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Wie im Stummfilm schwarz-weiß

Der Komponist Alban Berg machte aus Georg Büchners "Woyzeck" die Oper "Wozzeck" Für das beklemmendes Seelendrama erhielt er wütende Verrisse, aber vor allem euphorische Elogen. Nun ist das Werk um den armen gequälten Soldaten Wozzeck, der zum Mörder wird, wieder an der Staatsoper zu sehen, diesmal im Schillertheater.

Von Georg-Friedrich Kühn | 18.04.2011
    Streng, geradezu hermetisch, ohne Farbtupfer in einem grau-grünlichen Schwarz-Weiß - das ist das äußere Setting. Die Eröffnungsszene, wenn Wozzeck den Hauptmann rasiert, spielt in einem trapezförmigen halbhohen Gitter-Verschlag.

    Der Hauptmann sitzt da gestikulierend hinter zwei Tischchen. Wozzeck springt nervös, leicht gebückt wie ein halb geöffnetes Klappmesser um ihn herum. Wenn der Hauptmann ihm erklärt, was Moral ist, muss Wozzeck sich über den Tisch beugen und die Stiefel des Hauptmanns auf seinem Rücken fühlen.
    Der bräunliche Latten-Verschlag und die in mattiertes Seitenlicht getauchten Figuren bleiben das Grundmuster der Aufführung. Marie haust in dem Verschlag mit dem Kind, empfängt dort den Tambourmajor. Wozzeck bleibt hinter dem Rost, wenn er seine Löhnung fürs Bohnenfressen abliefert. Vom Doktor lässt er sich in dem Kabuff die grüne Brühe übers Gesicht gießen, und wieder abspülen. Mit Andres häutet er dort Hasen.

    Die Szene weitet sich zu einem karussellartigen Hexagon, wenn Hauptmann und Doktor miteinander über Wozzeck debattieren. Es ist der Ort für die Kirmes, ein Armeleute-Vergnügen rund um die Kloschüssel, und der Ort für die Kasernen-Szene.

    Wenn Wozzeck die Marie ans Wasser lockt, um sie zu töten, ist die Bühne leer geräumt. Und dann im Schlussbild kreist dort wieder sehr langsam das Karussell. Aber man sieht nur noch das ausgeweidete Gestänge. Und das Kind hoppelt auf einem Wischmopp als Stecken-Pferdchen.

    Fast wie ein Schwarz-Weiß-Stummfilm läuft das ab mit Blacks als harten Cuts. Bewusst haben sich Andrea Breth und ihr Bühnenbildner Martin Zehetgruber auf die Ästhetik der 20er-Jahre-Entstehungszeit von Alban Bergs Opern-Fassung des Büchnerschen "Wozzeck" eingelassen.

    Genial findet Breth diese Bergsche Fassung, mit der der Komponist die Büchnerschen Fragmente überhöht und auf einen "Kothurn" gestellt habe, weswegen sie sich an das Schauspiel auch nie wagte.

    Diese Tiefe kommt durch die Musik und das hohe Verständnis von Berg, was Dramatik und Theater angeht - das ist ein solches Faszinosum. Man wird eher ohnmächtig, wenn man daran arbeitet, weil die Messlatte so hoch hängt, dass man jeden Tag von der Probe geht und sagt, ich laufe immer noch zu Fuß, statt dass ich schwebe.

    Daniel Barenboim am Pult nimmt das Orchester so sehr zurück, dass Textverständlichkeit fast durchgehend garantiert ist. Sängerisch kann die Produktion allerdings nicht mit höchstem Niveau prunken.
    Nadja Michael ist zwar eine gelenkige Marie, ihr stimmliches Vibrato passt allerdings wenig zu der Partie. Roman Trekel als hochgewachsener, glatzköpfiger Wozzeck bringt sein enormes Darsteller-Vermögen ein, ihm mangelt es aber etwas an stimmlicher Wärme.

    Gute Figur machen Graham Clark als hustengeplagter Hauptmann und insbesondere Pavlo Hunka als am "menschlichen Material" experimentier-wütiger Doktor.

    Was der Aufführung insgesamt fehlt, ist die unterschwellige lakonische Ironie der Büchnerschen Vorlage. Gleichwohl gelingt es Breth über die gesamten hundert Minuten mit körperbetontem Spiel ein dichtes Feld von Spannung zu erzeugen. Am Ende einhelliger Jubel für das gesamte Team.