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Zeugnis für Ole von Beust

Am 18. Juli wird Hamburg über die Primarschule - die Grundschule bis zur sechsten Klasse - per Volksentscheid abstimmen. Die schwarz-grünen Befürworter unter Ole van Beust müssen zittern - denn die Front gegen die Reform zeigt sich stimmenstark.

Von Verena Herb | 13.07.2010
    "When I find myself in times of trouble, Christa Goetsch speaks constantly: Speaking words of Unsinn, let it be... let it be ..."

    Vom Jazzmusiker Joja Wendt besungen: Christa Goetsch, die Frau, die eine Menge Unsinn redet. Hamburgs Grüne-Schulsenatorin. Sie spaltet die Stadt und wird im Lied verspottet. Rund 5000 Unterstützer der Volksinitiative "Wir wollen lernen" schwenken auf einer Protestveranstaltung ihre Plakate, halten Banner in die Höhe, schunkeln zur Beatles-Melodie und singen im Chor: Let it be, Frau Senatorin. Lass es sein mit der Reform. Das Motto der Demonstranten: "Nein zur Primarschule. Schluss mit dem Schulreform-Chaos." Am kommenden Sonntag stimmen die Hamburger in einem Volksentscheid darüber ab.

    ""Wir haben zum Teil hervorragende Schulen, wir wollen Reformen auf jeden Fall – aber nicht so."

    Nicht so – wie es alle politischen Parteien in der Hamburger Bürgerschaft wollen. Nicht so – wie es die Schulsenatorin im Auftrag von Schwarz-Grün plant: Christa Goetsch will die sogenannte Primarschule einführen, das heißt, die Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre verlängern.

    "Wir wollen Schulen, die begeistern. Wo Lernen bewegt. Wo wir das schaffen, was wir hier für Hamburg brauchen: Nämlich Kinder, dass sie gut qualifiziert sind, dass sie tatsächlich alle eine gute berufliche Perspektive haben werden. Weniger Abbrecher, mehr Abiturienten."

    Christa Goetsch war lange Jahre Lehrerin an einer Hauptschule, bevor sie in die Politik wechselte. Seither verfolgt sie das Ziel, auch sozial schwachen Kindern die Möglichkeit zu geben, einen guten Abschluss zu machen.

    "Sechs Jahre längeres gemeinsames Lernen ist europäischer Standard. Es geht darum, die Kinder mit früher Förderung so vorzubereiten, dass sie nach Klasse 6 alle Möglichkeiten haben."

    Die Senatorin weiß ein breites Bündnis hinter sich. Unter dem Dach der "Schulverbesserer" vereinen sich die Kirchen und Gewerkschaften, zahlreiche Eltern- und Lehrerverbände, Unternehmer und Künstler. Und – was äußert ungewöhnlich ist: Hinter ihr stehen alle vier Bürgerschaftsfraktionen: CDU, Grüne Alternative Liste GAL sowie die Oppositionsparteien SPD und Die Linke. Auch Klaus von Dohnanyi, ehemaliger SPD-Bürgermeister der Hansestadt und einst Bundesbildungsminister - macht sich für die Schulreform stark:

    "Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die für Hamburg in den letzten Jahrzehnten getroffen wurde. Und ich kann nur hoffen, dass unser schöner Stadtstaat die Chance ergreift, ein Bildungssystem zusammenzubauen, das in Deutschland vorbildlich wird."

