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Wie Merseburg Studierende an sich bindet

Hochschul-Städte haben in den letzten Jahren viel Geld eingesetzt, um aus Studenten Bewohner werden zu lassen, denn nicht zuletzt sie sind es, die Städte lebendig machen. Ostdeutsche Städte haben es da wohl schwerer als westdeutsche, und eine Kleinstadt wie Merseburg in Sachsen-Anhalt erst recht. Hier gibt es aber gute Ideen, wie Hochschule und Stadt näher zusammenkommen können.

Von Christian Forberg | 26.10.2006
    "Bankhaus" steht schwarz und in Großbuchstaben an der grauen Giebelseite, an der Fassade leuchtet ein kräftiger grüner Streifen. Das Haus in der vielbefahrenen König-Heinrich-Straße mit 15 Wohnungen für mehr als 60 Studenten ist nicht zu verfehlen. Zwei junge Frauen tragen die letzten Kartons vom Einzug hinaus, ein junger Mann will mit Lebensmitteln hinein. Thomas stammt aus der Merseburger Gegend. Er wird Entsorgungs- und Umwelttechnik studieren.

    "Ich wollte nicht direkt auf den Campus ziehen, sondern mehr Stadt-nah. "

    Und wie lang braucht er dann zum Campus?

    "Bis zur Hochschule... 2/3 Kilometer. Mit dem Fahrrad 5 Minuten. Eigentlich schnell da."

    Und doch sind die zwei-drei Kilometer eine weit größere Kluft: Hier das auf Kleinstadtgröße geschrumpfte Merseburg mit grandiosem Schloss und Dom, dort ein Campus, von dem auch die Hallenserin Caroline Wolff angetan ist.

    "Hier ist infrastrukturell alles vorhanden auf dem Campus. Es sind die Klubs da, die Bibliothek ist auf dem Campus, das Theater ist auf dem Campus, es findet alles hier statt, und als Student gibt es überhaupt keinen Grund, in die Innenstadt zu gehen..."

    ...weshalb die Studentin der Kultur- und Medienpädagogik abends gleich zurück nach Halle fährt. Merseburg hat Defizite an urbaner Qualität, wobei das spürbar fehlende Szene- und Nachtleben nur ein Detail ist. Umfassender hat es die Hochschule, namentlich der Bereich Kultur- und Sozialmanagement erforscht. Hier lehrt Hardy Geyer, der zugleich Prorektor der Hochschule ist. Er hat in zahlreichen Jahresarbeiten das Leben in Merseburg analysieren und Vorschläge zur Abhilfe erarbeiten lassen, denn die Stadt habe Potenzial, es fehle nicht an "gehobenen und modernen Milieus", wie es Professor Geyer ausdrückt.

    " Allerdings nur am Tage. Sie arbeiten hier und gehen danach in ihre Städte, insbesondere Halle und Leipzig. Und daraus wurde dann die Strategie entwickelt, diese Milieus wieder an Merseburg zu binden durch städtebauliche Projekte, durch entsprechende Wohnmaßnahmen..."

    ... wie das Bankhaus Merseburg das als erstes Projekt einer ganzen Reihe von Vorhaben fertig gestellt wurde, alles mit dem Ziel, studentisches Leben mitten in die Stadt zu verlegen.

    Das "Bankhaus" beherbergte einst eine Filiale der Reichsbank (Tresorraum und Panzertür sind noch vorhanden), wurde später Wohnhaus, stand schließlich Jahre lang leer und wurde in diesem Jahr der Hochschule als Experimentierfeld übergeben. Die Umbaukosten zum Studentenwohnhaus übernahm die städtische Immobiliengesellschaft; die Stadt schoss Fördergelder zu; Studenten wie Caroline Wolff entwarfen die Wohnungen - sie wussten am besten, wie Studenten wohnen wollen:

    "Die Wohnungen müssen WG-fähig sein und die Küchen müssen groß genug sein, dass man ein WG-Leben gestalten kann."

    Caroline erinnert sich an den Tag der Erstbesichtigung, gemeinsam mit dem Chef der Immobiliengesellschaft:

    "Ich weiß, dass die Wohnräume alle zur Straße rausgingen, die Küchen und Bäder gingen alle zur Stadtkrone, zum eigentlich schönen Ausblick nach hinten raus, und da haben wir gleich rumgesponnen, naja, wie viel dürfen wir denn hier verändern? Und der hat gesagt: plant was ihr wollt, der Architekt sagt, was geht. "

    Es gab kaum etwas, was sich von den Zeichnungen auf Packpapier nicht umsetzen ließ. Auch die Mietpreise, die sie berechnen mussten, stimmten weitgehend mit denen der Fachleute überein: sie liegen zwischen 150 und 215 Euro je Monat und Person.

    Bereits mit der Studienzusage ging ein Flyer an die künftigen Studenten, in dem für das Wohnen im "Bankhaus" geworben wurde. Das Haus war nach kurzer Zeit fast voll belegt; die ersten zogen noch auf eine halbe Baustelle. Dass die WG-Belegung reiner Zufall ist störte nicht. Auch Thomas ist zufrieden:

    "Ja man hat sich gut eingelebt, versteht sich ganz gut. Kommen auch überall her, von München, von Celle kommen welche... "

    Und den Mietpreis findet er auch in Ordnung. Hat er sich denn schon die 75 Euro "Begrüßungsgeld" abgeholt, die erhält, wer seinen Hauptwohnsitz in Merseburg nimmt?

    "Ach so, hab ich noch gar nicht gewusst. Ist ja nicht schlecht!"

    Merseburg ist mit dieser Prämie eher bescheiden - Bremerhaven lockt mit 170 Euro, Magdeburg mit 160 - allerdings über drei Jahre verteilt; Greifswald zahlt 150, Berlin 110 und Lübeck 100 Euro. Allerdings erhebt Merseburg keine Strafsteuer auf den Zweitwohnsitz, wie es andere Städte tun. Aber die haben auch kein "Bankhaus".