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"Wir sind nicht existent"

Etwa 200.000 jüdische Zuwanderer sind seit 1991 aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen, unter ihnen auch ehemalige Gefangene der KZ. Den Status "Verfolgte des NS-Regimes" haben sie jedoch nicht.

Von Julia Smilga | 14.04.2011
    "Jasja Rotenberg, 6 Jahre alt, Jüdin, erschossen durch die Faschisten am 27.06.1942 in Slawuta."

    Laut diesem Dokument, das Asja Levit, geborene Jasja Rotenberg, in ihren Händen hält, ist sie seit 70 Jahren tot. Die 76-Jährige kann sich überhaupt nicht erklären, wie sie damals aus dem Massengrab rauskommen konnte. Ihr kindliches Gedächtnis hat den Tag gelöscht. Sie erinnert sich nur an endlose Waldwege und die Suche nach Essen, bis sie irgendwie in ein Kinderheim kam. Erst seit 2005 weiß Asja Levit, dass sie im Ghetto im ukrainischen Slawuta mit ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder eingesperrt war. Und als einzige überlebte.

    Seit 1996 wohnt Asja Levit in Nürnberg - als jüdischer Flüchtling. Sie lebt von der Sozialhilfe - 290 Euro im Monat. Jedes Jahr muss sie ihre Kontoauszüge dem Sozialbeamten vorlegen und die Hilfe erneut beantragen. Sie darf ohne Abmeldung beim Sozialamt nicht verreisen. Eine Zumutung nicht nur für sie, sondern für alle 450 Holocaustüberlebenden aus der Ex-Sowjetunion, die in Deutschland leben. Ihre Anerkennung als NS-Opfer und eine entsprechende Rente würden diesen Menschen viel bedeuten, erklärt Asja:
    "Mit der deutschen Rente wäre ich ein freier, unabhängiger Mensch, ich könnte meine Zeit und mein Geld verwalten, ohne ständig dem Sozialamt Rechenschaft schuldig zu sein. Aber es geht ja nicht nur um Geld, sondern vielmehr um moralische Anerkennung. Mir wurde damals alles genommen - Familie, Heim, Gesundheit. Und ich muss mich hier wie der letzte Bettler fühlen, denn die Gesetze der Sozialhilfe sind ja für alle gleich."

    Ende 2010 wandte sich das Land Mecklenburg-Vorpommern an den Bundesrat mit dem Vorschlag, solche Menschen wie Asja als Opfer des NS-Regimes anzuerkennen. Als Vorstandsmitglied des Vereins "Holocaustüberlebende aus der GUS" wandte sich Asja Levit an Politiker in Nürnberg, damit auch das Land Bayern diese Initiative unterstützt. Die SPD-Abgeordnete Helga Schmitt-Bussinger hat sofort die entsprechende Forderung beim Landtag eingereicht:

    "Das wäre auch eine Anerkennung des Leidens, das man ertragen musste und damit eine gewisse Genugtuung für die Menschen, also rein über das Materielle hinaus hätte es sicher diese Dimension auch noch."

    Der SPD-Vorschlag ist aber im Sozialausschuss des bayerischen Landestags am harten Widerstand von FDP und CSU gescheitert. Warum will die bayerische Regierung keine Verbesserung der sozialen Situation für ehemalige Gefangene der Konzentrationslager und Ghettos? Asja Levit fragt einen Mann, der hinter der Ablehnung steht. Ganz in ihrer Nachbarschaft ist das Arbeitszimmer von Hermann Imhof, CSU-Abgerodneter in Nürnberg:

    "Ich wohne im demokratischen Land, aber ich habe kein Recht in die Ukraine zu fahren, um mein Grab zu besuchen!"

    "Ich glaube Ihnen jedes Wort, es ist das Schlimmste, was auf dieser Welt je passiert ist!"

    Voller Verständnis verteidigt der CSU-Abgeordnete seine Argumente:

    "Ich bin der Meinung, dass die Dinge fundierter geprüft werden müssen. Ich weiß, dass es schnell gehen muss, dass es viele ältere Menschen sind, aber ich bin persönlich der Meinung - wenn wir in Deutschland Rente bezahlen, müssen wir von der Konsequenz her nicht das Rentenversicherungssystem, das einen begrenzten Personenkreis umfasst, sondern es muss eine Steuergemeinschaft sein, das heißt die ganz breite Bevölkerung muss diese Entschädigungsleistungen bezahlen."

    Es geht also um Kleinigkeiten, nämlich - aus welchem Topf die Renten für nur 450 Menschen bezahlt werden sollen. Der CSU sei aber darüber hinaus auch wichtig, Sinti und Roma in den Opferkreis miteinzuschließen. Deswegen habe man den Antrag in Bayern abgelehnt. Natürlich, nur im positiven Sinne:

    "Ich kann nur sagen, für die bayerischen Unionsabgeordneten im Land und im Bundestag hab' ich bisher nur positive Art der Auslegung gehört. Positiv im Sinn, diese Dinge schnell, zügig und an den Interessen jeder einzelnen Frau und jedes Mannes anzulegen.
    - Aber ablehnen?
    -Ablehnen, ja, ablehnen, aber mit dem Auftrag, eine Lösung zu finden."

    Helga Schmitt-Bussinger von der SPD kann nur den Kopf schütteln:
    "Für mich sind die Gründe, die hier genannt werden, ein Zeichen von Verweigerung und ein Zeichen vom Ausweichen. Es ist absolut nicht nachvollziehbar zu sagen, man müsste das eigentlich aus Steuermittel bezahlen, und man müsste die finanziellen Voraussetzungen erst diskutieren und schaffen. Das ist ein Nichtwahrnehmen der Verantwortung, die man jetzt vor den betroffenen Menschen hat. Die Lösung muss jetzt kommen, weil die betroffenen Menschen schon zum großen Teil sehr, sehr alt sind."

    Für eine "Rente statt Sozialhilfe für Holocaustüberlebende" müssten morgen im Bundesrat mindestens 35 von 69 Landesvertretern stimmen. Nur dann wird der Antrag an den Bundestag weitergeleitet. Eine Zitterpartie für Asja Levit. Und wenn es nicht klappt, eine noch längere Warteschleife. Dabei ist sie mit ihren 76 Jahren eine der jüngsten. So kann man nur hoffen, dass wenn nach allen bürokratischen Formalitäten die Renten dann schließlich ausgezahlt werden, sich überhaupt noch lebende Empfänger dafür finden.