    Hamburg ist Vorreiter für eine flächendeckende Grundschulzeit von sechs Jahren. Einhergehend mit kleineren Klassen, mehr Lehrern und individualisiertem Unterricht. Fest steht, dass es nach Klasse 6 nur noch zwei weiterführende Schulformen gibt: das Gymnasium, an dem nach Klasse 12 das Abitur gemacht werden kann oder die sogenannte Stadtteilschule; eine Art Gesamtschule, an der alle bekannten Abschlüsse erreicht werden können. Auch das Abitur, nach Klasse 13. Koalition wie Opposition stehen hinter der Primarschul-Reform von Christa Goetsch. Im Februar unterzeichnen alle Bürgerschaftsparteien den sogenannten "Hamburger Schulfrieden". Darin verpflichten sie sich, die geplante Schulstruktur von Primarschule, Stadtteilschule und Gymnasium über einen Zeitraum von zehn Jahren zu garantieren. Unabhängig davon, welche Partei in Hamburg regieren wird. Denn alle Politiker wissen: Kommen die Gegner am Sonntag mit dem Volksentscheid durch, wird in den kommenden Jahren bildungspolitisch wohl nicht viel passieren. Denn keine Partei würde das "heiße Eisen" Schule noch anfassen wollen. Vom längeren gemeinsamen Lernen verspricht sich die Politik bessere Bildungschancen für ALLE Kinder, gleich welcher sozialen Herkunft, gleich welcher Bildungsschicht, ob Migrationshintergrund oder nicht. Hamburgs Erster Bürgermeister, Ole von Beust:

    "Das ist ja der entscheidende Schritt, den wir mit der Reform wagen wollen. Durch längeres gemeinsames Lernen auch Schülerinnen und Schülern, die es schwer haben, auch von zu Hause, größere Chancen zu geben. Aber auch denen, die leistungsstark sind, auch die Möglichkeit der Entwicklung zu geben. Wir machen das, was in Europa und in der Welt Standard ist."

    Die Gegner der Schulreform wehren sich: Sie befürchten eine Schwächung vor allem des Gymnasiums, wenn die Grundschulzeit um zwei Jahre verlängert wird. Walter Scheuerl, Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen":

    "Wir halten es für unrealistisch, dass die Primarschulen in den Klassen 4 bis 6 auch nur ansatzweise das leisten können, was bisher in den weiterführenden Schulen und in den Klassen 5 und 6 geleistet werden kann."

    "Können wir das schaffen? Ja, wir schaffen das. Noch einmal: Können wir das schaffen? Ja, wir schaffen das."

    Walter Scheuerl, der Initiator des Volksentscheids, gibt sich siegessicher. Er glaubt fest daran, ...

    "… dass wir am Abend des 18. Juli, ein Sonntag – um 23 Uhr – wenn dann das vorläufige Endergebnis von Landeswahlleiter Beiß verkündet werden wird, dass wir dann erleichtert aufatmen können und sagen können: Dass der Spuk an uns vorübergegangen ist und wir verhindern konnten, dass die Primarschule kommt."

    Noch ist alles offen. Die neueste Umfrage zeigt: Befürworter und Gegner der Primarschule liegen fast gleichauf – mit einem leichten Vorteil für die Volksinitiative von Walter Scheuerl. Nach sechs Wochen Wahlkampf zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf Rennen ab, meint auch Hamburgs erster Bürgermeister:

    "Es wird sehr knapp werden. Also ich glaube, dass es wirklich fifty-fifty ist. Ich gebe da keine Prognose ab. Man wird gucken, ob überhaupt das Quorum erreicht wird. Von der Beteiligung bisher glaube ich, wird es nicht reichen."

    1,24 Millionen Wahlberechtigte sind zum Urnengang aufgerufen. Mindestens 20 Prozent davon, also rund 247.000 Hamburger, müssen für die Vorlage von "Wir wollen lernen" stimmen, damit der Volksentscheid erfolgreich ist. In Hamburg haben die großen Ferien bereits begonnen. Auch ein Grund, weshalb 378.000 Bürger ihre Stimme bereits per Briefwahl abgegeben haben. Bis zur letzten Minute versuchen beide Lager, ihre Anhänger zu mobilisieren.

    "Man hat ja auch öfter auf der Straße Leute gesehen, die für beide Seiten geworben haben oder auch Unterschriften gesammelt haben. Also, man hat diese Stimmung schon mitbekommen."

