenn ich mit der Schule fertig bin, dann werde ich ein großer Mann sein – alle werden mich mögen."

    Der Unterschlupf für Kindersoldaten, der vor allem von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, finanziert wird, hat bis heute Tausende Kinder und Jugendliche psychologisch betreut. Allein in diesem Jahr hat es für weit über 800 Kindersoldaten ein neues Zuhause gefunden. Entweder konnten Familienangehörige ausfindig gemacht werden, oder die Jungen konnten in Gastfamilien oder in kleinen vierer WGs in unmittelbarer Nähe des Unterschlupfs untergebracht werden, erzählt der Leiter Murhabasi Namegabe.

    "Ich blicke sehr zuversichtlich in die Zukunft dieser Kinder. 68 bis 70 Prozent unserer Jungs schaffen es. Das sind Erfolgsgeschichten: sie sind stabil und beginnen ein neues Leben. Die meisten gehen wieder zur Schule oder machen eine Ausbildung. Schwierig wird es nur, wenn es in ihrer Heimatregion wieder bewaffnete Konflikte, oder familiäre Auseinandersetzungen gibt. Grundsätzlich sind wir aber optimistisch für die Zukunft dieser Kinder."

    Allerdings: Sämtliche internationale Beobachter wie auch die nationale Wahlkommission gehen davon aus, dass es während der Wahlen und vor allem im Anschluss an die geplante Ergebnisverkündung am 6. Dezember zu Ausschreitungen kommen wird.

    "Wenn es bei den Wahlen hoch hergeht, könnte es erneutes Chaos geben und die Sicherheitslage würde sich dramatisch verschlechtern. Sollte es wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen, wären Kinder die ersten Opfer. Sie würden wieder rekrutiert werden und damit wären all unsere Demobilisierungs- und Reintegrationsbemühungen dahin."