    Hanna ist 17 Jahre, besucht das Gymnasium Klosterschule im Hamburger Zentrum. Sie darf zwar noch nicht wählen – unterstützt die Reformpläne der schwarz-grünen Koalition trotzdem. Ihr Lehrer, Paul Möllenhauer, ebenfalls. Unter seinen Gymnasial-Kollegen indes sind die Meinungen geteilt:

    "Da gibt es durchaus beide Fraktionen vertreten: die einen, die es so ähnlich sehen, die sehr lange gemeinsames Lernen bevorzugen würden. Aber auch andere, die stärker am gymnasialen Ideal festhalten und für die schon die Abgabe von Jahrgang fünf und sechs an die Primarschule eigentlich ein Schritt zu viel ist."

    Mit der Volksinitiative "Wir wollen lernen" verbindet man in erster Linie die Person Walter Scheuerl. Er war es, der vor zwei Jahren auf die Idee kam, gegen die Primarschul-Pläne der grünen Senatorin vorzugehen.

    "Die Überlegung, die ich hatte – das war morgens beim Rasieren, ich kann mich noch gut daran erinnern – dass ich mir sagte: Wer soll es jetzt am Besten machen?"

    Die Frage ist schnell beantwortet: er selbst. Der Jurist hat zwei Kinder, die auf ein Gymnasium in Hamburg-Othmarschen gehen. Dort engagiert sich Walter Scheuerl bereits seit Jahren als Elternratsvorsitzender. Er stößt die Gründung der Initiative "Wir wollen lernen" an, die im Zuge eines Volksbegehrens 184.500 Unterschriften gegen die Reformpläne des Senats sammelt und damit den Volksentscheid erzwingt. Eine Mutter aus Blankenese erklärt in einem Interview mit der ARD, warum sie hinter "Wir wollen lernen" steht.

    "Weil wir dafür sind, dass die Kinder früher separiert werden, weil wir eher sind für ein leistungsorientiertes Schulsystem. Weil wir absolut davon überzeugt sind, dass schlechtere oder mittlere Schüler nicht davon profitieren, wenn sie mit guten zusammen sind ..."

    Walter Scheuerls Unterstützer kommen zu einem großen Teil aus den wohlhabenden Elb-Vororten, dem Alstertal und Blankenese. Die Wochenzeitung "Zeit" bezeichnet ihr Engagement deshalb anfangs als "Gucci-Aufstand"; als Widerstand der Gutsituierten, die an den Schulen eine Durchmischung der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten verhindern wollen. Walter Scheuerl:

    "Das ist natürlich naheliegend, dass eine Bewegung, die aus dem – positiv verstanden – Bildungsbürgertum der Stadt kommt, dass man versucht, kampagnenmäßig diese Elterninitiative in irgendeine Ecke zu stellen, wo man sie leichter kritisieren kann und versuchen kann, sie auszugrenzen."

    Aussagen von Eltern aus Blankenese sorgen zu Beginn des Jahres für Aufregung in der Stadt. In einem Bericht des Fernsehmagazins "Panorama" sagen sie frei heraus, was andere insgeheim nur denken:

    "Dass ein Arbeiterkind mit dem Kind eines Vorstandsvorsitzenden nachmittags spielt, und davon profitiert, mag vielleicht manchmal funktionieren. In der Regel wird das jedoch nicht der Fall sein."

    "Wir haben ja systematisch in den 80er-Jahren ein akademisches Proletariat herangezüchtet, das für die wissenschaftliche Laufbahn und auch akademische Laufbahn gar nicht fähig ist."

    "Ich denke, man muss nicht die sozial Bevorteilten benachteiligen, um die sozial Schwächeren zu bevorteilen. Das muss, meine ich, nicht sein."

    Hamburger Medien proklamieren daraufhin den "Klassenkampf". Die Hansestadt gilt seit jeher als reiche Stadt. Das trifft zu für die Villenviertel um Alster und Elbe. Die Kluft aber wird in den südlichen Problemstadtteilen wie Veddel oder Wilhelmsburg, deutlich, wo die Arbeitslosenquote bei bis zu 15 Prozent liegt. Während einer Sitzung der Bürgerschaft heizt Bürgermeister Ole von Beust die Debatte mit seiner "Elitenschelte" weiter an:

    "Manche Teile der Elite stehlen sich aus der Verantwortung. Wir haben in der Elite eine Flucht in rein materielles Denken. Und darum sage ich Ihnen, diese Gesellschaft strebt in ihren Rändern auseinander."

    In der vergangenen Woche schüttet der Bürgermeister noch einmal Öl ins Feuer, als er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung einem Teil der Reformgegner Ausländerfeindlichkeit vorwirft. Es habe ihn überrascht, dass manche der Gegner – Zitat "so unverhohlen sagen: Wir wollen nicht, dass unsere Kinder länger als notwendig mit Kindern mit Migrationshintergrund zur Schule gehen". Von Beust spricht von Ressentiments, die da auftauchen würden, auch bei den Bürgerlichen. Der Bürgermeister macht im Interview aus seinem Entsetzen keinen Hehl und wird von seinem Amtsvorgänger, dem SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, unterstützt.
    "Ich sag mal, diejenigen, die ihre Kinder schon im Gymnasium haben, die wollen denjenigen, die ihre Kinder noch nicht da haben, erzählen, es wäre besser, sie blieben in der Stadtteilschule."

    Noch deutlicher wird Ernst Rösner, ein Bildungsforscher am Institut für Schulentwicklung der Universität Dortmund. Er sagt in der ARD:

    "Ich glaube, die, die sich für dieses Volksbegehren engagieren, haben Angst, dass ihren Kindern durch Konkurrenz aus Aufsteigerfamilien der Weg zu den attraktiven beruflichen Positionen erschwert wird. Wenn sich mehr um die Fleischtöpfe drängen, ist die Sicherheit, dass der eigene Sohn oder die eigene Tochter satt wird, eben nicht mehr gesichert."

    Es geht ein Riss durch die Hansestadt. Dabei sind es längst nicht mehr nur die Gutsituierten, die Zweifel am Nutzen der Primarschule äußern. Peter Ulrich Meyer ist Redakteur des Hamburger Abendblatts und dort verantwortlich für die Bildungspolitik:

    "Wenn man die Genese der Initiative 'Wir wollen lernen' sich anschaut, dann ist es in der Tat so, dass am Anfang ein Interesse gestanden hat, das sehr stark das Gymnasium in den Mittelpunkt gerückt hat und die Interessen bestimmter Eltern in eher wohlhabenden Stadtteilen in Hamburg. Das ist so. Aber man muss fairerweise auch anerkennen, dass sich im Laufe der dann folgenden anderthalb Jahre der Protest gegen die Reform verbreitert hat, in fast alle Stadtteile hineingegangen ist. Anders ist es nicht zu erklären, dass bei einem Volksbegehren 184.500 Stimmen eingesammelt wurden gegen die Reform."

    Das war im November des vergangenen Jahres. Die laute Minderheit der Schulreform-Gegner hat es damals geschafft, mehr als das Dreifache der Unterschriften zu sammeln, die man benötigt, um einen Volksentscheid auf den Weg zu bringen. Der Journalist Meyer wirft dem Senat vor, die Sorgen der Eltern unterschätzt zu haben.

    "Man hätte seitens des Senats in diesem Prozess sehr viel mehr, sehr viel früher – sagen wir es so, auf Sorgen und Ängste – gerade in der Elternschaft, eingehen sollen, sie ernst nehmen sollen. Darüber diskutieren sollen. Und in dem Sinne positiv auch überzeugen sollen. Das ist meiner Ansicht nach zu wenig geschehen."

    Für Ole von Beust war das Ergebnis des Volksbegehrens ein "Paukenschlag". Als Konsequenz spricht er sich noch deutlicher für die Primarschulpläne aus.

    "Ich sage Ihnen persönlich, ich werde alles in meiner Kraft stehende tun, damit eine Volksabstimmung zu einem Ergebnis kommt, das in Hamburg mit sehr guten Bedingungen die Primarschule eingeführt werden kann."

    Der CDU-Bürgermeister knüpft sein politisches Schicksal an den Ausgang des Volksentscheids. Damit geht Ole von Beust ein großes Risiko ein, meint kopfschüttelnd der Journalist Uwe Bahnsen, der seit 1958 für "die Welt" über die Rathauspolitik berichtet.

    "Ole von Beust hat sich in Sachen Schulreform ja in einer für mich eigentlich so nicht mehr nachvollziehbaren Form aus dem Fenster gehängt. Weit aus dem Fenster gehängt."

    Und mehr noch: Der CDU-Frontmann stößt mit seiner kompromisslosen Haltung viele in der eigenen Partei vor den Kopf. Die CDU verliere an eigenem Profil, fürchtet so mancher an der Parteibasis. Die Christdemokraten würden den kleinen Koalitionspartner, die Grünen, die politische Agenda bestimmen lassen, schimpfen Parteimitglieder. "Da wedelt der Schwanz mit dem Hunde" – tönt es verächtlich von der konservativen Basis. Modern oder konservativ – der Streit um die Schulpolitik offenbart vor allem auch einen Richtungsstreit in der Hamburger CDU, wie der Politikwissenschaftler Michael Greven analysiert:

    "Ich glaube das Grundproblem liegt darin, dass sie einerseits versucht, in der Koalition mit den Grünen eine moderne Großstadtpartei zu sein, und auf der anderen Seite ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer Wählerschaft doch recht konservativ ist."

    Die jüngsten Umfragen zeigen es deutlich: Die Parteispitze wird abgestraft. Die CDU hat dramatisch an Zustimmung verloren, liegt derzeit bei nur noch 36 Prozent der Stimmen. Bei der Bürgerschaftswahl vor zwei Jahren kamen sie noch auf 42,6 Prozent der Stimmen. Auch die Grünen verlieren, doch nur marginal. Fest steht aber: Schwarz-Grün hätte derzeit keine Mehrheit in Hamburg.

    "Ich kommentiere Umfragen grundsätzlich nicht. Weder gute noch schlechte. Aber ich sehe es wirklich mit Humor und Gelassenheit. Die Wahlen ... also ich würde sagen: Wiedervorlage 2012."

    Zur nächsten Bürgerschaftswahl also. Doch wirklich gelassen wirkt der Bürgermeister in diesen Tagen nicht. Er weiß sehr wohl, was für ihn, was für seine Partei und das schwarz-grüne Bündnis auf dem Spiel steht. Das Plebiszit kommenden Sonntag stellt nicht nur das zentrale Projekt der Koalition auf den Prüfstand, sondern das Bündnis generell. Viele Beobachter sind sich einig: Der Volksentscheid entscheidet auch über Sein oder Nichtsein der schwarz-grünen Koalition. Gesetzt den Fall, der Volksentscheid geht im Sinne der Stadtregierung aus - dann bleibt das schwarz-grüne Bündnis bestehen, zumindest bis zur nächsten Bürgerschaftswahl im Jahr 2012, glaubt der Journalist Uwe Bahnsen. Doch leicht hätte es von Beust nicht – denn:

    " … dann hätte die CDU – das muss man ganz nüchtern sehen - ein massives Problem. Denn das Thema Primarschule und Schulreform ist ja damit nicht zu Ende. Sondern diejenigen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen gegen diese Schulreform sind, die geben doch nicht auf. Sondern die warten auf die nächste Bürgerschaftswahl. Und dann geht das weiter."

    Sollte die Initiative "Wir wollen lernen" den Volksentscheid gewinnen, kommt es darauf an, wie deutlich der Sieg ausfällt. Uwe Bahnsen behauptet, am günstigsten für alle Beteiligten wäre es, wenn die Koalition den Volksentscheid knapp verliert:

    "Erstens: Die CDU ist das Thema los. Zweitens: Die Koalition, hier im Wesentlichen Ole von Beust und die Schulsenatorin, könnte ihr Gesicht wahren."

    Denn in ihrem Koalitionsvertrag ist zu lesen: Volksentscheide sind verbindlich. Was der Bürger entscheidet, hat die Regierung umzusetzen. Und die CDU wäre das emotionale Streitthema los, ohne die Koalition mit den Grünen aufkündigen zu müssen. Ganz anders sieht es aus, wenn Schwarz-Grün mit Pauken und Trompeten verliert:

    "Dann hat man eine Situation, in dem es ein Plebiszit gegen die Senatspolitik oder mindestens gegen Herz- und Kernstück der Senatspolitik gegeben hat. Und das ist ein Ausgang des Volksentscheids, der kann nicht ohne politische und personelle Konsequenzen bleiben."

    Dass Ole von Beust dann das Handtuch wirft, also abdankt, halten viele in der Stadt für möglich. Auch wenn der Bürgermeister und seine Schulsenatorin gebetsmühlenartig betonen: Beim Volksentscheid gehe es um eine Sachfrage, und nicht um eine Generalabrechnung mit ihrer Politik. Auch Rücktrittgerüchte dementiert er heftig.

    "Ach, gequatscht und getratscht wird immer. Dann sabbeln sie und reden sie viel. Aber noch einmal: Es gilt das, was ich schon immer gesagt habe: Ob ich noch einmal antrete 2012, muss zu einem richtigen Zeitpunkt entschieden werden. Rechtzeitig vor der nächsten Wahl. Hat aber mit dem Volksentscheid überhaupt nichts zu tun."

    Für die CDU wäre es ein denkbar schlechter Zeitpunkt, würde sich ihr Zugpferd jetzt von der politischen Bühne stehlen. Denn die Hansestadt sieht sich großen Herausforderungen gegenüber: In der Kasse klafft ein strukturelles Haushaltsdefizit von über 500 Millionen Euro, auch die Folgen der Wirtschaftskrise sind noch nicht ausgestanden, Querelen um die HSH Nordbank oder die Innere Sicherheit sind weitere Beispiele, die noch für Ärger sorgen werden. Hinzu kommt: Ole von Beust hat es versäumt, für einen geeigneten Kronprinzen zu sorgen. Der Journalist Uwe Bahnsen:

    "Es gibt keinen geborenen Nachfolger. Es gibt Anwärter. Ich glaube nicht, dass der Fraktionsvorsitzende und Parteichef diese Nachfolge antreten wird. Eher könnte ich mir vorstellen, dass der Innensenator dieser Nachfolger wäre."

    Innensenator Christoph Ahlhaus wäre auch der Einzige, der in den eigenen Reihen über die nötige Hausmacht verfügt. An die Beliebtheitswerte des Amtsinhabers kommt er aber noch lange nicht heran. Vom Volksentscheid zur Schulreform hängt also nicht nur die zukünftige Bildungspolitik in der Hansestadt ab, sondern auch so manche politische Karriere bei CDU und GAL. Ein Gutes hat der zweijährige Streit übrigens – egal, wie die Entscheidung am Sonntag ausfallen wird. Der Hamburger Senat wird in den kommenden sechs Jahren zusätzlich 74 Millionen Euro ins Bildungswesen investieren, 970 neue Lehrer einstellen und nur noch eine Klassengröße von maximal 23 Schüler akzeptieren. Auch die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems ist beschlossene Sache. Und daran ändert auch der Volksentscheid nichts.